Neue Jugend-Einrichtung in Hamburg: Doch wieder Kinderknast?

Der Hamburger Senat baut ein Heim für 16 Kinder, die Schulen und Jugendämter überfordern. Laut einem Medienbericht ist auch Freiheitsentzug geplant.

Kind sitzt mit angewinkelten Beinen auf dem Boden

Wer andere nicht erträgt soll ins – womöglich – geschlossene Heim Foto: Britta Pedersen/dpa

HAMBURG taz | Als SPD und Grüne ihren Koalitionsvertrag vorlegten, schien es so, als hätten beide die umstrittenen Pläne eines geschlossenen Heims beerdigt. Lediglich von einer neuen Einrichtung „von Jugendhilfe und Psychiatrie“, war dort zu lesen. Nachfragen der taz und der Linken, ob es sich dabei doch eine geschlossene Einrichtung handle, wurden mit dem Hinweis, die Planung sei „noch nicht angeschlossen“ abgebügelt. Doch nun ließ Sozial-Staatsrätin Petra Lotzkat in der Welt am Sonntag die Katze aus dem Sack.

Dem Artikel zufolge plant die Stadt auf einem Gelände in Groß Borstel am Klotzenmoorstieg ein Wohnprojekt mit 16 Plätzen für Kinder von neun bis 13 Jahren. Gedacht sei dies für Kinder, die so große psychische Probleme haben, das sie die Schulen und die Jugendhilfe überfordern.

Sie wolle „früher erkennen, was den Kindern fehlt und ihnen helfen zurecht zu kommen“, begründet Lotzkat das geringe Alter. Als Beispiel nennt der Bericht Kinder, „die es nicht ertragen, mit Mitschülern Zeit in einem Raum zu verbringen, ohne aggressiv zu werden“. Die Welt am Sonntag setzt hinzu: „Nicht wenige dürften nach einem Unterbringungsbeschluss eines Familiengerichts in der Einrichtung landen, weil sie sich oder andere gefährden.“

Dieser Satz lässt aufhorchen. Einen „Unterbringungsbeschluß“ des Familiengerichts gibt es nur für Freiheitsenzug. Die Einrichtung – in der die Kinder über zwei Jahre mehrere „Stufen“ durchlaufen, beginnend mit drei Monaten Diagnostik-Phase – wäre doch ein geschlossenes Heim.

Sozialbehörde schweigt, Grüne beschwichtigen

Hinzu kommt, dass neben Pädagogen und Lehrern für die Heimschule, auch ein „Sicherheitsdienst immer präsent sein“ soll. Das Heim soll zum Landesbetrieb Erziehung (LEB) gehören, der der Stadt gehört, und bereits von 2003 bis 2009 die gescheiterte Geschlossene Unterbringung Feuerbergstraße (Guf) betrieb. Der Bau des neuen Heims soll 2022 beginnen, 2024 sollen erste Kinder einziehen.

Die taz fragte Montag früh die Sozialbehörde, ob die neue Einrichtung eine Betriebserlaubnis für geschlossene Unterbringung haben wird. Dann wäre es ein geschlossenes Heim. Ferner fragten wir, ob es Aufgabe des Sicherheitsdienstes sein soll, die Kinder am Verlassen des Geländes zu hindern.

Die Behörde beantwortete die Fragen am Montag bis Redaktionsschluss nicht. Erst Dienstag früh schickte sie ein allgemeines Statement, das aber die Fragen der taz nach Freiheitsentzug nicht beantwortete. Details der Einrichtung, wie „etwa die Aufgaben des Sicherheitsdienstes“, würden sich erst im Laufe der weiteren Planungen ergeben, so Sprecher Martin Helfrich.

Die Fragen stellten wir auch der Grünen-Fraktion. Die reagierte immerhin zeitnah. Es handle sich bei den Aussagen im Welt-Artikel um Äußerungen, die bei einem Erörterungstermin zum Grundstück im Bezirk Nord gefallen seien. Diese stellten „einzig erste Überlegungen dar“, schreibt die Jugendpolitikerin Britta Herrmann. Für die Grünen sei es wichtig, dass es eine „Schnittstellenunterbringung zwischen Jugendhilfe und Psychiatrie“ gebe, die auch eine Psychiatriekommission empfehle.

Das Konzept stehe noch gar nicht, beteuern die Grünen. Sie seien darüber „mit der zuständigen Behörde im Austausch“. Auf die Frage, ob die Grünen eine geschlossene Einrichtung für Kinder mittragen, gab es keine direkte Antwort.

Aktionsbündnis in Sorge

Der Welt-Artikel macht auch dem „Aktionsbündnis gegen geschlossene Unterbringung“ Sorgen. Er frage sich, ob ein geschlossenes Heim „durch die Hintertür etabliert werden soll, gegen alle Befunde, die wir gerade in Hamburg dazu haben“, sagt dessen Sprecher Tilman Lutz. Schon die Idee, Kinder, die als nicht erreichbar gelten und Probleme haben, gemeinsam und abgeschieden unterzubringen, verstärke deren Konflikte, warnt er. Ein Sicherheitsdienst zur Bewachung widerspreche kindgerechtem Aufwachsen.

Die Links-Fraktion, die erst am 18. August nach der Einrichtung fragte und keine Antwort bekam, reichte nun eine neue Anfrage ein, in der sie nach Rolle des Sicherheitsdienstes und Geschlossenheit fragt. Sie will auch wissen, ob für Kinder, die es nicht aushalten mit Mitschülern in einem Raum zu sein, in dem Heim „Einzelisolierungen“ geplant sind. Und sie fragt, warum der LEB den Zuschlag bekommt und es kein Interessenbekundungsverfahren gibt.

„Der Senat weiß genau, dass diese Einrichtung fachlich umstritten ist“, sagt Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus. „Da kann er sich nicht einfach der Fachdebatte entziehen und plötzlich über die Presse ein Konzept präsentieren.“ Sollte ein geschlossenes Heim geplant sein, werde ihre Fraktion „entschieden Widerstand leisten“.

Boeddinghaus sprach das Thema prompt tags darauf am Dienstag im Familienausschuss der Bürgerschaft an. Dort stellte nun Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) klar, die neue Einrichtung solle kein geschlossenes Heim der Jugendhilfe sein. So eines zwar hätte die frühere rot-grüne Koalition in ihrem Koalitionsvertrag mal vorgesehen, aber, so Leonhard wörtlich: „Jetzt geht es nicht um eine geschlossene Unterbringung nach Sozialgesetzbuch VIII.“ In die nun geplanten Einrichtung würden andere Kinder mit ganz anderen Störungsbildern kommen. Es könne dort aber Schutzmaßnahmen aufgrund des Psychisch-Kranken-Gesetz geben.

Leonhard sagte, es gebe in Hamburg Bedarf für eine „hochstrukturierte Einrichtung“, ohne im Detail auszuführen, was das heißt oder welche Rolle hier ein Sicherheitsdienst spielt. Auch sie beteuerte, das Konzept sei noch nicht fertig, hier müssten nun mit Psychiatrie und Jugendhilfe zwei Akteure kooperieren. Die Linken-Politikerin Boeddinghaus bat daraufhin darum, dieses Konzept möge, wenn es fertig ist, auch im Familienausschuss vorgestellt werden. Leonhard sagte, dazu sei sie von ihrer Seite bereit.

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel wurde um die Stellungnahme von Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) aktualisiert.

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