Neue Fraktionsspitze der Linken: Der Verfeindungskomplex

Politische und persönliche Fehden sind in der Linksfraktion eng verwoben. Genau das kann für die unverbrauchte Mohamed Ali eine Chance sein.

Eine Frau guckt lächelnd hinter einem blauen Schatten hervor

Sie kennt noch keiner: Amira Mohamed Ali ist noch nicht in den Ränkespielen der Partei verheddert Foto: dpa

Amira Mohamed Ali, Muslimin und Juristin aus Hamburg, wird zusammen mit Dietmar Bartsch die Linksfraktion führen. Das ist eine erstaunliche Umkehrung des Prinzips demokratischer Elitenauswahl. Eigentlich wird an die Spitze gewählt, wer sich als besonders robust, vertrauenswürdig oder taktisch versiert erwiesen hat. Mohamed Ali ist eine sympathische, eher nachdenkliche denn agitatorische Parteilinke. Doch sie ist erst seit vier Jahren in der Partei und nicht nur in der Öffentlichkeit ein unbeschriebenes Blatt.

Auch in der Fraktion kann sich niemand an wegweisende Beiträge erinnern. Manche behaupten, sie solle Wagenknecht bloß den Sessel warm halten, bis die wieder Lust hat auf den Job. Gewissermaßen das Modell Putin/Medwedjew. Das ist eines jener bösartigen Gerüchte, die ziemlich typisch sind für die giftige Atmosphäre bei den GenossInnen. Die Wahrheit ist: Der linke Flügel hat schlicht niemand anderen gefunden.

Ein Sieg des Bündnisses von Reformern und linkem Flügel, von Bartsch und Wagenknecht gegen Caren Lay und Katja Kipping also? So sieht es aus. Aber die Sache ist komplexer. Die Grenzen zwischen den drei Lagern sind ausgefranst und überlagert von persönlichen Animositäten.

Das größere Bild zeigt, dass die Linkspartei in der Krise ist – und zwar alle drei Lager. Wagenknechts „Aufstehen“-Projekt ist gescheitert. Soziale Bewegungen lassen sich nicht gründen. Auch das Kipping-Lager hat eine bescheidene Erfolgs­bilanz. 2017 strömten zwar Jüngere, denen die Grünen zu bürgerlich waren, zur Linkspartei – aber das war nur eine Momentaufnahme. Die Reformer stehen, gnädig überdeckt von Bodo ­Ramelows glänzendem Sieg in Erfurt, ratlos vor einem Scherbenhaufen. Im Osten ist die Rolle als Partei, die in der Landesregierung ihre demokratische Reputation beweist und ansonsten nicht auffällt, ausgespielt.

Kann die Linkspartei gleichzeitig gewerkschaftsnah, öko-hip und Traditionspartei Ost sein – oder muss sie eine dieser Rollen auf­geben? Diese strategische Frage ist ungeklärt. Beantworten lässt sie sich nur, wenn eine rationale Debatte möglich ist.

Die Mehrheit für Mohamed Ali war knapp, auch Bartschs Ergebnis ist bezeichnend schwach. Persönliche Fehden und politische Differenzen sind in der Linksfraktion zu einem schwer entwirrbaren Komplex verwoben. Genau das kann, so paradox es klingt, eine Chance für diese Spitze sein. Der lähmende Verfeindungskomplex in der Fraktion lässt sich nur mit Integration auflockern. Das kann Amira Mohamed Ali vielleicht gerade gelingen – weil sie nicht Teil der alten Ränkespiele war.

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Stefan Reinecke arbeitet im Parlamentsbüro der taz mit den Schwerpunkten SPD und Linkspartei.

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