Neue Energiepolitik in Frankreich: Paris will sechs neue Reaktoren
Die Regierung fragt beim Kraftwerksbetreiber EDF an, ob sie weitere Reaktoren bauen kann. Kritiker fürchten einen Schwenk in der Energiepolitik.

Ist das nur energiepolitische Gedankenspielerei? Ein Testballon, um die Reaktionen zu testen? Oder auch mehr? In dem Brief wird EDF immerhin sehr konkret aufgefordert, bis Mitte 2021 der Regierung ein umfassendes Dossier mit allen Antworten auf die gestellten Fragen zu liefern. Diese wolle in dieser Frage des Ausstiegs oder Förderung der Atomkraft eine grundsätzliche Entscheidung treffen.
Als detaillierte Vorgabe für die gewünschte Offerte heißt es im Brief an EDF-Chef Jean-Bernard Lévy, die Regierung stelle sich den Bau der drei neuen Anlagen in jeweils vierjährigen Etappen und mit einer Frist von 18 Monaten zwischen der Fertigstellung der beiden Reaktoren vor.
Des Weiteren verlangt die Regierung von EDF eine „Bestandsaufnahme“ der bestehenden AKWs und der Technologie „unter Berücksichtigung der Erfahrungen beim Bau der ersten EPR“ in Flamanville (in der Nähe von La Hague in der Normandie), in Hinkley Point (England) und in Taishan (China).
Weichenstellung in der Energiepolitik
Diese Informationen sollen als Grundlage für eine eventuelle Weichenstellung in der Energiepolitik bis Mitte November dieses Jahres dienen, also relativ kurzfristig. Von den drei Anlagen ist nur die letzte seit 2018 in Betrieb, bei den beiden anderen häufen sich Pannen mit enormen Zusatzkosten – und entsprechenden Verzögerungen.
Außerdem möchten Le Maire und Borne wissen, ob EDF überhaupt die industriellen und finanziellen „Kapazitäten“ habe für eine eventuelle und doch eher überraschende Expansion.
Zur Erinnerung: Präsident Emmanuel Macron hat bereits bestätigt, dass er, wie von seinem Vorgänger François Hollande angekündigt, den Anteil der Atomkraft an der nationalen Stromproduktion von 75 auf 50 Prozent verringern wolle. Macron hat aber inzwischen das ursprünglich auf 2025 festgelegte Ziel dafür auf 2035 hinausgeschoben – und erklärt, für ihn habe die Kernenergie eine Zukunft. Auch eine Antwort auf die Klimafrage.
„Gravierende Änderung der Energiewende“
Falls Macron auf den EPR setzen sollte, wäre das nicht bloß ein Zaudern im Stil „ein Schritt vorwärts, zwei zurück“, sondern eine gravierende Änderung der versprochenen Energiewende.
Die Macron nahestehende Abgeordnete der Regierungspartei République en marche und Ex-Grüne Barbara Pompili meinte dazu: „Dieser Brief (an EDF) ist beunruhigend: Er vermittelt den Eindruck, dass die Entscheidungen bereits getroffen wurden.“ Das meinen auch die AKW-Gegner von Sortir du nucléaire. Sie befürchten, die Regierung plane eine atomare „Flucht nach vorn“ in Missachtung des Wunschs einer Mehrheit, die nicht mehr, sondern weniger AKWs in Frankreich wünsche.
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Der Jahrestag der Ukraine-Invasion
Warum Russland verlieren wird
Wahlsieg der Union
Kann Merz auch Antifa?
Sieger des rassistischen Wahlkampfes
Rechte Parolen wirken – für die AfD
Alles zur Bundestagswahl
Grüne Manöver vor dem Wechsel
Alles zur Bundestagswahl
Lindner und die FDP verabschieden sich aus der Politik
Nach der Bundestagswahl
Jetzt kommt es auf den Kanzler an