Neue EU-Kommission: Kompromiss auf Brüsseler Art
Ursula von der Leyen stellt sich ein männlich-konservatives Team zusammen. Der Kampf gegen die Erderwärmung dürfte auf der Strecke bleiben.
V on einem Fehlstart Ursula von der Leyens bei der Besetzung ihres neuen Teams für die EU-Kommission zu sprechen, ist nahezu euphemistisch. Das Gerangel um die Kommissarsposten in den vergangenen Wochen zeigt eindrücklich die Spaltung des europäischen Projekts und dessen interne Machtverschiebungen. Der überraschende Rücktritt eines schimpfenden Thierry Breton, der in letzter Sekunde quasi als Teammitglied von der Leyens hinschmiss, war mehr als peinlich für die Kommissionspräsidentin.
Hinzu kommen Verzögerungen, etwa in Slowenien. Und auch bei der Frauenquote kommt die CDU-Politikerin nun nach Ächzen und Würgen auf immerhin 40 Prozent. In Sachen Gleichstellung, Gleichberechtigung und Fortschrittlichkeit hätten es durchaus mehr Frauen in Spitzenpositionen werden können. An fähigem weiblichem Spitzenpersonal innerhalb der Europäischen Union mangelt es im Jahr 2024 nun wirklich nicht.
Nun also präsentiert von der Leyen die offenbar machbarste Kompromisslösung auf Brüsseler Art. Zu Recht sorgt die Nominierung des Italieners Raffaele Fitto als Exekutiv-Vizepräsident für Empörung – insbesondere bei Grünen, Sozialdemokraten und Liberalen. Es riecht förmlich nach kruder Gefälligkeit an Giorgia Meloni und ihrer postfaschistischen Partei Fratelli d’Italia.
Hatte doch von der Leyen vor der Europawahl im Juni mehrfach beteuert, die Brandmauer gegen rechts zu halten und auf Vertrauen bei den Mitbewerbern gesetzt. Nun könnte also doch ein Postfaschist auf einem entscheidenden Machtposten installiert werden. Von der Leyen spielt offenbar auf Risiko – und versucht den gefährlichen Machtpoker. Rom jubelte prompt.
Die EU steht vor gewaltigen Herausforderungen: Migration, Rechtsruck, Wettbewerbsfähigkeit, eine nachhaltige Unterstützung für die Ukraine – und natürlich der Kampf gegen die Klimakrise. Für letzteres setzt von der Leyen nur schwache Signale. Leider. Die nächste Legislatur der EU-Kommission dürfte in dieser Zusammensetzung also deutlich weniger fortschrittlich werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Autounfälle
Das Tötungsprivileg
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Spardiktat des Berliner Senats
Wer hat uns verraten?
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!