Neue Coronaregeln für Berlin: Einfach kompliziert
Nach der Senatssitzung am Samstag ist klar geworden, dass die neuen Regelungen kaum für Klarheit sorgen. Ein harter Lockdown wäre jetzt angebracht.
F ast könnte man lachen. Wenn es nicht so ernst wäre. Nachdem der Regierende Bürgermeister Michael Müller am Samstag gemeinsam mit seinen Stellvertreter*innen Klaus Lederer und Ramona Pop die Beschlüsse der fünfeinhalbstündigen Senatssitzung zur Coronasituation in Berlin verkündete, sagte er Folgendes: „Der einfachste Weg ist der komplette Lockdown.“ Der zweite einfache Weg wäre, so Müller, die Notbremse zu ziehen, die die Ministerpräsident*innenkonferenz von Bund und Ländern beschlossen hatte. Hier wird es absurd: Für keinen dieser beiden Wege hat sich der Senat entschieden.
Stattdessen hat man die fünfeinhalb Stunden Sitzung genutzt, sich eine 50-Prozent-Homeofficepflicht für Unternehmen und ein kompliziertes Geflecht aus Teststrategien zu erdenken. Für diese Geschäfte braucht man einen Negativtest, für jene aber nicht, die Terminpflicht für Baumärkte und Modeboutiquen entfällt wieder, nachdem sie erst vor Kurzem eingeführt worden war. Ach so, und Bürger*innen sollen bitte die Osterfeiertage dazu nutzen, ihre Kontakte „wirklich“ auf ein Mindestmaß zu reduzieren.
Wer bei den unterschiedlichen Regelungen noch einen Überblick behalten soll? Keine Ahnung. Das Motto des Senats scheint nun ganz offiziell zu sein: Warum einfach und effizient, wenn es auch kompliziert und ineffizient geht?
Michael Müller ergänzte seine Ausführungen damit, zu sagen, dass er nicht ausschließen könne, dass der Lockdown in den nächsten Wochen oder Monaten doch noch komme. Nur, wenn uns die Pandemie eines gelehrt hat, dann das: Der Lockdown kommt immer. Je später er kommt, desto länger wird er dauern. Vor Kurzem erklärte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach: „Mit jeder Woche, mit der ein Lockdown später beginnt, verlieren wir nach hinten heraus, um die gleichen Fallzahlen wieder zu erreichen. Und wir haben eine höhere Todeszahl.“
Im Juni noch im Lockdown?
Wissenschaftler*innen beknien die Bundes- und die Landesregierungen seit Wochen geradezu, die Fehler des letzten Jahres nicht zu wiederholen. Neueste Umfragen zeigen, dass ein großer Teil der Bevölkerung für strengere Maßnahmen ist – denn die Menschen haben verstanden, dass sie länger zu Hause sitzen müssen, je später die Maßnahmen beschlossen werden. Bei einer Inzidenz von 138 pro 100.000 und exponentiellem Wachstum wird es nicht mehr lange dauern können, bis ein richtiger Lockdown auch in Berlin kommen muss. Aber in der Zwischenzeit erkranken viele Menschen – und viele werden sterben. Die Intensivstationen füllen sich auch in Berlin weiter – jeder Tag zählt.
Die Osterferien, in denen die Schulen geschlossen sind, wären eine Chance gewesen, begleitet durch einen kurzen, strengen Lockdown, die Zahl der Neuinfektionen zu senken, um bald wieder in ein einigermaßen normales Leben zurückzukehren. Dadurch, dass die Anzahl der Impfungen ab April stetig steigen wird, hätte diese Möglichkeit bestanden. Stattdessen steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Berliner*innen auch im Mai oder Juni noch im Lockdown sitzen müssen – weil die Regierenden nicht vorausschauend handeln, wider besseres Wissen. Fast könnte man lachen. Wenn es nicht so ernst wäre.
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