Neuauflage des Romans „Der Sklavenkrieg“: Mir ist heut so nach Spartakus!
1939 erschien der Roman „Der Sklavenkrieg“ des Schriftstellers Arthur Koestler. Ilja Richters Gedankenspiele zur Neuauflage.
Sollten die Plebejer wieder mal den Aufstand proben, dürften wir das erst beim Ausbleiben unserer bestellten Pizza bemerken; oder wenn unsere Pakete bei Amazon in Bad Hersfeld verkümmern, weil die unterbezahlten Packer unsere Päckchen nicht mehr zu tragen bereit sind. Oder Lieferando-Helden ihre Mopeds anzünden. Dann ist den Unterprivilegierten wieder mal nach Spartakus. Na und?
Das Römische Reich hat nach der Niederschlagung des Sklavenkriegs, 100 Jahre vor Christus, noch weitere 500 Jahre sein imperiales Schindluder getrieben. Außerdem ist, im Gegensatz zur damaligen Todesarbeit eines Versklavten im antiken Rom, heute so ein ungelernter Lohnsklave bei Amazon noch froh darüber, mit seiner Fronarbeit die Familie durchzubringen. Ein unfreier Gladiator wie Spartakus dagegen hatte nur einen einzigen Menschen durchzubringen: sich selbst! Sein Gegner in der Arena war zugleich sein Leidensgenosse.
Mein Papa, in den 1920er Jahren Mitglied im Spartakusbund, ging mit mir 1961 ins Kino zu „Spartakus“. Danach empfand ich Fotos, die er mir anschließend von den 20er-Jahre-Aufmärschen der Spartakuskämpfer zeigte, als irritierend. Wieso trugen Papas Genossen keine Sandalen, und wo steckten die blitzenden Schwerter? Ich war neun. Arthur Koestler wusste noch mit 25 nicht, wofür „Spartakus“ steht!
Luxemburg und Liebknecht
Für den seit 1935 im Pariser Exil lebenden österreichisch-ungarischen Juden und Industriellensohn war der Begriff „Spartakus“ zunächst immer nur ein Name, für den zwei andere standen: Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht; und deren Bund, aus dem die KPD entstand. Ist ja bekannt.
Arthur Koestler: „Der Sklavenkrieg“. Elsinor Verlag, Coesfeld 2021, 392 Seiten, 29 Euro
Weniger hingegen, wie Koestler anno 1935 in Paris eigentlich nur mal kurz im Lexikon unter „S“ nachschlug, was Spartakus sonst noch so alles bedeuten mochte. Und siehe da: „Dreieinhalb Jahre lang, seit meinem Eintritt in die Kommunistische Partei, war ich im Strom der Revolution untergetaucht. Jetzt kam ich zum Luftschöpfen hoch, schaute mir den Strom an, fragte mich, wohin er führte, und versuchte, etwas über die Natur der Kräfte ausfindig zu machen, die ihn in Fluss brachten […].“ So stieß Koestler also auf jenen Sklavenkrieg.
Es war die Initialzündung für eine tiefere Beschäftigung: „Es gab einige offenbare Parallelen zwischen dem ersten Jahrhundert vor Christus und unserem eigenen. Es war ein Jahrhundert sozialer Unruhen, missglückter Revolutionen und gewalttätiger Massenbewegungen.“
„Die Gladiatoren“
Nach seiner Flucht aus Paris vor den Nazis vollendete Koestler in Zusammenarbeit mit Edith Simon seinen Roman „Der Sklavenkrieg“ in London. Dort erschien dann auch das Buch im März 1939 und im selben Jahr in den USA. „Die Gladiatoren“ hieß das Werk nun. Dass der Autor den Stoff gerne für großes Kino nach Hollywood verkauft hätte, liegt nahe. 1960 entstand denn auch der Film „Spartakus“ mit Kirk Douglas.
Aber ohne Koestler als Filmautor. Den Auftrag erhielt Dalton Trumbo, ein Drehbuchautor aus Hollywood, dem Klatschkolumnistin Hedda Hopper immer noch übel nahm, in den 1950er Jahren bekennender Kommunist gewesen zu sein. Auch John Wayne setzte zu einer Hexenjagd an, als wollte er die Restarbeit des 1950er-Jahre-Tribunals „gegen unamerikanische Umtriebe“ in die Kennedy-1960er hinüberretten.
Schauspieler und Mitproduzent Kirk Douglas sagte später, dass er sich nur ein einziges Mal in seinem Leben als wirklicher Held gefühlt habe: Als er allen Drohungen und Warnungen zum Trotz an Dalton Trumbo, dem links stehenden Drehbuchautor, festhielt. Der 2015 entstandene US-Film „Trumbo“ erzählt davon.
Einen Oscar in der Kategorie „Bestes Drehbuch“ trug der so lange geächtete Autor für seinen „Spartakus“ nach Hause. Wer weiß, ob sich ein Mann wie Koestler mit Hollywoods Produzenten hätte arrangieren können. Auch ein trotziger Trumbo musste inhaltliche Kompromisse eingehen. Koestlers Anspruch, einem antiken Stoff den ihm angemessenen Faltenwurf der Geschichte überzuwerfen, wäre bei den Mächtigen der Traumfabrik sicher auf Widerstand gestoßen.
Trumbo musste sich, trotz frischen Oscar-Glanzes, bald darauf 1961 von der Fachpresse die Kritik gefallen lassen, dass sein Drehbuch „Exodus“ dem Roman von Leon Uris nicht gerecht geworden sei. Zu vereinfacht würde hier die Gründung des Staates Israel an der Historie vorbeiflimmern.
Das wiederum wäre einem Koestler kaum passiert! Ob Staatsgründung Israels oder Gladiatoren-Revolte, seinen Hass auf jedweden Krieg spiegeln Sätze wie diese wider: „Der Haken bei allen Kriegen ist allerdings, dass die Erscheinungen, welche sie hervorbringen, nur sehr mittelbar mit der ursprünglichen Absicht oder dem Anlass verknüpft sind. Diejenigen, die ihn tatsächlich führen, denken nicht in Begriffen wie ‚Demokratie‘, ‚nationales Selbstbestimmungsrecht‘, ‚spanische Thronfolge‘ oder ‚Abschaffung der Sklaverei‘. Sie singen, grölen und träumen von ihren Lieblingsspeisen, masturbieren und zählen ihre Läuse.“
So legt Koestler 1949 im zunächst in England erschienenen Buch „Mit dem Rücken zur Wand. Ein Augenzeugenbericht“ als zionistischer Kriegsberichterstatter Haltung über ideologische Grenzen hinweg an den Tag. Viele Araber hatten die Zwei-Staaten-Lösung abgelehnt. Zionist Koestler lehnte die Verwüstung palästinensischer Dörfer ab.
Zionistischer Kriegsberichterstatter
„Die Kamele und die Esel, die Wasserpfeifen und die Schuhputzerjungen, diese schwere Duftwolke orientalischer Gewürze, die durch die Souks strömte – alles fort. Die Lehmhütten in den Armenvierteln entlang der Küstenstraßen wurden gesprengt, ihre Bewohner sind weggezogen. Ein neuer Exodus, doch mit der gleichen Verwüstung!“ So etwas hätte der „Exodus“-Filmproduzent Otto Preminger nie gestattet. Und Kirk Douglas auch nicht bei Spartakus!
Koestler war ein großer Schriftsteller, der andere Größen provozierte. Seinen 1940 erschienenen Roman „Sonnenfinsternis“ lehnten Sartre, Havemann und Brecht vehement ab. Ein durch Psychofolter gebrochener Held der sowjetischen Revolution gab darin am Ende eines Schauprozesses sein „Schuldbekenntnis als Konterrevolutionär“ ab.
Das gefiel den Herren weder inhaltlich noch vom geschichtlichen Zeitpunkt her. Denn so eine Geschichte über Stalins Folterknechte kurz vor Eintritt der Alliierten ins Bündnis mit Russland gegen Nazideutschland galt als Todsünde eines vom „Glauben“ abgefallenen Genossen. Noch 1947 hatte Frankreichs Kommunistische Partei nichts Besseres zu tun, als die Neuauflage von „Sonnenfinsternis“ aufzukaufen.
So brisant ist „Der Sklavenkrieg“ natürlich nicht, aber auch kein altväterlicher Historienschinken. Inmitten beklemmend realistischer Schlachtszenen gibt es sogar Humorvolles. Wenn zum Beispiel die Wache vor dem Lager der Sklavenkrieger den Schriftsteller Vulinus aufhält und Koestler schreibt: „‚Ich will zum Spartakus, damit ich die Chronik Eures Feldzuges aufschreiben kann.‘ ‚Das ist doch nicht interessant‘, sagte die Wache. ‚Man geht immer von einer Stadt zur anderen und schlägt sich herum.‘ “
„Widerliche Massenschlägereien“
Das klingt wie von einem erschöpften Tourneeschauspieler. Sehr pointiert auch die Szene mit dem Veranstalter von Gladiatorenkämpfen, der einem Bewunderer sein Leid klagt: „Sehen Sie, mein Geschätzter, das gesamte Festspielgewerbe macht gegenwärtig eine Krise durch, die das Publikum verschuldet hat. Es schätzt immer weniger das gute, sorgfältig durchgearbeitete Material und die unglaublichen Kosten, die darin stecken, und ist stattdessen auf unsinnige Massenschlächtereien erpicht. Die Quantität verdrängt die Qualität; das Publikum verlangt, dass jede größere Veranstaltung mit einer dieser widerlichen Massenschlächtereien abschließt. Haben Sie sich einmal überlegt, was das für den Unternehmer bedeutet?“
Falls Ihnen das noch nicht zu komisch klingt, wäre da noch der zumindest tragikomische Selbstmordversuch des von Spartakus besiegten „Praetor Clodius Glaber“. In letzter Sekunde, nachdem er sich ausmalt, was die Spitze seines Dolches körperlich in ihm anrichten würde, stellt der militärische Versager fest, „dass das Sterben eine Dummheit ist – noch ungleich viel dümmer, als zu leben“.
Dennoch: Koestler ergänzt als mitreißender Porträtist des Spartakus auf 361 Seiten, was den damaligen römischen Chronisten Livius, Plutarch, Appian und Florus „weniger als zehn Seiten“ wert gewesen ist, weil sie es vorzogen, „so wenig wie möglich darüber zu sagen“.
Warum die Revolte des historischen Spartakus, der anfangs 70 Sklaven anführte und auf dem Höhepunkt seiner Macht mit 120.000 Kriegern Süditalien eroberte, nicht zur Revolution wurde? Googeln Sie nicht. Lesen Sie Koestler. Man muss die Zeichen der Zeit erkennen. Bei mir zum Beispiel klingelt es gerade: Der Pizza-Sklave ist da.
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