Netflix-Miniserie von Scorsese: Was man essen kann, ist keine Kunst
„Pretend It’s a City“ feiert die messerscharf komische New Yorker Autorin Fran Lebowitz. Regie führt ihr langjähriger Freund Martin Scorsese.
Hierzulande ist sie noch zu entdecken. In den USA hat die New Yorker Autorin Fran Lebowitz längst Kultstatus, vor allem ihres Witzes wegen. Jetzt hat der seit Langem mit ihr befreundete Regisseur Martin Scorsese mit der Netflix-Miniserie „Pretend It’s a City“ der größeren internationalen Öffentlichkeit noch einmal nachgeholfen. Auf sieben Folgen ist Lebowitz der alleinige Star, trotz diverser Prominenter an ihrer Seite, und spricht zu den unterschiedlichsten Themen. Scheinbar dahingeplaudert.
Für alle Fragen, zu denen sie sich äußert, vermag Lebowitz den Gegenstand ihrer Betrachtung in einfachen Worten so auf den Punkt zu bringen, dass sich ein komischer Überraschungseffekt einstellt. Nicht weil sie eine völlig schräge Perspektive auf die Dinge hätte, sondern weil sie vielmehr an gern übersehene Selbstverständlichkeiten appelliert. Ihre Äußerungen als Gast in Talkshows oder bei Auftritten vor Publikum sind Zeitdiagnose voller Sarkasmus. Nicht selten fühlt man sich selbst ertappt.
Etwa wenn die leidenschaftliche Spaziergängerin sich beklagt, dass die von ihr wenig geliebten „fellow men“, ihre Mitmenschen, auf der Straße ständig in sie hineinliefen, weil sie ihren Blick nicht auf den Weg vor sich, sondern auf das Display ihres Smartphones geheftet hätten. Viele ihrer Statements fangen beim unmittelbaren Erleben vor der Haustür an, haben etwas von der obsessiven Selbstbespiegelung, mit der New Yorker in ihrer Wahrnehmung um die eigene Stadt kreisen.
Doch Lebowitz kommt oft zu Schlussfolgerungen, deren Bedeutung weit über den Horizont Manhattans oder der USA hinausreicht. Sei es ihre Feststellung, dass man bei Auktionen, wenn etwa ein Picasso versteigert wird, nicht bei der Nennung des Künstlers applaudiert, sondern bei der Verkündung des Höchstgebots, dass mithin nicht die Kunst, sondern das Geld beklatscht werde.
Von der Taxifahrerin zur Bestseller-Autorin
Oder wenn sie das Selbstverständnis mancher Konditoren, wonach ihre Kreationen Kunst seien, mit dem Satz kommentiert: „Wenn man es essen kann, ist es keine Kunst, sondern ein Snack.“
Fran Lebowitz wurde 1950 in New Jersey geboren und kam, wie sie in der Serie schildert, aus behüteten jüdischen Verhältnissen. Aus der Highschool flog sie raus, ging mit 19 Jahren nach New York und begann bald zu schreiben, ihr Geld verdiente sie zunächst noch mit Jobs wie Taxifahren. Bei den männlichen Kollegen sei sie sehr unbeliebt gewesen. Bald schon schrieb sie für Magazine, darunter Andy Warhols Interview, war befreundet mit Künstlern wie dem Musiker Charles Mingus.
„Pretend It’s a City“. Regie: Martin Scorsese. Läuft auf Netflix
Lebowitz’ Bücher mit ihren Kolumnen wie „Metropolitan Life“ (1978) wurden in den USA Bestseller, in deutscher Übersetzung gibt es sie nicht. Seit Jahrzehnten leidet die unermüdliche Leserin mit einer Bibliothek von 10.000 Büchern jedoch an einer Schreibblockade, weshalb sie ihr Geld inzwischen bei Auftritten verdient. Sogar als Schauspielerin war sie schon zu erleben, zum Beispiel als Richterin in Scorseses Finanzthriller „The Wolf of Wall Street“ von 2013.
Eine New Yorker Flâneuse
Ein Großteil der Serie besteht daher aus Archivmaterial von Talkshows mit so unterschiedlichen Gesprächspartnern wie den Schauspielern Alec Baldwin und Olivia Wilde oder dem Filmregisseur Spike Lee. Die meiste Zeit ist Lebowitz aber an der Seite von Martin Scorsese zu sehen, wechselnd vor großem Publikum oder in kleiner Runde in einer Bar.
Dazwischen ist Lebowitz immer wieder unterwegs in der Stadt, bevorzugt zu Fuß, trotz der vielen Menschen, denen sie regelmäßig ausweichen muss. Oder sie schlendert durch das 1964 vom Stadtplaner Robert Moses für die New Yorker Weltausstellung entworfene Miniaturpanorama der Metropole, schleicht behutsam auf dem Hudson zwischen Hochhäusern entlang.
Empfohlener externer Inhalt
Pretend It’s a City
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Ein Problem an den vielen Auftritten Scorseses als Nebendarsteller ist, dass dieser, wenn kein anderes Publikum zugegen ist, zugleich die Funktion des „canned laughter“ übernimmt, das in Fernsehserien eingespielte Gelächter aus dem Off, mit dem die Zuschauer vor den Geräten signalisiert bekommen, dass ein Witz gemacht wurde.
Sobald Lebowitz zu sprechen ansetzt, kann sich Scorsese kaum noch halten. Als bräuchten ihre Statements die Autorisierung durch den Regisseur. Wobei Scorsese in der Sache allemal recht hat: Man kann bei Lebowitz fast immer lachen, selbst da, wo es wehtut.
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