Netanjahus Besuch in Ungarn: Brüder im Geiste
Der israelische Regierungschef versteht sich mit seinem Amtskollegen Orbán prächtig. Doch es gibt antisemitische Misstöne.
Das Treffen sollte also harmonisch werden – wäre da nur nicht die Affäre um George Soros. Der 86-Jährige spendet schon lange regelmäßig große Summen an Organisationen, die sowohl die Politik Israels als auch die Ungarns kritisieren. Seit 1984 hat der Milliardär, der als ungarischer Jude den Holocaust überlebt hat, 1947 in die USA auswanderte und sein Geld mit Hedgefonds und Währungsspekulationen machte, über 400 Millionen Euro für liberale Projekte allein in Ungarn investiert.
Die Aktivitäten von Soros sind dem rechtspopulistischen Orbán schon länger ein Dorn im Auge. Vor einiger Zeit hat der Politiker eine 20 Millionen Euro teure Kampagne gegen Soros angeschoben: So hingen bis zum Wochenende überall in Ungarn Plakate, die das lachende Gesicht des alten Philantropen zeigten. „Lasst nicht zu, dass Soros zuletzt lacht!“, stand darauf. Die Plakate klebten auch auf dem Boden von Straßenbahnen und öffentlichen Bussen, sodass die Passagiere gezwungen waren, auf dem Gesicht von Soros herumzutrampeln.
Ein weiteres Motiv zeigte Soros, wie er die Fäden einer Marionette mit dem Gesicht des sozialdemokratischen Oppositionsführer László Botka zieht. Die Plakatkampagne bediente unverhohlen antisemitische Vorurteile, was sogar der sonst regierungsfreundlichen jüdischen Gemeinde Ungarns zu weit ging.
Er lässt sie gewähren
Das Motiv mit dem Marionettenspieler ist aus der Zeit des „Dritten Reichs“ inspiriert – und einige Ungarn haben die Botschaft des Posters mit dem grinsenden Bösewicht so verstanden, wie sie offenbar gemeint war: Sie versahen sie mit dem Zusatz „Stinkender Jude“.
Viktor Orbán selbst, der 1989 dank eines Soros-Stipendiums in London studieren konnte, sagen nicht einmal seine Gegner antisemitische Positionen nach. Doch lässt er seine Parteifreunde gewähren, wenn sie sich einschlägiger Klischees bedienen.
Dem Protest der jüdischen Gemeinde entgegnete Orbán, die Juden sollten doch froh sein, dass er durch seine Abschottungspolitik den (islamischen) Antisemitismus fernhalte.
In Ungarn geht es bei den von Soros unterstützten regierungskritischen Organisationen um die Flüchtlinge. In Israel setzen sich die Gruppierungen, die Soros finanziert, für die Gleichberechtigung von Arabern und Juden ein sowie für das Ende der Besetzung palästinensischer Gebiete. Soros selbst zeigte sich „erschüttert über den aktuellen Gebrauch antisemitischer Bildsprache als Teil der vorsätzlichen Desinformationskampagne des ungarischen Regimes“.
Zugleich mache es ihm Mut, sagte er, „dass sich die Leitung der Vereinigung der jüdischen Gemeinden Ungarns gemeinsam mit zahlreichen Mitbürgern“ klar dagegen verwahrt habe.
Über seinen Pressesprecher Michael Vachon ließ Soros mitteilen, dass die internationale Staatengemeinschaft den Entwicklungsländern, die heute 89 Prozent der Flüchtlinge unterbringen, mehr Unterstützung bieten sollte. Zudem forderte er, Europa solle mehrere Hunderttausend sorgfältig überprüfte Flüchtlinge aufnehmen. Es ginge nicht an, so teilte Soros’Sprecher weiter mit, „dass berechtigte Asylbewerber ihr Leben riskieren, wenn sie das Mittelmeer überqueren, um sich in Sicherheit zu bringen“.
Hilfe für Minderheiten
Zu den israelischen Empfängern der Soros-Spenden gehört die Bürgerrechtsorganisation Adalah. Diese konzentriert sich auf die Situation der arabischen Minderheit im Land und hat jetzt gefordert, eine Autopsie bei drei arabisch-israelischen Attentätern vorzunehmen. Die Männer hatten am Freitag zwei Polizisten auf dem Tempelberg in Jerusalem ermordet, bevor sie selbst von der Polizei erschossen wurden.
Adalah hält die Autopsie für erforderlich, um zu prüfen, ob die Sicherheitsbeamten am Tatort angemessen vorgingen, als sie die drei Angreifer zur Strecke brachten, oder ob sie vorschnell handelten. Ein erneutes Verfahren gegen einen israelischen Sicherheitsbeamten käme der Regierung alles andere als gelegen.
Netanjahu, so schreibt Allison Kaplan Sommer in der Tageszeitung Ha’aretz, „mag sich selbst als Anführer des jüdischen Volkes betrachten, aber es gibt doch Juden, die er mit ausgesprochen wenig Enthusiasmus repräsentiert. Und Soros steht vermutlich ganz oben auf dieser Liste.“
Netanjahu bremste den israelischen Botschafter in Budapest, Yossi Amrani, als der die Plakatkampagne gegen Soros verurteilte, weil sie „nicht nur traurige Erinnerungen wachrüttelt, sondern auch Hass und Angst schürt“.
Einerseits und andererseits
So scharf wollte die Regierung in Jerusalem ihre Kritik nicht formulieren. „Der Staat Israel kämpft gegen jede Form von Antisemitismus“, erklärte Emmanuel Nahshon, Sprecher des israelischen Außenministeriums, auf telefonische Anfrage. „Auf der anderen Seite darf das nicht als Zustimmung zu Soros verstanden werden“, der viele Organisationen unterstützt, die „Israels demokratisch gewählte Regierung unterminieren“. Auf keinen Fall wolle Israel die Kritik der ungarischen Regierung an Soros delegitimieren“, verlautete aus Jerusalem.
Die Plakatkampagne war nur der Höhepunkt des Feldzugs, den rechtsnationalistische Politiker in Budapest gegen den von ihr als Staatsfeind Nummer 1 verteufelten Soros führen. So hat das Parlament im April ein neues Hochschulgesetz vorgelegt, das auf die Schließung der von Soros gegründeten Central European University abzielt.
Und im Juni verabschiedete es ein „Transparenzgesetz“. Dieses verpflichtet Nichtregierungsorganisationen (NGOs), die internationale Gelder bekommen, sich als „vom Ausland finanzierte Organisation“ zu registrieren. Das „Transparenzgesetz“ dürfte unmittelbar von einem 2016 in Israel verabschiedeten NGO-Gesetz inspiriert sein; sein Inhalt ist ähnlich.
Wer da applaudiert
Auf der Facebookseite der Ungarn in Israel sind die Reaktionen eindeutig. „Bravo Israel“, lobt ein Nutzer Israel für den Kampf gegen Soros an der Seite Ungarns. Ein anderer Kommentator beschimpft Soros als „Judenhasser“ und „Nazikollaborateur“.
Demgegenüber sind sich die Zeitungskommentare in Israel überwiegend einig in ihrer Kritik am Besuch Netanjahus in Ungarn: „Wenn Antisemitismus legitim wird“, lautet der Titel einer Analyse, die Yossi Dahan jetzt in Ha’aretz veröffentlichte.Beide Politiker, schreibt er, teilten ähnliche Vorstellungen über ein wünschenswertes Regime: eine „antidemokratische Vision“.
Was verbindet Netanjahu und Orbán noch? Beide verfolgen ähnliche Strategien, den Einfluss ihrer Kritiker systematisch zu unterdrücken, mehr Einfluss über die Medien zu gewinnen und Minderheiten zurückzudrängen. Und beide möchten kooperieren: Die Ungarn interessieren sich für Israels erfolgreiche Abwehr afrikanischer Flüchtlinge, für Grenzzäune und Mauern. Der israelische Premier wiederum hofft auf Rückendeckung der Osteuropäer gegen die Kritiker der israelischen Regierungspolitik in der EU. Außerdem könnte Ungarn Absatzmarkt für Israels Gas werden.
Ganz neuer Sinn
Die gemeinsamen Interessen wiegen schwerer als der Streit über Soros. Das zeigte sich auch daran, dass Netanjahu sogar die Lobrede Orbáns auf den früheren ungarischen Diktator Miklós Horthy unkommentiert ließ. Horthy hatte mit Hitler kollaboriert und den Abtransport Hunderttausender ungarischer Juden ermöglicht. Diese Haltung empört Regierungskritiker in Israel: „Bevor sich Viktor Orbán nicht persönlich und voll entschuldigt, sollte Regierungschef Netanjahu seine Reise nach Ungarn absagen“, schrieb der Oppositionspolitiker Yair Lapid, selbst Nachkomme eines ungarischen Holocaust-Überlebenden.
Auch in Ungarn regt sich inzwischen Kritik. Einige Plakatsprüche sind übermalt: Anstelle von Soros steht dort der Name Orbán, andernorts haben Witzbolde den Text verändert. Deckt man einige Buchstaben ab, kommt ein ganz neuer Sinn heraus. Etwa: „Bilden Sie keine Schlange vor den Klos!“ Mit der Empfehlung: „Sie sollten sich angesichts dieser Propaganda zu Hause übergeben.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Bundestag bewilligt Rüstungsprojekte
Fürs Militär ist Kohle da
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Kürzungen im Berliner Haushalt
Kultur vor dem Aus
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht räumt Irrtum vor russischem Angriff ein
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren