Nestroy-Theaterpreis für Emmy Werner: Erfindet euch immer wieder
Emmy Werner wurde 1988 erste Direktorin des Wiener Volkstheaters. Für ihre künstlerischen Erfolge erhält sie den begehrten Nestroy-Theaterpreis.
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Die Jahreszahl lässt aufhorchen. War das deutschsprachige Repertoiretheater, das sich doch immer als zeitgemäße Inkarnation der Aufklärung ansah und in den 1970er und 1980er Jahren weiter politisierte, in der Führungsebene tatsächlich so lange ein hermetischer Männerclub? Wie erklärt sich, dass dieser Widerspruch im Theater zwischen Struktur und Programmatik, zwischen feudalen Hierarchien und gesellschaftskritischem Pathos nicht früher ein Thema war?
Umso interessanter erscheinen die Momente, in denen diese Phalanx gebrochen wurde, und vor allem wie. Genau genommen war Emmy Werner nicht die erste Intendantin im deutschsprachigen Theaterbetrieb. Am Berliner Ensemble gingen ihr mit Helene Weigel und Ruth Berghaus große Vorbilder voran. Aber sie war die Erste, die nicht die Kontinuität einer männlich dominierten Ensemblearbeit fortsetzte.
Sie kämpfte künstlerisch und politisch auf eigene Rechnung. Am Volkstheater blieb sie siebzehn Jahre bis 2005, länger als alle anderen Direktoren vor und nach ihr. Diese Jahre zählt man in Wien heute zu den besseren Zeiten des 1889 gegründeten Hauses und ehrt Emmy Werner in diesem Jahr – am 5. November – mit dem Theaterpreis „Nestroy“ für ihr Lebenswerk.
Feministische Diskurse im Theaterkeller
Viele Gesichter, die den österreichischen Film prägen, haben damals „bei der Emmy“ ihre Sporen verdient. Lang ist die Liste nicht nur österreichischer Gegenwartsautor:innen, die sie gegenüber einem abwartenden Publikum und einer oft zweifelnden lokalen Kritik am Theater durchsetzen konnte.
Ihre Karriere ist auch Resultat gesellschaftspolitischer Umbrüche der 1980er Jahre. In Wien, wo die Zukunft manchmal etwas länger braucht, um in der Gegenwart anzukommen, gehört diese Dekade zu den spannenderen. Die ambitionierte Schauspielerin Emmy Werner wurde eine ihrer Protagonistinnen. Sie funktionierte 1981 ein verstaubtes Warenlager in einer Nebenstraße der Wiener Innenstadt zur Bühne um.
Das „Theater Drachengasse“ war bald ein Ort für jene, denen das verzopfte, selbstgefällige Spiel der damaligen Wiener Großbühnen nichts mehr sagte. Vor allem aber wurde es zum Hotspot des feministischen Diskurses, dass selbst Regierungsmitglieder bald nicht mehr umhinkamen, sich in ihren Theaterkeller zu zwängen.
So gelang es ihr 1988, mit einer progressiven Agenda aus der Nische ins Zentrum des institutionalisierten Kulturbetriebs vorzudringen und sich dort zu behaupten. Die Rosen, die Emmy Werner heute in Wien von nahezu allen Seiten gestreut werden, waren in ihrer Anfangszeit eher rar, bisweilen überwogen Gift und Galle. Claus Peymann, der zwei Jahre zuvor ans Burgtheater kam, ätzte damals, in drei Monaten müsse er wohl diese Bühne auch noch übernehmen.
Performative Qualität ihres Auftritts
Den sozialdemokratischen Kulturstadtrat Franz Mrkvicka, der sich Emmy Werner einst als frauenpolitischen Meilenstein in den Kopf gesetzt hatte, erklärten viele auch in seiner Partei zunächst für verrückt. Frauen, die etwas wollten, erhielten damals in Wien leicht ein solches Prädikat. Bei allen Errungenschaften der Moderne, die diese Stadt hervorgebracht hat, existieren hier zuweilen bis heute die Restformen eines eigentümlichen Sexismus mit freundlichem Antlitz, jener „Küss die Hand, Gnä’ Frau“-Schmäh, mit dem sich weibliche Ambitionen nonchalant ins Abseits befördern lassen.
Emmy Werner hat früh wirksame Gegengifte fürs gesellschaftliche Parkett entwickelt. Den latenten Vorwurf an ambitionierte Frauen, „schwierig“ zu sein, konterkariert sie im expressiven Auftreten mit dem Image der „Streitbaren“, die zwar hart in der Sache loslegt, aber nie unversöhnlich gegen die Person auftritt
Als pointensichere Nestroyspielerin weiß sie ohnehin regelmäßig die Debatte mit einem eleganten Bonmot zu ihren Gunsten zu entscheiden. Es ist die performative Qualität ihres gesamten Auftritts, die ihr auch nach der Zeit am Volkstheater Autorität und Durchschlagskraft verleiht, bis hin zur Extravaganz ihrer Kleidung und der meist roten, an den Rändern spitz zulaufenden Brille, ihrem Markenzeichen.
Ihr Rollenmodell lehrt, wie sich der male gaze ein Stück weit unterlaufen lässt, der alle Zeichen, die weiblich konnotiert sind, sowohl fetischisiert als auch tabuisiert. Brav sein hilft jedenfalls nicht, defensiv reagieren, dezente Schminke und ein dunkelblauer Hosenanzug auch nicht. Die Botschaft an die Frauen kommender Generationen lautet vielmehr: Seid laut, seid nicht nett und erfindet euch immer wieder selbst!
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