Naturkatastrophe in Nepal: Das schlimmste Erdbeben seit 1934
Seit dem Beben nahe Kathmandu am Samstag sind mehr als 2.400 Menschen gestorben. Tausende sind verletzt. Die Krankenhäuser sind überfüllt.
KATHMANDU dpa | Leichen aufgereiht vor Hospitälern in Nepal, ganze Bergdörfer in Schutt, verheerende Lawinen am Mount Everest: Ein gewaltiges Erdbeben im Himalaya der Stärke 7,8 hat Tod und Zerstörung gebracht – es war das stärkste Beben in Nepal seit mehr als 80 Jahren.
Die Rettungskräfte in Nepal, Indien, China und Bangladesch bargen bis Sonntag mehr als 2.400 Leichen. Tausende Menschen wurden nach offiziellen Angaben verletzt. Das ganze Ausmaß der Zerstörung war noch nicht abzusehen, weil viele abgelegene Dörfer zunächst nicht erreicht wurden. Eine internationale Hilfswelle lief an.
Der Erdstoß am Samstag zerstörte große Teile der Infrastruktur Nepals, zahlreiche alte Häuser sowie Weltkulturerbe- und Pilgerstätten. Die Bewohner von Kathmandu flohen auf die Straßen und trauten sich nicht in ihre Häuser zurück, weil zahlreiche Nachbeben die Region weiter erschüttern. Alle Parks, Gehwege und öffentlichen Plätze hätten sich in Zeltstädte verwandelt, sagte ein Sprecher des Roten Kreuzes. Selbst Krankenhäuser sind so überfüllt, dass sie im Freien behandeln. Präsident Ram Baran Yadaf habe ebenfalls in einem Zelt geschlafen, sagte sein Sprecher in einem lokalen Radio.
Notstand ausgerufen
Am Mount Everest starben mindestens 18 Menschen, als eine viele Stockwerke hohe Staublawine über das Basislager des höchsten Berges der Welt fegte. Dort hielten sich rund 1000 Menschen auf. 65 Verletzte seien aus dem Lager ausgeflogen worden, sagte der Vizepräsident der nepalesischen Bergsteigervereinigung, Santa Bir Lama. Zu etwa 100 bis 150 Menschen in der Everest-Region bestehe derzeit kein Kontakt. Viele von ihnen könnten in höheren Camps am Berg sein, hieß es.
Nepal hat den Notstand in den betroffenen Gebieten ausgerufen, in denen 6,6 Millionen Menschen leben. Die Krankenhäuser und Leichenhäuser seien überfüllt, Blutkonserven und Medikamente gingen zur Neige, erklärten die Vereinten Nationen. Schulen und Universitäten bleiben für eine Woche geschlossen. Die Stromversorgung könnte lange ausfallen, da das Erdbeben die Wasserkraftwerke beschädigt hat, von denen Nepal fast all seinen Strom bezieht.
In Nepal kamen nach Angaben aus dem Innenministerium 2.352 Menschen ums Leben. In Indien starben 50 Menschen, in China sechs und in Bangladesch eine Frau. Tausende Verletzte werden behandelt. Die Zahl der Toten könne weiter steigen, sagte Laxmi Dhakal vom nepalesischen Innenministerium. Das Finanzministerium in Kathmandu erklärte, die Familie jedes Todesopfers erhalte umgerechnet 360 Euro.
Touristen sitzen in Nepal fest
Koordiniert wird die Hilfe für Nepal vom UN-Büro zur Nothilfe-Koordinierung (OCHA). Hilfsflugzeuge aus aller Welt erreichten die Hauptstadt Kathmandu, mit Gütern wie Nahrungsmitteln, Medikamenten und Kommunikationsgeräten. Der Flughafen war laut Polizei am Wochenende nur vorübergehend für Linienflüge offen – die Landebahn wurde wegen der Nachbeben immer wieder geschlossen. Deswegen sitzen zahlreiche Touristen in Nepal fest. Derzeit ist dort Hauptsaison für Bergsteiger und Wanderer.
Das Epizentrum des Bebens lag etwa 80 Kilometer westlich von Kathmandu. Dort lägen die Dörfer direkt an großen Berghängen und die Häuser bestünden aus einfachen Stein- und Felskonstruktionen, sagte Matt Darwas von der Hilfsorganisation World Vision. „Viele dieser Dörfer sind nur mit Geländewagen und zu Fuß erreichbar, manche Stunden oder sogar Tagesmärsche von der Hauptstraße entfernt.“
Nepals Regierungschef Sushil Koirala bat „ausländische Freunde“ um Hilfe und Unterstützung. „Wir werden diese dunkle Zeit zusammen durchstehen“, sagte er. Papst Franziskus sprach den Opfern der Erdbebenkatastrophe sein Beileid aus. Bundespräsident Joachim Gauck und Kanzlerin Angela Merkel hatten sich in ersten Reaktionen tief betroffen gezeigt. Zahlreiche Helfer machten sich aus Deutschland auf den Weg. Millionenbeträge verschiedener Regierungen sollen zusätzlich die Not lindern helfen.
„Alles ist weg“
Fast nirgendwo in Kathmandu gab es Strom, manche Menschen halfen sich mit Solarlampen und luden ihre Handys an Autobatterien. Wie es in den abgelegenen Städte und Dörfern in dem Himalaya-Land aussah, war zunächst kaum zu überblicken. Das Dorf Barmak, unter dem das Epizentrum des Bebens lag, sei fast vollständig zerstört, sagte ein Sprecher des Innenministeriums. Augenzeugen berichten, dass Helfer an vielen Orten mit bloßen Händen nach Überlebenden graben.
„Ich habe meine Angehörigen und alle meine Nachbarn verloren“, sagte eine Frau aus dem Ort Jaybageshwari einem örtlichen Radiosender. „Kann jemand, der überlebt hat, uns helfen? Wir haben weder Essen noch Kleidung. Alles ist weg.“
Hilfsorganisationen riefen die Menschen in Deutschland zum Spenden auf. Care etwa plant, bis zu 75.000 Menschen mit Notunterkünften, Nahrungsmitteln, Wasserreinigungstabletten und dem Bau von Latrinen zu unterstützen. Das Deutsche Medikamentenhilfswerk action medeor packt Verbands- und Nahtmaterialien, chirurgisches Besteck, Schmerzmittel, Antibiotika und Spritzen für seine Partner.
Augenzeugen berichteten, vielfach hätten die Menschen nur noch Kekse und Trockenfrüchte übrig. Hilfsorganisationen fürchten, dass bald auch das Wasser und die Medikamente ausgehen. Auch die Ärzte sind an vielen Orten bereits überlastet. „Unter den Toten sind viele Kinder“, sagte Doktor Pratab Narayan aus dem Teaching-Krankenhaus. „Wir sind völlig überwältigt von der Zahl an Menschen.“
Die deutsche Botschaft in Kathmandu wurde ebenfalls beschädigt. Das Auswärtige Amt rät Touristen von Touren in die Erdbebengebiete zunächst ab.
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