Natur wird Privateigentum: Fluss zu verkaufen
Ein Stück des niedersächsischen Flusses Jeetzel in Hitzacker steht zum Verkauf. Doch wie ist so etwas überhaupt möglich? Ein Ortstermin
Die Jeetzel hat ein Problem: Niemand will sie haben. Der Bund nicht, der ein Stück von ihr zum Kauf ausgeschrieben hat. Und das Land Niedersachsen nicht, das den Flussabschnitt kaufen könnte, aber zögert. So wäre es möglich, dass die Jeetzel in private Hände fällt.
Die Jeetzel entspringt als Jeetze in Sachsen-Anhalt. Mehr als 73 Kilometer fließt die Jeetzel, bis sie schließlich bei Hitzacker in die Elbe mündet. Ein Teil des niedersächsischen Städtchens – die sogenannte Stadtinsel – wird von Elbe und Jeetzel umschlossen.
Eike Weiss ist hier aufgewachsen. „Als Jugendliche sind meine Freunde und ich oft zur Stadtinsel getrampt, weil keine Busse fuhren“, erzählt er, während er in blank geputzten Lederschuhen auf einer der Brücken über die Jeetzel steht. Hauptberuflich arbeitet Weiss für die Grünen-Bundestagsabgeordnete Julia Verlinden. Seit November kam die Rettung seines Heimatflusses hinzu.
In den 1950er-Jahren wurden die letzten 820 Meter der Jeetzel von der Drawehnertorbrücke bis zur Mündung in die Elbe vom Land Niedersachsen an die Bundesrepublik übertragen, damit der Zoll auf dem Flussstück seine Boote stationieren konnte – auf der anderen Elbseite begann die DDR. Nach der Wiedervereinigung lagen die Vermessungsschiffe des Wasser- und Schifffahrtsamtes auf der Jeetzel. Inzwischen wurde das Amt verlegt, auf dem Wasser treiben nur noch private Segelboote. Der Bund beschloss, den nun arbeitslosen Flussabschnitt zu verkaufen.
95.000 Euro sind die 820 Meter Jeetzel wert, den Preis setzte das Bundesamt für Immobilienaufgaben fest. Die überschuldete Stadt Hitzacker konnte das Geld nicht aufbringen. Niedersachsen hätte zwar das Geld, zeigte aber kein gesteigertes Interesse daran, den Flussabschnitt zu kaufen. Dabei gehören ihm bereits die restlichen 72,2 Kilometer, und bei Hochwasser muss es für entstandene Schäden aufkommen.
Das ist ein reales Problem: Seit 2002 wurde die historische Stadtinsel bereits fünf Mal von Hochwassern geflutet, wie sie eigentlich nur alle hundert Jahre auftreten. Am Elbufer wurde ein neuer Schutzwall errichtet. Bunte Ringe an langen Messstäben zeigen, wie hoch das Wasser stand. 2011 und 2013 schützte der Wall Hitzacker vor Rekord-Wasserständen von 7,70 und 8,10 Metern.
Die Vorstellung, dass die Jeetzel von einem privaten Investor gekauft werden könnte, gefiel einigen der 4.900 Einwohner Hitzackers nicht. „Es ist uns egal, wer sie kauft. Die Jeetzel muss in öffentlicher Hand bleiben“, sagt Eike Weiss. Deshalb gründete sich im November 2016, als das Immobilienamt der Bundesrepublik eine neue Frist zum Verkauf des Fluss ansetzte, der Verein „Gemeinsam für Hitzacker“. „Das Thema geisterte schon lange durch den Stadtrat“, sagt Weiss. Doch plötzlich wurde es real: Das Immobilienamt entschied, dass nach dem 31. Dezember 2016 das öffentliche Vorkaufsrecht erlöschen sollte.
Wer einen Fluss kaufen will, der sollte sich darüber im Klaren sein, dass er nicht alles kauft, was vermeintlich zum Fluss gehört. Die Ufer verbleiben in öffentlicher Hand; ebenso das Wasser, dessen Eigentumsrechte bei fließenden Gewässern schwierig zu bestimmen sind. Lediglich das Flussbett und die Fischereirechte stehen somit zum Verkauf.
Doch dass reichte bereits, um private Interessenten wie die Tierrechtsorganisation Peta anzulocken, die sich vor zwei Wochen beim Bund meldete – die Frist war inzwischen bis Ende März verlängert worden. „Wir wollen ein Fischrefugium errichten“, sagt Tanja Breining, Fachreferentin für Meerestiere bei Peta. „Die Tiere sollen dort in Ruhe schwimmen und spielen können.“ Sobald das öffentliche Vorkaufsrecht erlösche, wollen die Tierschützer den Flussabschnitt kaufen und das Fischen verbieten. Peta hat ihren Hauptsitz in Stuttgart – weit weg von der Realität der Einwohner Hitzackers. Da hilft es auch nicht, dass die Tierrechtsorganisation zusichert, dass sonst alles beim Alten bliebe – die Gründer von „Gemeinsam für Hitzacker“ wollen keine privaten Investoren.
„Das Beispiel Peta zeigt ja nur, wer alles Interesse an so einem Flussstück hat“, sagt Weiss. Auch Peter Schneeberg stand als potenzieller Käufer zur Debatte. Dem stellvertretenden Bürgermeister der Stadt gehört bereits vieles im Ort: der Jachthafen, ein Hotel, mehrere Fachwerkhäuser. Deshalb stieß die Idee nicht nur auf Zuspruch.
Um Privatkäufe zu verhindern, hatten die Bürger von „Gemeinsam für Hitzacker“ bereits im November mit dem Spendensammeln begonnen. Als Auftakt diente der örtliche Weihnachtsmarkt. Doch bald wurde klar, dass Kleingeld nicht reichen würde, um einen Fluss zu kaufen, und der Verein erfand die Jeetzel-Aktie – ein symbolischer Meter der Jeetzel, der für 108 Euro erworben werden kann.
Die Idee kam gut an: bis Silvester hatte der Verein bereits 40.000 Euro gesammelt. Inzwischen hat „Gemeinsam für Hitzacker“ 50 Mitglieder und ist zum Paradebeispiel für bürgerschaftliches Engagement geworden: „Jeder bringt sich mit seinen eigenen Talenten und Fähigkeiten ein“, sagt Weiß. So hat ein Webdesigner einen eigenen Paypal-Account für die Rettung der Jeetzel eingerichtet, damit die Aktien auch online gekauft werden können.
Dennoch gab der Verein die Hoffnung nie auf, dass doch Niedersachsen für die Rettung der Jeetzel einspringen würde. Und mittlerweile sieht es gut aus: Das Immobilienamt hat die Frist für das öffentliche Vorkaufsrecht auf unbestimmte Zeit verlängert, denn es befindet sich in Verhandlung mit dem Land. Natürlich sei es ein Erfolg, dass die gesetzten Fristen nicht mehr gelten, sagt Weiss. „Wir hätten uns aber gewünscht, dass die Privatisierung komplett vom Tisch ist.“
Dass die Privatisierung des öffentlichen Raums für viele ein sensibles Thema ist, zeigte auch die öffentliche Zustimmung für den Verein. Mit jedem neuen Artikel über den Fluss und seine Retter kamen neue Investoren hinzu. „Sogar ein bayrischer Landesrichter hat uns seine Unterstützung zugesichert“, sagt Weiss.
Inzwischen hat der Verein 56.000 Euro gesammelt – um den Fluss zu kaufen, würde das noch nicht reichen. Bis Niedersachsen und das Immobilienamt ihre Verhandlungen beendet haben, heißt es also erst einmal warten für die Menschen in Hitzacker. „Eigentlich sollte man die Jeetzel für einen symbolischen Euro verkaufen“, findet Weiss. Sollte der Fluss in niedersächsischen und damit öffentlichen Besitz übergehen, sollen alle bisherigen Investoren ihr Geld zurückerhalten.
Der Verein soll aber trotzdem weiter bestehen. „Wir haben ihn mit Absicht ‚Gemeinsam für Hitzacker‘ genannt“, sagt Weiss. Wenn der drohende Verkauf vom Tisch sei, könne man das neu erwachte Engagement der Bürger nutzen, um anderes in dem kleinen Städtchen an der Jeetzel zu verändern.
Mehr in der taz.am wochenende oder hier
In einer früheren Version haben wir geschrieben, dass die Jeetzel in Schleswig-Holstein entspringt. Das ist falsch und darum haben wir das hier korrigiert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Anschlag in Magdeburg
Der Täter hat sein Ziel erreicht: Angst verbreiten
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bundestagswahl 2025
Parteien sichern sich fairen Wahlkampf zu