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Nato zu UkrainekriegDie Risse werden deutlich

Beim Krisentreffen stößt Polens Vorschlag einer Nato-„Friedensmission“ auf Ablehnung. Generalsekretär Stoltenberg macht einen brisanten Vorstoß.

Absage: US-Verteidigungsminister Lloyd (links) mit seinem polnischen Kollegen Blaszczak Foto: Oliver Matthys/ap

Brüssel taz | Mehr Waffen für die Ukraine, mehr Truppen an die Nato-Ostflanke – aber keine direkte Beteiligung am Krieg gegen Russland: Die westliche Militärallianz hat bei einem kurzfristig anberaumten Krisentreffen der 30 Verteidigungsminister am Mittwoch in Brüssel versucht, ihren Einsatz in Osteuropa an die neue Lage anzupassen. Mit mäßigem Erfolg: Erstmals seit Kriegsbeginn wurden Risse deutlich. Für Ärger sorgte vor allem ein Vorstoß aus Polen. Vizeregierungschef Jarosław Kaczyński hatte sich nach einer Reise nach Kiew für eine Nato-„Friedensmission“ in der Ukraine ausgesprochen. Es gehe um einen humanitären Einsatz, der „von Streitkräften geschützt“ werden und in der Lage sein solle, „sich selbst zu verteidigen“, so Kaczyński.

Dieser Verstoß, der offenbar nicht mit der Allianz abgesprochen war, hat die Verteidigungsminister kalt erwischt. Bei ihrem Treffen in Brüssel wollten sie über Abschreckung und Verteidigung sprechen – und alles dafür tun, dass die Nato nicht in den Krieg mit Russland hineingezogen wird. Denn dies könnte einen dritten Weltkrieg auslösen, wie Nato-­Diplomaten immer wieder betonen. Eine ­militärische „Friedensmission“ passt da nicht ins Konzept.

Entsprechend kühl wurde der polnische Versuchsballon in Brüssel aufgenommen. „Eine Friedensmission ist schwierig, solange der Krieg noch anhält“, sagte die niederländische Verteidigungsministerin Kajsa ­Ollongren. Erst nach einem Waffenstillstand könne man über den Plan reden. Skeptisch zeigten sich auch Estland und Großbritannien.

Ein klares Nein kam aus Deutschland. „Keinerlei Nato-Personal, keine Nato-Soldaten außerhalb der Nato oder in die Ukraine schicken“, sagte Regierungssprecher Steffen Hebestreit am Mittwoch in Berlin. Bundeskanzler Scholz halte an dieser „roten Linie“ fest. Die „Friedensmission“ ist damit ­gestorben, denn die Nato handelt im Konsens.

Stoltenberg sorgt für Stirnrunzeln

Für Stirnrunzeln sorgte auch ein Vorstoß von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er legte den Ministern brisante Vorschläge zur dauerhaften Verstärkung der Ostflanke vor, die offenbar gegen die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verstoßen. Darin hat sich das Bündnis verpflichtet, auf die dauerhafte Stationierung „substanzieller Kampftruppen“ in Osteuropa zu verzichten.

Doch damit soll Schluss sein. Die Alliierten verlegen mehr Truppen an die Ostflanke – und könnten die Einheiten nach Kriegsende dort belassen. Stoltenbergs Plan, der als geheim eingestuft wurde, deutet in diese Richtung. Auch wenn zunächst keine Details bekannt wurden, lässt er sich als Bruch mit der Nato-Linie und als Kampferklärung an Russland lesen.

Angesichts der politischen und militärischen Brisanz müssen nun die Chefs ran – kommende Woche ist ein Nato-Sondergipfel mit US-Präsident Joe Biden geplant. Dort wollen die Alliierten auch über die laufenden Verhandlungen über einen Waffenstillstand und ihre Ukrai­ne­stra­te­gie reden. Der Gesprächsbedarf ist groß, denn bisher läuft es nicht im Sinne der Nato. Selbst der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ist nicht mehr auf Linie. Sein Land strebe bis auf Weiteres nicht mehr den Nato-Beitritt an, erklärte Selenski am Dienstag in Kiew.

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6 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Für Stirnrunzeln sorgte auch ein Vorstoß von Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Er legte den Ministern brisante Vorschläge zur dauerhaften Verstärkung der Ostflanke vor, die offenbar gegen die Nato-Russland-Grundakte von 1997 verstoßen.""

    ===

    1..Die westlicher Seite ging in der Akte im Tenor davon aus , dass eine Fortsetzung der Bemühungen Russlands um Demokratisierung, gegründet auf Pluralismus, Rechtsstaatlichkeit und die Achtung von Freiheitsrechten, erwartet würde..

    Im Gegenzug wurden Russland gegenüber der NATO Privilegien eingeräumt, wie sie keinem anderen Nicht-Mitgliedstaat eingeräumt wurden.

    a..Beide Seiten bekannten sich in der Grundakte zum VERZICHT auf die ANDROHUNG oder AUSÜBUNG von Gewalt, zu gegenseitigen Konsultationen und FRIEDLICHER Beilegung von Konflikten.

    b.. „Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Unversehrtheit aller Staaten sowie ihres naturgegebenen Rechtes, die Mittel zur Gewährleistung ihrer eigenen Sicherheit sowie der Unverletzlichkeit von Grenzen und des Selbstbestimmungsrechts der Völker waren die in der Akte formulierten Grundlagen. (die bereits in den KSZE Vereinbarungen aus 1974 vom Vorgängerstaat Sowjetunion unterzeichnet waren)

    Beispiel:



    Wenn jemand mutwillig seine Wohnung in Brand setzt und zerstört kann wohl nicht mehr darauf hoffen, das der Mietvertrag hinterher noch gültig ist - oder wer betrunken Auto fährt und einen Unfall baut, verliert den vereinbarten Versicherungsschutz.

    Putin hat gegen sämliche unterzeichnete Vereinbarungen zur Friedensarchitektur in Europa verstossen - warum sich jetzt noch irgendjemand an den Vertrag halten soll, der bereits 2014 zu reiner Makulatur verkommen ist erschliesst sich nicht.

    Die Annahme, das es jetzt jemanden gibt, der die Stirn runzelt, erklärt wohl eher die geistige Umnachtung im dichten Nebel der Bundesrepublikaner, die mindestens seit 20 Jahren mit täglich einer Milliarde Euros die russische Aufrüstung finanziert haben.

    • @06438 (Profil gelöscht):

      Der DICHR NEBEL DER BUNDESREPUBLIKANER. Ein Zitat fürs Jahrhundert ! Und lichten tut sich ,,, nix.

      • @lesnmachtdumm:

        ... im QWERTZ liegt R genau zwischen T und E. Letztbeide warn gemeint. Sowasvonvertippt....

  • "Der Gesprächsbedarf ist groß, denn bisher läuft es nicht im Sinne der Nato. Selbst der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski ist nicht mehr auf Linie. Sein Land strebe bis auf Weiteres nicht mehr den Nato-Beitritt an"



    Was ist das denn für ein Geraune? Was läuft nicht im Sinne der NATO? Meint der Autor etwa, dass irgendjemand bei Verstand scharf darauf ist (JK ist offensichtlich nicht bei Verstand), in eine direkte Konfrontation NATO-Russland hineingezogen zu werden? Warum ist Präsident Selenski "nicht mehr auf Linie", wenn er offen eingesteht, dass eine schnelle NATO-Mitgliedschaft nicht zu erreichen sei? Wäre mir neu, dass die NATO versucht hätte, die Ukraine ins Bündnis zu pressen...

    • @MeinerHeiner:

      Danke. Warum sind es gleich „Risse“, nur weil die Mitglieder einer großen Organisation verschiedene Vorschläge machen? Die Nato wurde bis jetzt nicht angegriffen. Wenn das passiert, dann muss die Nato entscheiden, wie sie reagiert. Und die „Verträge“ mit Russland sind solange Putin regiert das Papier nicht wert auf dem sie stehen. Er bricht sämtliche Verträge und alle anderen sollen sich weiter schön dran halten? Abgefahrene Idee.

    • @MeinerHeiner:

      Genau diesen Kommentar hätte ich grad auch beinah geschrieben. Haben Sie schon.