piwik no script img

Nato und die TürkeiDie Völkerrechtsverstöße beenden

Gastkommentar von Rolf Gössner

Im Schatten des Krieges gegen die Ukraine greift die Türkei Kurden an, ohne selbst bedroht zu sein. Der Nato-Staat verhält sich völkerrechtswidrig.

Nach dem Angriff im Juli auf die Kurdenregion bei Mossul, lassen Männer ihren Zorn an der Flagge aus Foto: Ismael Adnan/dpa

W ährend der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine tobt, präsentieren sich Nato und ihre Mitgliedstaaten als solidarische „Wertegemeinschaft“, die dem angegriffenen Land mit Waffen helfen. Gleichzeitig ist eines ihrer Nato-Mitglieder seit Jahr und Tag damit beschäftigt, kurdisch besiedelte Teile Syriens und Iraks anzugreifen.

Mithilfe dschihadistischer Söldnertruppen, mit tödlichen Drohnen- und Raketenangriffen, Landnahmen, hunderttausendfachen Vertreibungen, ethnischen Säuberungen und der Zwangsumsiedlung von Flüchtlingen handelt die autokratisch regierte Türkei zweifellos völkerrechtswidrig. Die türkischen „Verstöße gegen das Gewaltverbot“ der UN-Charta, so der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags, geschehen ohne jede Bedrohungslage, ohne Selbstverteidigungssituation, da von kurdischer Seite – anders als die Türkei behauptet – nachweislich keine Gefahr ausgegangen ist.

Wer Russlands Ukrainekrieg zu Recht als völkerrechtswidrig geißelt, muss auch die Kriegsangriffe der Türkei gegen Kurden in Nordsyrien und Nordirak klar und deutlich verurteilen und als das qualifizieren, was sie sind: systematische völkerrechtswidrige An- und Übergriffe eines Nato-Mitglieds auf souveräne Staaten und ihre Zivilbevölkerung. Alles andere ist westliche Doppelmoral, wie wir sie schon allzu lange kennen.

Wo um alles in der Welt bleiben angemessene Reaktionen und Konsequenzen angesichts dieses zermürbenden Kriegs gegen die Zivilbevölkerung, der nicht zuletzt mit deutschen Waffen geführt und befeuert wird. Nato und Bundesrepublik tragen jedenfalls Mitschuld an diesen schweren Völkerrechtsbrüchen des türkischen Nato-Mitglieds, das offenbar dank seiner geostrategischen Bedeutung für das westliche Militärbündnis vor Sanktionen geschützt ist.

Rolf Gössner

ist Jurist, Publizist, Kuratoriumsmitglied der Internationalen Liga für Menschenrechte, Mitherausgeber des „Grundrechte-Reports“ und der Zweiwochenschrift „Ossietzky“, in der er über die „Türkei und westliche Doppelmoral“ berichtet https://www.ossietzky.net

Dringend nötig sind jedoch: sofortige internationale Maßnahmen, um die Völkerrechtsverstöße zu beenden, Kriegsverbrechen unabhängig aufzuklären und zu ahnden sowie die Türkei für Kriegsfolgen und Zerstörungen haftbar zu machen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

1 Kommentar

 / 
  • Ich mag den Artikel.

    Dort ist die Überlegenheit des Weißen Mannes noch ein unhinterfragtes Paradigma. Wie früher.

    Als hätte es die letzten 10 Jahre nicht gegeben.

    10 Jahre, in denen Erdogan bewiesen hat, dass er die EU-Staaten und bis zu einem gewissen Grad auch die USA vorführen kann, wenn er will.

    Die Europäer haben doch nur Glück, dass er zur Zeit Geld braucht.

    Ansonsten würde die Grenzen aufmachen und damit halb Europa destabilisieren.

    Die gleiche Masche fährt sehr erfolgreich Marokko.

    Selbst Lukaschenko hat es probiert.

    Die Taliban haben bewiesen, dass man gegen die USA und ihre Verbündeten Kriege gewinnen kann.

    Wahrscheinlich wäre nicht mal Russland in der Ukraine einmarschiert, wenn Putin die EU irgendwie militärisch ernstgenommen hätte.







    Was der Autor als Doppelmoral bezeichnet, ist schlicht eine Position der Schwäche.

    Die EU hat doch gar nicht die Kraft, noch weitere Sanktionen gegen einen anderen Staat zu fahren.

    Genau deshalb macht Erdogan doch gerade den Eroberer.

    Gegen die Realität nutzt auch der tollste moralische Anspruch nichts.