Nationalismus in Indien: Da brannte die Kirche lichterloh
Seit dem Wahlsieg Modis häufen sich Angriffe auf religiöse Minderheiten in Indien. Extremisten wollen das Land in einen Hindustaat verwandeln.
DELHI taz | Langsam schreitet der Priester Anthony Francis in Richtung Altar. Glasscherben zerbrechen unter seinen Sohlen. Mühsam steigt er über verkohlte Holzbalken. An der Kopfseite des Kirchenschiffs hängt Jesus Christus am Kreuz, sein schmächtiger Körper ist verkohlt, Arme und Beine verbrannt. Die Augen von Pfarrer Francis blicken auf das, was von seiner Kirche übrig geblieben ist. Was er sieht, kann er kaum in Worte fassen. Immer wieder versagt ihm die Stimme, seine Sätze enden im Nichts. „Schauen sie … Schauen Sie …“
In der Sankt-Sebastian-Kirche im Osten Delhis sind die Innenwände bis unter die Decken kohlschwarz verbrannt, von den Heiligen-Skulpturen sind nur Aschehäufchen geblieben. „Das war kein Unfall“, sagt Pfarrer Francis, „Es war ein gezielter Anschlag auf unsere Kirche, auf uns Christen und auf unseren Glauben.“
Es ist kurz vor 19 Uhr, draußen senkt sich langsam die Dunkelheit über die kleine katholische Kirche in Delhis Bezirk Dilshad Garden. Ungefähr zur selben Zeit hatte Pfarrer Francis auch am 30. November 2014 seine Kirche verlassen. Es war ein Sonntag, wie so oft waren auch an jenem Tag die dicht aufgestellten Kirchenbänke voll besetzt. Am nächsten Morgen sollte Pfarrer Francis im Nachbarbezirk predigen. Doch alles kam anders.
Frühmorgens rief der Wachmann seiner Kirche an und sagte, es sei ein kleines Feuer ausgebrochen, das er löschen wolle. Als Pfarrer Francis kurze Zeit später ankam, brannte das Kirchenschiff bereits lichterloh. Es roch nach Kerosin. Das war am 1. Dezember 2014. Der Übergriff auf die Sankt-Sebastian-Kirche blieb kein Einzelfall. Allein in Delhi kam es innerhalb von wenigen Wochen zu fünf Angriffen auf christliche Einrichtungen. Mal wurde Feuer gelegt, mal warf ein Unbekannter während der Messe einen Stein durch das Fenster. Im Westen Delhis wurde eine Marienstatue vom Sockel gestoßen, Fenster wurden eingeschlagen.
Im Süden der Stadt drangen Unbekannte in die Sakristei einer Kirche ein, öffneten den Tabernakel und warfen die Hostien auf den Boden. Weil in jenem Fall auch ein DVD-Spieler gestohlen wurde, untersucht die Polizei den Fall als „Diebstahl“ und „Einbruch“.
Eine geeinte Hindu-Nation
Schon in der Vergangenheit gab es vereinzelt Übergriffe auf Kirchen, doch seit dem Wahlsieg der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Partei (BJP) bei der indischen Parlamentswahl im Mai 2014 haben die Vorfälle zugenommen. „Wir Christen fühlen uns unsicher, unser Glaube ist in Gefahr“, sagt der Erzbischof von Delhi, Anil Joseph Thomas Couto.
Laut dem offiziellen Zensus von 2001 leben etwa 24 Millionen Christen in Indien, sie machen rund 2,3 Prozent der Bevölkerung aus. In der Hauptstadt sind es sogar nur 0,4 Prozent der Einwohner. Trotzdem sind sie damit nach dem Hinduismus (80,5 Prozent) und dem Islam (13,4 Prozent) die drittgrößte Glaubensrichtung auf dem Subkontinent Indien. „Das Ziel der aktuellen Regierung und der einflussreichen Hindu-Gruppen ist Hindutva. Das sagen sie ganz offen“, sagt Erzbischof Couto.
Hindutva ist ein politisches Konzept mit dem Ziel, eine geeinte Hindu-Nation (wieder)herzustellen. Die Anhänger der Bewegung sind der Meinung, dass alle Menschen ursprünglich Hindus gewesen seien, einige im Verlauf der Jahre durch Fehlentwicklungen aber zu einer anderen Religion übergetreten seien. Durch die Kampagne „Ghar wapsi“ (Heimkehr) wollen sie die „Fehlgeleiteten“ nun zurück in die Hindu-Gemeinschaft holen.
Andersgläubige als Bastarde beschimpft
Auf ihrer Mission kennen sie kaum Grenzen: So beschimpfte die Ministerin für Lebensmittelindustrie unlängst Andersgläubige in Indien als Bastarde. Der bekannte Hindu-Gelehrte Vasudevanand Saraswati forderte vor einigen Wochen Hindus auf, selbst im Privatleben an den eigenen Machterhalt zu denken. „Dank der Einigkeit der Hindus ist Modi Ministerpräsident geworden. Um ihre Mehrheit zu wahren, sollte jede Hindu-Familie zehn Kinder haben“, sagte er. Die hinduistische Jugendorganisation Bajrang Dal fordert Hindu-Männer auf, gezielt Christinnen und Musliminnen zu heiraten, damit diese konvertieren.
Immer wieder wird in verschiedenen Teilen des Landes von Massenkonvertierungen berichtet, bei denen Tausende Muslime und Christen in die „Familie der Hindus“ zurückgeholt werden, meist unter Zwang. Die Organisation Hindu Jagran Saniti hingegen verspricht freiwilligen Konvertiten ein Haus. Einer ihrer Funktionäre kündigte an, 2021 werde Indien wieder ein reiner Hindu-Staat sein.
Der Erzbischof von Delhi blickt mit Sorge auf den Umgang der regierenden Hindu-Partei mit den Minderheiten in Indien. „Es geht nicht nur um uns Christen, auch Muslime, Sikhs, Jains oder Parsen werden attackiert.“ Hindutva stehe klar im Gegensatz zur indischen Verfassung, in der allen Glaubensrichtungen die freie Ausübung ihrer Religion garantiert wird. Doch die Wirklichkeit sei eine andere, beklagt Couto. „Der säkulare Charakter Indiens ist in großer Gefahr.“
Seit seinem überwältigenden Wahlsieg im Mai 2014 gilt Premierminister Modi als der starke Mann Indiens. Schon vor seinem Wahlsieg hatten viele vor einem Anstieg religiöser Gewalt gewarnt, schließlich stammt Modi aus der einflussreichen Hardliner-Gruppe Rahtriya Swayamsevak Sangh (RSS). Die „Nationale Freiwilligenorganisation“ setzt sich vehement für die Dominanz der Hindus in Indien ein und gilt als ideologische Speerspitze der Regierungspartei BJP.
Während sich die Minderheiten in seinem Land bedroht fühlten, schwieg der Regierungschef lange Zeit zu diesem Thema. „Wir haben ihn mehrfach aufgefordert, seinen Truppen Einhalt zu gebieten, sie zurückzurufen und die Religionsfreiheit in Indien zu verteidigen“, sagt Couto. So mancher glaubte darin die stille Zustimmung Modis zu sehen.
Heer religiöser Hardliner
Doch Indiens Premierminister hat sein Schweigen gebrochen. Im Parlament sagte Modi: „Niemand hat das Recht, andere wegen ihrer Religion zu diskriminieren.“ Er werde alles unternehmen, um die Religionsfreiheit in Indien zu sichern. „Meine Regierung hat nur eine Religion – Indien zuerst. Und nur eine Ideologie: Indien und die Verfassung über alles.“
Erzbischof Couto ist dennoch misstrauisch. Aus seiner Sicht habe Modi nur aus machtpolitischen Gründen gehandelt und auf die krachende Niederlage seiner Partei bei der Wahl in Delhi Anfang Februar reagiert. Dort konnte die Partei des Premierministers gerade einmal drei Sitze erringen. Haushoher Sieger war die Aam Aadmi Partei von Arvind Kejriwal, die 67 von 70 Sitzen gewann. „Kejriwal hat sich deutlich für das friedliche Miteinander aller Glaubensrichtungen in Indien ausgesprochen“, sagt Couto. „Die indischen Wähler haben Modi gezeigt, dass sie keinen Kampf der Religionen wollen.“
Viele loben Modis Rede hingegen als ein „großes innenpolitisches Signal“ an die Minderheiten in Indien. Was auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit wirkt, ist für Modi ein gewagtes Manöver: Mit seinem klaren Bekenntnis stellt er sich gegen das religiöse Establishment, auf dessen Unterstützung er angewiesen ist. Alles deutet auf einen Machtkampf um die ideologische Deutungshoheit hin: Narendra Modi hat sich vorerst als Pragmatiker positioniert, ihm gegenüber steht ein breites Heer religiöser Hindu-Hardliner. Sie haben bereits angekündigt, ihre Kampagne fortzusetzen.
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