Nancy Faesers Zukunft: Ministerin auf dem Sprung
Bundesinnenministerin Nancy Faeser galt als Hoffnungsträgerin der Ampel. Nun dürfte sie SPD-Spitzenkandidatin in Hessen werden. Kann das gutgehen?
E s war im November vergangenen Jahres, als sich Nancy Faeser offensichtlich angekommen fühlte. „Lieber Holger“, begrüßte sie Holger Münch, den Präsidenten des Bundeskriminalamts, als sie in Wiesbaden hinter dem Pult seiner Herbsttagung stand. Forschen Schrittes hatte sie die große Bühne betreten. Nun gab sie Münch mit auf den Weg, er solle den BKA-Beamten ihren herzlichen Dank für deren Arbeit ausrichten. Und Münch dankte der „lieben Nancy“ zurück: Das werde er ausrichten. Betonte Vertrautheit, auf offener Bühne.
Das war das eine Signal. Aber es gab noch ein zweites. Denn Faeser hätte auf dem BKA-Podium über den Krieg in der Ukraine reden können, über Cybercrime oder die „Heißer Herbst“-Proteste. Sie wählte: organisierte Kriminalität. „Wir müssen diese Strukturen dauerhaft zerschlagen“, rief die Bundesinnenministerin in den Saal. Ein Punkt sei ihr dabei „besonders wichtig“: die „Clankriminalität“. Diese sei „absolut inakzeptabel“, niemand stehe über dem Recht. „Und das müssen diese Leute lernen – wenn es sein muss, auf die harte Tour.“
Es klang nach neuen Tönen von Nancy Faeser. Nach klarer Kante, Law and Order. Ganz anders als der Sound, mit dem Faeser zu Amtsbeginn aufwartete. Und er war wohl bewusst gewählt, gerade hier beim BKA in Wiesbaden. Denn womöglich richtete sich auch da schon Faesers Blick nach Hessen.
Denn am 8. Oktober wird in dem Bundesland gewählt. Und kaum noch einer zweifelt daran, dass Faeser, die gebürtige Hessin und unangefochtene SPD-Landeschefin, jetzt am Freitag auf dem SPD-„Hessengipfel“ ihre Spitzenkandidatur erklärt. Die 52-Jährige selbst weicht seit Wochen dieser Frage aus. In ihrem Umfeld aber gibt es zu Faesers Kandidatur keinen ernsthaften Widerspruch mehr. Ein von der Partei aufgebauter Alternativkandidat existiert nicht. Bereits im November soll die hessische SPD-Führung als eines der großen Wahlkampfthemen vereinbart haben: die innere Sicherheit.
Am 8. Oktober wählt Hessen einen neuen Landtag. Für die CDU tritt Amtsinhaber Boris Rhein (CDU) an, der im Mai 2022 das Amt des Ministerpräsidenten von Volker Bouffier (CDU) übernahm. Rhein regiert derzeit weiter mit den Grünen um Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Der wiederum gilt als ausgemachter Spitzenkandidat der Grünen bei der Hessenwahl.
Die längste Zeit CDU
Seit 24 Jahren regiert die CDU Hessen, seit zehn Jahren zusammen mit den Grünen. In Umfragen stand die CDU zuletzt mit 27 Prozent fünf Prozentpunkte vor SPD und Grünen, die gleichauf lagen. Die AfD käme demnach auf 12 Prozent, die FDP kreist um die 5-Prozent-Hürde. Die Linke, einst von der heutigen Parteichefin Janine Wissler angeführt, schafft es wohl nicht wieder in den Landtag. (taz)
Faeser ist zudem weiter in Hessen verwurzelt. An Wochenenden pendelt sie nach Schwalbach bei Frankfurt am Main, wo sie seit der Geburt lebt, nur vom Jura-Studium in Frankfurt unterbrochen. Mann und Sohn wohnen in der 15.000-Einwohner-Stadt im Vordertaunus, unmittelbar an der Frankfurter Stadtgrenze. Faeser ist bekennender Eintracht-Fan. Und wie hatte sie im Mai 2022 auf dem hessischen SPD-Parteitag gesagt, als sie als Landeschefin wiedergewählt wurde? „Mein Herz ist in Hessen.“ Und sie werde dafür kämpfen, dass das Land „wieder rot“ werde.
Keine makellose Bilanz als Innenministerin
Aber die Sache wirft mehrere Probleme auf. Denn offenbar ist Faeser gewillt, auch als Wahlkämpferin weiter Bundesinnenministerin zu bleiben – und soll dafür auch den Segen des Kanzlers haben. Aber geht das, mit einem Ministerium, das ständig in Alarmbereitschaft ist? Ein Sieg in Hessen, nach 24 Jahren CDU-Regierung, wäre zweifelsohne ein Coup für die SPD. Aber der ist keineswegs ausgemacht. In letzten Umfragen lag die CDU vorne, auch die Grünen setzen auf Sieg. Und Faesers Bilanz als Innenministerin, mit der sie in den Wahlkampf ginge, ist nicht makellos. Verliert sie am Ende, könnte sie wieder dort landen, wo sie zuvor war: in der hessischen Opposition.
Es war eine echte Überraschung, als Scholz damals Faeser für sein Ampelkabinett vorstellte – als erste Innenministerin der Bundesrepublik. 18 Jahre lang hatte Faeser in Hessen SPD-Innenpolitik gemacht, sich als Aufklärerin des NSU-Terrors und Polizeikennerin profiliert. Am Ende war sie Fraktions- und Landeschefin. Nun sollte sie in Berlin einiges anders machen als ihr CSU-Vorgänger Horst Seehofer.
Und das klappte, zunächst. Faeser erklärte den Kampf gegen den Rechtsextremismus als „ihr besonderes Anliegen“. Sie versprach im Bundestag Serpil Temiz Unvar, die beim Hanau-Anschlag ihren Sohn verlor, persönlich Aufklärung zu dem Attentat. Am Jahrestag reiste sie nach Hanau, hielt die Hand einer Angehörigen. Später verkündete Faeser einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus, versprach auch in der Migrationspolitik „einen neuen Geist“. Deutschland sei „ein Einwanderungsland“, nun müsse es auch „ein besseres Integrationsland“ werden.
Und Faeser war und ist sehr präsent. Sie veröffentlichte Aktionspläne und Strategiepapiere. Sie besuchte Bundespolizist:innen, Feuerwehrleute, Ordnungsämter, ukrainische Geflüchtete, Gewerkschafter, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz. Sie reiste nach Israel, Brüssel oder zur WM nach Katar. Sie fuhr nach Mecklenburg-Vorpommern, als dort eine Geflüchtetenunterkunft niederbrannte, oder erst dieser Tage ins schleswig-holsteinische Brokstedt, wo ein Mann zwei junge Menschen in einem Zug erstochen und weitere verletzt hatte.
Bei alldem vergaß Faeser nie, sich bei den Einsatzkräften zu bedanken. Und tatsächlich hat sie einen guten Draht zur Polizei, auch jenseits von BKA-Chef Münch. Schon in Hessen besuchte sie Wachen, forderte mehr Personal und bessere Ausrüstung. Als Innenministerin schuf sie nun 2.000 neue Stellen für die Bundespolizei, versprach mehr Befugnisse und höhere Pensionen.
Polizeivertreter loben, dass sich die Sozialdemokratin ernsthaft für ihre Belange interessiere – was bei Seehofer, der sich gerne zurückzog, nicht immer klar gewesen sei. Auch Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang kann gut mit Faeser. Bremste ihn Seehofer etwa bei der Beobachtung der AfD aus, liegt Haldenwang mit Faeser nun auf einer Linie. Sie nannte die AfD schon zu Hessen-Zeiten „Feind der Demokratie“.
Klagender Grünen-Fraktionär
Und dennoch wurde es zuletzt auch in der Ampel unruhig. Denn woran es lange fehlte, waren konkrete Maßnahmen und Gesetzentwürfe. Sieben Monate dauerte es, bis Faesers Ministerium einen ersten wirklichen Aufschlag machte – mit dem ersten Teil ihres „Migrationspakets“, das Kettenduldungen beenden und den Zuzug von Fachkräften erleichtern soll. Auch zu Faesers Rechtsextremismus-Aktionsplan, der „kurzfristige“ Maßnahmen ankündigte, folgten erst zum Jahreswechsel Gesetzentwürfe, hier zum Disziplinar- und Waffenrecht. Und den Verbotsreigen von Seehofer in der rechtsextremen Szene setzte Faeser bisher auch nicht fort – obwohl sie „Netzwerke zerschlagen“ wollte.
Ganz überraschen kann das nicht. Faeser kam von der hessischen Oppositionsbank, hatte nie zuvor eine Behörde geführt. Nun steht sie an der Spitze eines Großministeriums mit gut 2.000 Bediensteten und 19 unterstellten Behörden – das zuvor 16 Jahre lang in der Hand der Union war. Und das den Ruf genießt, ein Eigenleben zu führen.
Ausnahmezustand im Innenministerium
Zudem traf auch Faesers Ministerium der Krieg in der Ukraine unvermittelt: Am 24. Februar 2022 wollte sie eigentlich ein Diskussionspapier zum Demokratiefördergesetz präsentieren, da begann Russland seine Angriffe. Faeser sagte die Pressekonferenz ab. Und musste plötzlich die Aufnahme von Hunderttausenden Geflüchteten koordinieren, über Hilfslieferungen und Grenzkontrollen entscheiden, später reiste sie nach Kiew. Ein Ausnahmezustand, auch in ihrem Haus.
So blieb in Faesers Ministerium lange erst mal einiges beim Alten. Auch Monate nach ihrem Antritt waren noch etliche Leitungsposten mit denselben Leuten wie unter Seehofer besetzt. Heute sind es noch die Hälfte der Abteilungsleiter:innen, die zentrale Bereiche wie Öffentliche Sicherheit, Migration oder Digitales führen. Bei den Unterabteilungsleiter:innen sind es gar 17 von 20.
Und bei den Staatssekretär:innen blieb ausgerechnet der Posten für Migration fast ein Jahr lang vakant – die Arbeit wurde von anderen Staatssekretären und dem hausinternen Ukraine-Krisenstab miterledigt. Selbst Seehofers Heimatabteilung blieb erhalten – sie soll sich nun um gleichwertige Lebensverhältnisse oder politische Bildung kümmern.
Dazu schasste Faeser im Oktober Arne Schönbohm, den damaligen Chef des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), wegen vermeintlicher Russlandnähe. In Zeiten des Ukrainekriegs sollte hier nicht der Hauch eines Verdachts entstehen. Konkrete Verfehlungen von Schönbohm im Dienst bleibt Faeser indes bis heute schuldig, der BSI-Personalrat schrieb erboste Briefe. Und die Leitung des BSI, das bundesweite Zentralstelle für IT-Sicherheit werden soll, ist bis heute vakant.
Dabei hatte sich die Ampel einiges vorgenommen. Eine „grundrechtsorientierte Sicherheitspolitik“ wurde im Koalitionsvertrag versprochen, ohne Massenüberwachung, wissenschaftlich evaluiert. Ein progressiver Aufbruch. Nun aber klingt manches, was aus Faesers Haus kommt, als wäre es noch unter Seehofer entstanden: eine Cybersicherheitsstrategie, die liebäugelt mit Hackbacks, offensiven Gegenschlägen bei Cyberangriffen. Ein Hin und Her bei der Chatkontrolle, ein Bundespolizeigesetz, das den Beamten eine Quellen-TKÜ erlauben soll, ein Abgreifen von Kommunikation vor der Verschlüsselung – obwohl der Koalitionsvertrag genau das ausschließt.
Faeser für umstrittene Vorratsdatenspeicherung
Dazu forderte Faeser zuletzt, mit Verweis auf den Kampf gegen Kindesmissbrauch, offensiv die Vorratsdatenspeicherung ein – die Grüne und FDP vehement ablehnen. Auch will die Sozialdemokratin eine „Rückführungsoffensive“, will Frontex stärken – oder sich eben kriminelle „Clans“ vorknöpfen. Nach den Silvesterkrawallen sprach Faeser von migrantischen „Integrationsverweigerern“, die Klebeaktionen der Letzten Generation nannte sie „völlig inakzeptabel“, die Barrikadenbauer in Lützerath „verantwortungslos“. Und in Brokstedt fragte sie, warum der palästinensische Messerstecher überhaupt noch im Land sei. Da war sie wieder, die Law-and-Order-Nancy.
Bei Grünen und FDP verfolgt man das zunehmend frustriert. „Die Chance auf einen progressiven Neuanfang in der Innenpolitik, die wurde bisher nicht genutzt“, klagt ein Grünen-Fraktionär. „Es wirkt, als hätten Faesers Fachabteilungen noch nicht begriffen, dass es einen Neuanfang gibt. Das Ministerium muss endlich anfangen, den Koalitionsvertrag umzusetzen.“ Auch in der FDP ist von einer „dürftigen Bilanz“ Faesers die Rede.
Ambitionierte Gesetzentwürfe, die Zeit brauchen
In Faesers Ministerium wird dagegen nicht nur auf die Belastung durch den Ukrainekrieg verwiesen, sondern auch darauf, dass die vereinbarten Gesetzentwürfe eben ambitioniert seien und ihre Ausarbeitung Zeit brauche. Die Schlagzahl der Gesetze werde, wie immer, in der zweiten Hälfte der Legislatur zunehmen. Nur: Auch ihrer eigenen „Vorhabenplanung“ hinkt Faeser hinterher. So sollte das Waffenrecht nach taz-Informationen eigentlich schon im Herbst als Thema im Kabinett sein, ebenso eine Reform des Nachrichtendienstrechts oder die Streichung des Rasse-Begriffs aus dem Grundgesetz.
Und auch mit ihren bisherigen Vorstößen verhakelt sich Faeser regelmäßig in der Ampel. Bei der Vorratsdatenspeicherung halten FDP und Grüne hart dagegen. Den Alternativvorschlag eines Quick Freeze, bei dem Daten nur anlassbezogen und in kleinerem Umfang gespeichert werden, lehnt wiederum Faeser ab. Beim Waffenrecht oder erleichterten Einbürgerungen blockieren die Liberalen. Strafverschärfung für „Hinterhalte“ gegen Einsatzkräfte sehen Grüne wie FDP kritisch. Faeser verweist derweil auf akuten Handlungsbedarf – seien es Angriffe auf Einsatzkräfte in der Berliner Silvesternacht oder bewaffnete Reichsbürger.
Grüne und FDP kritisieren das – Faeser falle wieder in den Modus, nach jedem Vorfall neue Befugnisse oder Strafverschärfungen zu fordern. Ein Reflex, aus dem die Ampel eigentlich raus und lieber auf wissenschaftliche Fakten setze wollte. „Und sie sucht Konflikte, die sie absehbar verliert“, wundert sich ein führender Liberaler. Vor allem aber: Faeser stimme sich zu wenig in der Ampel ab. Ankündigungen halte sie nicht ein. Einige Gesetzentwürfe würden schon öffentlich diskutiert, bevor diese die anderen Ministerien oder Ampelfraktionen erreichten. Selbst der Rechtsextremismus-Aktionsplan sei nicht vorab abgestimmt gewesen. Auch beim internen Frühstück mit den Koalitionsfraktionen bleibe Faeser vage, zeitweise ließ sie es ganz ausfallen.
Faeser aber zeigt sich unbeirrt. Das verschärfte Waffenrecht versucht sie nun durchzudrücken – sie sieht es auch als Lehre aus dem Hanau-Anschlag, wo der Attentäter legal Waffen besaß, trotz psychischer Auffälligkeiten. Und bei der Vorratsdatenspeicherung weiß sie nicht nur die Polizei, sondern auch den Kanzler hinter sich. Zudem steckt hinter ihren Vorstößen wohl auch Kalkül: keine offene Flanke bei der Sicherheit für die Union lassen. Was bisher tatsächlich ganz gut klappt.
Auf ein Selfie mit Nancy
Und Faeser kann ja durchaus Leute einnehmen, wie sie bei ihren Auftritten beweist. Nach der Silvesterrandale in Berlin besucht sie eine Feuerwache in Neukölln, auf ihren eigenen Wunsch hin. Zunächst hört sie hinter verschlossenen Türen zu, an einem langen Tisch im Pausenraum, wie Feuerwehrleute von Böller- und Raketenbeschuss berichten, von Schreckschusspistolen, die ihnen ins Gesicht gehalten wurden. Danach stellt Faeser sich vor die Kameras, fordert harte Strafen und mehr Prävention. Die Feuerwehrleute sind zufrieden. „Ich glaub, es ist angekommen, was wir gesagt haben“, lobt einer. Ein anderer fragt Faeser nach einem Selfie. Über ihr Gesicht huscht ein Lächeln. „Natürlich.“
Oder vor wenigen Tagen erst in Berlin-Friedrichshain, bei einer Veranstaltung der lokalen SPD-Bewerberin für das Abgeordnetenhaus. Ein kleiner Ladenraum, enge Stuhlreihen mit rund 30 Zuhörenden, viele mit Einwanderungsgeschichte – ein Heimspiel. Faeser wirkt entspannt, sie fordert doppelte Staatsbürgerschaften, leichtere Einwanderungsregeln, freundlichere Ausländerbehörden. Immer wieder erntet sie Nicken und Applaus.
Bis ein SPD-Mann, geboren in Bosnien-Herzogowina, von seinem jahrelangen Kampf um einen Aufenthaltstitel in Deutschland berichtet. Und beklagt, auch „progressive Politiker“ müssten auf ihr „Wording“ achten. Ein Gerede von „Integrationsverweigerern“ tue „unglaublich weh und triggert ganz viele Menschen wie mich“. Faesers Lächeln verschwindet, aber sie nimmt nichts zurück.
„Man muss Probleme benennen können. Und wir hatten Silvester Probleme“, antwortet sie. Viele Angreifer auf Einsatzkräfte seien eben Migranten gewesen – aber auch viele der Opfer. Ein syrischer Feuerwehrmann habe ihr davon berichtet. „Wir brauchen eine Kultur, in der man so etwas ansprechen kann“, sagt Faeser. „Und in der klar ist, dass damit nicht alle gemeint sind.“ Der SPD-Mann von der Basis zieht die Augenbrauen hoch. Es scheint nicht die Antwort, die er erhofft hatte.
Dabei sind diese Töne von Faeser gar nicht so neu. Auch in Hessen forderte sie schon vor Jahren die Vorratsdatenspeicherung, kritisierte im besetzten Dannenröder Forst Angriffe auf Polizisten „aufs Schärfste“. In der SPD zählt sie zum konservativen Flügel, was für eine einstige Anwältin einer Wirtschaftskanzlei im Frankfurter Bankenviertel auch keine Überraschung ist. Die Hoffnung, Faeser würde alles anders machen, sie war auch Projektion. Und wohl nicht ohne Grund machte Scholz, der mit seiner Hamburger Linie für innenpolitische Härte steht, gerade Faeser zur Innenministerin.
Andere Akzente als Seehofer gesetzt
Und doch zeigt gerade der Vergleich zu ihrem Vorgänger Seehofer, dass Faeser eben auch andere Akzente setzt. Benannte der CSU-Mann noch Migration als „Mutter aller Probleme“, legte Faeser Gesetzentwürfe vor, die Einbürgerungen erleichtern, doppelte Staatsbürgerschaften erlauben oder bessere Zugänge zu Integrationskursen schaffen. Sie legte ein Afghanistan-Aufnahmeprogramm auf – wenn auch dieses verspätet kam und momentan hakt.
Sie gewährte queeren Geflüchteten mehr Schutz, sie brachte zusammen mit dem Familienministerium nach jahrelangen Diskussionen das Demokratiefördergesetz auf den Weg. Vor ihrem Ministerium ließ Faeser erstmals die Regenbogenfahne hissen. Und sie wendet den Blick bewusst immer wieder auf Betroffene extremistischer Gewalt, traf sich wiederholt mit Hanau-Angehörigen, auch ohne Kameras.
Es ist dieses Profil, mit dem Faeser in den hessischen Wahlkampf gehen könnte: Empathie und Härte, alle Seiten mitnehmen. Um den Konservativen die hessische Staatskanzlei abzujagen, wäre das wohl auch nötig. Und dem Vernehmen nach sieht Scholz kein Problem darin, wenn Faeser im Wahlkampf Bundesinnenministerin bliebe. Allein durch das Amt hätte sie eine ganz andere Präsenz und Bühne.
Die hessischen Grünen warnen Faeser indes bereits, das Innenministerium sei „kein Teilzeitjob“. Auch die CDU hält Faeser schon jetzt für „am Limit“. Erinnert wird auch an den Fall Nobert Röttgen, der 2012 Bundesumweltminister war und CDU-Ministerpräsident in NRW werden wollte, ohne sich für den Fall einer Niederlage festzulegen – am Ende wurde er von Merkel aus dem Kabinett geschmissen.
In der SPD wird auf andere Fälle verwiesen, etwa auf Manfred Kanther (CDU), der 1995 auch Bundesinnenminister und Spitzenkandidat bei der Hessenwahl war. Oder Armin Laschet, zuletzt NRW-Ministerpräsident und CDU-Kanzlerkandidat. Fast jeder Spitzenpolitiker kandidiere doch aus einem Amt heraus, heißt es von Sozialdemokraten. Und: Es könne ja wohl kein Zweifel bestehen, dass Faeser engstens mit Hessen verbunden sei.
Wahlniederlage in Hessen wäre schweres Problem für Faeser
Dennoch dürfte spätestens eine Wahlniederlage dort Faeser schwere Probleme bereiten. Hartmut Hudel glaubt, dass es anders kommt. Der pensionierte Jurist ist Vizechef der SPD in Schwalbach. Seine Vorsitzende seit 1996: Nancy Faeser. Schon ihr Vater war in Schwalbach Bürgermeister, ihr Ehemann ist derzeit SPD-Fraktionschef der Stadtverordnetenversammlung. Den Job als Innenministerin mache Faeser sehr gut, befindet Hudel am Telefon. „Entschlossen, authentisch, mit Leidenschaft. Sie hat einen Kampf gegen den Rechtsextremismus versprochen und das löst sie ein.“ Law and Order? Hudel winkt ab. „Sie sagt, was ist. Und sie hat die sachliche Ebene doch nie verlassen.“
Seit Faeser Innenministerin ist, sei sie natürlich nicht mehr so oft im Ortsverband. Aber er halte Kontakt, sagt Hudel, per Whatsapp oder E-Mail. Erst zu Monatsbeginn tauchte Faeser beim SPD-Neujahrsspaziergang in Schwalbach auf. Mit 30 Leuten und drei Hunden ging es zu einem Waldgasthaus. Faeser sei „wie immer“ gewesen, sagt Hudel. „Sehr zugewandt, sehr offen. Die Bodenhaftung ist zu 100 Prozent da.“
In Faesers weitere Pläne sei er nicht eingeweiht, behauptet Hudel. Auch beim Spazierengehen: kein Wort dazu. „Ich will da nicht immer nachbohren.“ Aber sollte Faeser Ministerpräsidentin werden wollen, würde das gut passen, findet Hudel. „Sie kann ja sehr gut auf Leute zugehen und kennt die hessische Politik in- und auswendig.“ Eine Kandidatur und ein paralleles Ministeramt wären sicher anspruchsvoll. Andererseits beweise Faeser ja seit Jahren, dass sie vieles vereinbaren könne.
Und wenn seine Parteifreundin am Ende doch verlöre? Er wolle da nicht spekulieren, sagt Hudel. Doch wenn sie „wirklich“ anträte, „würde sie auch gewinnen“. Der SPD-Mann verweist wieder auf Schwalbach, wo seine Partei 2021 bei der letzten Kommunalwahl vorne lag – mit 35 Prozent. „Obwohl das hier eine konservative Ecke ist.“ Gelungen, sagt Hudel, sei das eben mit Faesers Erfolgsrezept: „Pragmatismus und nah an den Leuten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pro und Contra Letzte Generation
Ist die Letzte Generation gescheitert?
Elon Musk torpediert Haushaltseinigung
Schützt die Demokratien vor den Superreichen!
Die Linke im Bundestagswahlkampf
Kleine Partei, großer Anspruch
Studie zum Tempolimit
Es könnte so einfach sein
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
BSW-Chefin im ZDF
Wagenknecht macht BND für Irrtum verantwortlich