Nahost-Konflikt in Berlin: Lieber schön bedeckt halten
Eine Fotoausstellung, die muslimisches Leben in Berlin zeigt, wird zurückgezogen. Es ist ist nicht die erste Absage im Zuge des Nahost-Kriegs.
![Frau mit Kopftuch in Berliner Hinterhof Frau mit Kopftuch in Berliner Hinterhof](https://taz.de/picture/6651506/14/34061948-1.jpeg)
Zehn Fotos des Charlottenburgers sollten demnächst ausgestellt werden, im Showroom des Print-Dienstleisters Pixel Grain in Mitte. Doch dann bekam Malik, so berichtet er es der taz, vorigen Freitag eine E-Mail, die ihn so schockierte, dass er sie auf Instagram veröffentlichte. Seine Bilder seien eine „starke Arbeit“, schrieben ihm die Galeristen, doch aufgrund der „aktuellen politischen Lage im Nahen Osten“ habe man sich nach langer Diskussion entschlossen, sie „zum jetzigen Zeitpunkt“ nicht zu zeigen.
Zwar sei man sich bewusst, dass die Fotos mit dem aktuellen Konflikt nichts zu tun haben, heißt es weiter in der Mail. „Um Konflikte zu vermeiden, möchten wir eine einseitige Präsentation muslimischen Glaubens ohne einen entsprechenden Gegenpol, der beispielsweise jüdisches Leben in Berlin zum Thema hat, aktuell nicht in einer Ausstellung zeigen.“
Theater ziehen Stücke zurück
Die Absage ist nicht die erste im Zuge des neuen Nahost-Krieges. Am 14. Oktober hatte das Gorki Theater die Aufführung des Stücks „The Situation“ von Yael Ronen abgesetzt, in dem es um Teilnehmer eines Deutschkurses geht, die die „Situation“ in Nahost nach Berlin verschlagen hat. Das Stück sei 2015 in einer anderen Realität entstanden, schreibt die Autorin Ronen, diese sei seit dem 7. Oktober, dem Tag des Angriffs der Hamas, „in ihren Grundfesten erschüttert“. Die Theatermacher ergänzen zur Begründung für ihre Absage: „Zur ‚Situation‘ gehört heute der Krieg. Wir erkennen unsere Ohnmacht.“
Auch das TD Berlin, früher Theaterdiscounter, hat eine Vorstellung abgesagt. Am heutigen Donnerstag hätte eigentlich das Soloprogramm „Mein Bedrohliches Gedicht“ Premiere gehabt. Das Stück behandelt den wahren Fall der palästinensischen Lyrikerin Dareen Tatour, „die ein Gedicht über Widerstand schreibt, auf Social Media postet und sich in einem israelischen Gefängnis wiederfindet“, heißt es auf der Webseite des Theaters.
Tatsächlich bekommt das Video-Gedicht von Tatour mit seiner Glorifizierung von Martyrium und Kampf nach dem 7. Oktober einen ganz neuen Beigeschmack. „Damit hat sich aus unserer Sicht der Kontext, in dem die Inszenierung rezipiert werden würde, stark verändert“, schreiben die Theatermacher*innen zu ihrer Absage.
Die israelisch-palästinensische Schauspielerin Lamis Ammar, die die Rolle von Tatour spielen sollte, kritisiert das Vorgehen des Theaters. In einem Interview mit dem Spiegel sagte sie, die Absage sei ein Beispiel dafür, wie Äußerungen der Solidarität mit Palästina in Kulturbetrieben „zum Schweigen gebracht“ würden. „Wer es heutzutage wagt, eine Veranstaltung über Palästina zu machen, dem droht, dass er kein Geld mehr vom Staat bekommt.“
„Antiislamischer Rassismus“
Zurück zu Malik: Der bekommt für seinen Insta-Post, in dem er vom „Canceln“ seiner Ausstellung berichtet, viel Zuspruch. Nicht wenige Kommentatoren regen sich über „strukturellen“ oder „antiislamischen Rassismus“ auf. Viele ärgern sich vor allem, dass die Aussteller einen „Gegenpol“ verlangen, um nicht einseitig zu erscheinen. Der Ärger seiner „Follower“ ist so groß, dass Malik am Sonntag einen Kommentar hinterherschickt und betont, dass er „keine Gewalt“ unterstütze. Obwohl viele es verlangen, nennt er den Namen der Agentur bei Instagram nicht.
Er wolle nicht, dass das Geschäft einen Shitstorm bekomme, sagt Malik der taz. Die Mitarbeitenden seien sehr nett und professionell gewesen. Noch vor wenigen Tagen sei er dort gewesen und habe Testdrucke seiner Fotos angesehen, da habe man nichts zu ihm gesagt. Einen Tag später habe er die Mail bekommen. Freunde hätten ihn darin bestärkt, den Fall öffentlich zu machen, denn es sei falsch, „die Kunstfreiheit zu beschneiden“, sagt Malik. „Wenn Kunst, die niemanden verletzt, aus Angst nicht mehr gezeigt wird, haben wir ein Problem.“ Auch das Verlangen nach einem Gegenpol halte er für gefährlich: „Die verschiedenen Religionen und Kulturen sind keine Gegensätze oder Gegenpole. Berlin ist eine weltoffene Stadt, so bin ich groß geworden.“
Er habe keine politische Botschaft mit den Fotos, sagt Malik, sie beschäftigten sich mit Jugendkultur, Identität, „vielleicht mit Heimat“. Zudem liebe er die arabische und muslimische Ästhetik: Kleidungsstücke wie Jalabiya und Kufiya oder orientalische Muster auf Teppichen und Fliesen seien für ihn in erster Linie „Stilmittel“. Die Verwendung solcher „kultureller Stücke“ als politische Positionierung im Krieg zu sehen, fände er nicht gut. „Die Arbeiten sind zeitlich vor dem aktuellen Konflikt entstanden und haben nichts damit zu tun.“
Die Firma Pixel Grain reagiert kurz angebunden auf eine Anfrage der taz. Es habe noch keinen Vertrag oder ein festes Datum für die Ausstellung gegeben, schreibt Geschäftsführer Robert Jarmatz. „Daraus lässt sich schließen, dass wir uns in keiner Weise zur Ausstellung verpflichtet haben.“ Trotzdem sei man nach wie vor daran interessiert, die Bilder auszustellen, die Ausstellung sei nicht „gecancelt“.
In der Mail an Malik liest sich das freilich anders, wenn es dort heißt, ohne einen fotografischen „Gegenpol“ möchte man die Bilder aktuell nicht zeigen.
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