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Nahost-BerichterstattungBBC unter Druck

Eine Gruppe um Anwalt Trevor Asserson nennt die Berichte der BBC propalästinensisch. Nun gibt es Kritik an der BBC – aber auch am Report.

Mitglieder der National Jewish Assembly protestieren im Oktober 2023 gegen die BBC Foto: Andy Rain/epa

Die BBC soll in ihrer Berichterstattung zum Konflikt zwischen Israel und Gaza keiner neutralen, fairen Berichterstattung nachgekommen sein. Trotz strenger Neutralitätsvorschriften habe der britische öffentlich-rechtliche Sender immens mehr Sympathie für Pa­läs­ti­nen­se­r:in­nen aufgebracht als für Israelis, selbst unmittelbar nach dem 7. Oktober 2023. Dies äußert ein knapp 200 Seiten umfassender Bericht im Auftrag des britischen Anwalts Trevor Asserson, der in Großbritannien und in Israel tätig ist. Asserson ist ein langjähriger Kritiker der BBC und hat eine Lobbygruppe dazu gegründet. Es handelt sich also nicht um eine unabhängige Studie.

Ein von Asserson instruiertes über 40 Personen starkes Team aus Rechtsexperten und Da­ten­ana­lys­t:in­nen untersuchte mit Hilfe von KI-Tools neun Millionen Worte des englischsprachigen BBC-Angebots zwischen dem 7. Oktober 2023 und 7. Februar 2024 – im Fernsehen, Radio, online und in Podcasts. Außerdem untersuchte die Gruppe arabischsprachiges BBC-Material, wovon laut Bericht 90 Prozent propalästinensisch ausgerichtet gewesen sei. Dabei wurde – vereinfacht ausgedrückt – an Personen, aber auch an Chat GPT4 die Frage gestellt, ob ein Bericht laut eines „fair denkenden Beobachters“ eher propalästinensisch oder proisraelisch einzustufen sei. Außerdem wurde gefragt, ob ein Text Sympathie für Israelis oder Palästinenser:innen, die israelischen Streitkräfte oder die Hamas wecke.

Die Studie verglich ihre Ergebnisse mit 342.559 Berichten von 376 anderen Publikationen und Quellen, die nach Auswertung durch KI auf einer Grafik von propalästinensisch bis proisraelisch sortiert wurden. Außerdem hat das Team nach eigenen Angaben zahlreiche Texte mithilfe von geschulten menschlichen Be­wer­te­r:in­nen geprüft, ohne dass es zu großen Unterschieden bei den Ergebnissen gekommen sei. Das Team habe „gemäßigt bis stark propalästinensische und anti-israelische Orientierung“ in über 90 Prozent aller Veröffentlichungen festgestellt. Als Beispiel liest man etwa: „ … bei einer Suche auf BBC Arabic mithilfe von RIMe (einem KI-Tool) in Artikeln von arabischsprachigen Personen suchten wir nach Begriffen wie ‚Vergewaltigung‘ und ‚sexualisierte Gewalt‘. Das Team fand lediglich ein dreimaliges Vorkommen dieser Worte, was eine signifikante Unterrepräsentation darstellt.“

Mehr israelische Kriegsverbrechen genannt

Israel sei von der BBC 592-mal im Zusammenhang von Kriegsverbrechen erwähnt, die Hamas 98-mal. Das Video über den Angriff der Hamas am 7. Oktober habe die BBC im Vergleich zu anderen Medien weit heruntergespielt, etwa weniger Einzelheiten bekanntgegeben und angeblich auch nichts zum Entsetzen über das Material gesagt. Auch die existenzielle Gefahr, welcher Israel seitens sieben regionaler Akteure ausgesetzt sei, sei kaum erwähnt worden, genauso wenig wie die Zustände, in denen sich die israelischen Geiseln befinden.

Die Hamas sei in 7,7 Prozent des untersuchten Materials als terroristische Organisation erwähnt worden und wurde eher als Gesundheitsbehörde zu Todeszahlen zitiert. Weiter heißt es, dass die BBC oft keinen Unterschied zwischen der demokratisch gewählten Regierung Israels und der islamistisch-diktatorischen Hamas mache. Es sei zudem nirgendwo darauf hingewiesen worden, dass Jour­na­lis­t:in­nen in Gaza sich an die Regeln der Hamas halten müssten.

BBC kritisiert Methodik

Der Bericht empfiehlt eine unabhängige Untersuchung der Berichterstattung der BBC. Es müsse messbare Zielwerte für Unabhängigkeit und Genauigkeit geben. Die BBC ist rechtlich auf Unparteilichkeit (due impartiality) verpflichtet und es ist dieses Prinzip, das immer wieder zu Kontroversen führt, zuletzt um den Fußballmoderator Gary Lineker und seine politischen Ansichten.

Die BBC allerdings kritisiert die angewandte Methodik und vor allem die „ausgewogene Sympathie“ statt Unparteilichkeit als Maßstab. „Wir haben ernsthafte Zweifel an der Methodik dieses Berichts, insbesondere daran, dass er sich bei der Analyse von Unparteilichkeit stark auf künstliche Intelligenz stützt, und an der Auslegung der redaktionellen Leitlinien der BBC“, so der Sender in einem Statement. „Wir sind der Meinung, dass Berichterstattung nicht allein durch Zählen einzelner Wörter ohne Berücksichtigung des Kontextes bewertet werden kann. Wir sind zu Unparteilichkeit verpflichtet, und nicht zur im Bericht vorgeschlagenen ‚ausgewogenen Sympathie.‘“ Man sei der Ansicht, dass die Kor­re­spon­den­t:in­nen dies erreichen. Dennoch werde man den Bericht vorsichtig prüfen und den Autoren danach eine direkte Antwort zukommen lassen. BBC-Intendant Samir Shah sprach sich am Dienstag zudem für eine „systematische Untersuchung“ der BBC-Berichterstattung zum Nahostkonflikt aus.

Studie erwähne kein palästinensisches Leid

Die Studie wurde hauptsächlich in rechten und in jüdischen Zeitungen erwähnt, während in den sozialen Medien zahlreiche Menschen die Ergebnisse hinterfragten. Dr. Hagai van der Horst, Mediendozent an der Middlesex University, kritisierte gegenüber der taz die fehlende Erwähnung palästinensischer Schicksale in der Studie. „Es ist immer seltsam, wenn eine Interessengruppe sich gegen einseitige Berichterstattung einsetzt, aber den Schmerz und das Leid der anderen Seite nicht anerkennt.“ Dennoch sei die offensichtlichste Erkenntnis, dass die BBC es bei der Hamas vermeide, von Kriegsverbrechen zu sprechen. Das erinnere ihn an frühere Berichterstattung der BBC über die Bombenattentate auf israelische Busse zwischen 2000 und 2008 und auch über den Irakkrieg, so van der Horst, der über die Berichterstattung des britischen Guardians promoviert hat.

Er analysiert: „In den wenigen Fällen, in denen Menschenrechtsverletzungen in den Berichten erwähnt wurden, bezogen sie sich auf das Fehlverhalten der britischen Streitkräfte und nicht der irakischen Milizen. Begriffe wie ‚Kriegsverbrechen‘ oder ‚Völkerrechtsverletzungen‘ werden moralischen Akteuren wie uns selbst vorbehalten und den ‚kleineren anderen‘ vorenthalten, die noch nicht als fortschrittlich genug gelten, um eine solche moralische Verantwortung zu übernehmen. Wir stellen uns vor, dass wir selbst die Verantwortung für unsere eigenen Menschenrechtsverletzungen übernehmen, sie hingegen sind einfach Monster.“ Und der jüdische Staat werde in dieser Sichtweise zu einem Verbrechen erklärt wie einst das Judentum.

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5 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • "Israel sei von der BBC 592-mal im Zusammenhang von Kriegsverbrechen erwähnt, die Hamas 98-mal."



    Ja weil Israels Armee deutlich aktiver zuschlägt. Das sind einfach die Proportionen des Konflikts.



    Ich bezweifle übrigens dass der BBC auf der palestinensischen Seite ist.

  • "ist ein langjähriger Kritiker der BBC und hat eine Lobbygruppe dazu gegründet. Es handelt sich also nicht um eine unabhängige Studie."

    Nur weil jemand etwas seit langem kritisiert oder sich für oder gegen etwas einsetzt, bedeutet das nicht, dass man nicht unabhängig ist.



    Er ist vielleicht nicht unparteisch, nicht unvoreingenommen; aber warum er nicht unabhängig sein sollte, erschließt sich aus dem Artikel nicht.

  • Dass die BBC nun mit keine neutrale Berichterstattung liefert, konnte man jedem Artikel über deren Wortwahl entnehmen.

    Spannend ist die Erklärung im letzten Absatz über die Motivation dazu.

  • Der Mythos wurde schon bei Yes, Minister von den jüdischen Drehbuchautoren versucht zu pushen.



    Die Lösung auch hier: universal hinsehen. Weder betont harsch, aber auch nicht betont soft. Einfach die Völkerrechtsverstöße auch hier benennen.



    Damals hat Großbritannien allen alles versprochen, um den 1. Weltkrieg einfacher zu gewinnen. Doch selbst die Balfour-Deklaration für eine "Heimstätte" (nicht Staat) verwies auf die einzuhaltenden Rechte der dort Lebenden.

  • Fundierte und sachliche Kritik ist immer gut. Vielleicht ist die Studie ja der Anfang einer echten Debatte um das, was Medien in komplexen Konflikten leisten können und müssen. Unparteilichkeit heißt nicht "Neutralität". In der britischen Qualitätsmedienlandschaft sowie im Angebot der Öffentlichen ist angesichts der Macht der skrupellosen rechten Tabloids, eine Tendenz zur ethischen Fokussierung auf Opfer und Marginalisierte verbreitet. Im Nahostkonflikt sind das über die Zeit gesehen die Palästinenser*innen (gemessen an Land, Opferzahlen, Lebensqualität, Wasser). Außerdem gibt es große Zurückhaltung (wiederum im Gegensatz zur mächtigen rechten Kampfpresse) bei allem, was rassistischen Hass schüren könnte.



    Aber wie gesagt: eine sachliche Auseinandersetzung über diese Gemengelage ist sicher nützlich, zumindest potentiell.