Nachwuchssportler im Fechten: Hiebe für den Sportstandort
Die Fecht-WM in Leipzig ist gelaufen. Im Leistungszentrum trainiert die Jugend für eine Zukunft auf Spitzenniveau. Auch das könnte bald vorbei sein.
Ein Junge am Waschbecken wischt sich die Hände an der Hose trocken. Auf seinem T-Shirt stehen die Worte „World Fencing Championships Leipzig 2017“. Er ist als Helfer hier und begleitet die Fecht-Weltmeisterschaften. Meistens heißt das rumsitzen, bei den Kämpfen zusehen, Autogramme abgreifen. Jetzt will er zurück in die Kampfhalle.
Am Ende der Gänge versperrt eine geschlossene Sicherheitstür den Weg. Davor sitzt ein trübe dreinblickender Wachmann. Alle die durchwollen – Fotografen, ein italienischer Trainer in Sportanzug und mit wütend rotem Kopf oder Helfer wie der Junge vom Toilettenwaschbecken, prüft er mit müdem Blick. Durch die Türritzen dringt das mittlerweile vertraute Schema aus Schrei, Pause, Applaus.
Der Junge öffnet die Tür. Dahinter die Kampfhalle: Weiße Gestalten stürmen aufeinander zu. Auf vier Bahnen trampeln Füße, scheppert Metall – je nach Disziplin Säbel, Degen oder Florette. Die Athleten schwingen und stechen mit solcher Geschwindigkeit, dass selbst die großflächigen Leinwände am Hallenrand mit ihren Zeitlupe-Wiederholungen kaum weiterhelfen. Nach jeder erfolgreichen Attacke fiepen Punktezählmaschinen. Das Geräusch setzt sich wie ein arhythmisch pulsierender Tinnitus im Ohr fest.
Im Rahmen der „Zukunftswerkstatt“ der taz erscheint jeden Freitag statt der Neuland-Seite eine eigene Seite für Leipzig, die taz.leipzig: geplant, produziert und geschrieben von jungen Journalist*innen vor Ort.
Sie haben Anregungen, Kritik oder Wünsche an die Zukunftswerkstatt der taz? Schreiben Sie an: neuland@taz.de. Das Team der taz.leipzig erreichen sie unter leipzig@taz.de
Wieder rammen zwei Kämpfer gegeneinander: ein Russe, ein Ungar, zwei Hiebe. Es fiept. Beide reißen ihre Arme nach oben, schreien ihren Siegesjubel heraus, erstarren so in ihren Posen. Sekunden vergehen. Noch will die Punktetafel nicht umspringen und die beiden erlösen. Noch haben beide den Schlagabtausch gleichzeitig gewonnen und verloren, sind getroffen und nicht getroffen.
Es ist das fechterische Pendant zu Schrödingers Katze, jenem berühmten Gedankenexperiment aus der Quantenphysik über eine Katze, die gleichzeitig tot und lebendig ist. Der Kampfrichter gibt ein Handzeichen. Punkt für den Russen. Weiter geht’s.
Der Nachwuchs schaut zu
Eric Morgenstern bekommt davon nicht viel mit. Die meiste Zeit der WM verbringt der 18-Jährige im Technikbereich. Der ist zwar direkt neben den Bahnen aufgebaut, aber durch blickdichte Trennwände von der restlichen Halle isoliert. Fechter und Fechterinnen kommen hier regelmäßig durch, um ihre Ausrüstung prüfen zu lassen.
Im Moment ist es ruhig. Nur ein paar ukrainische Techniker leisten Morgenstern Gesellschaft, sitzen im Kreis und friemeln rot und grün blinkende LED-Platinen in die Fechtermasken. Morgenstern hilft hier aus, trägt Equipment-Nummern ein und passt auf, dass alles für die Athleten bereitliegt.
Morgenstern gehört zum Leipziger Nachwuchs im Degenfechten. 2013 wurde er Deutscher Meister in der B-Jugend. Besonders gut sei er damals gar nicht gewesen. „Ich habe meistens einfach auf meine Gegner gelauert und dann, zack, Sturzangriff“, erzählt er und streift sich gelegentlich durch die blonden Haare. „Das war zwar nicht viel, aber für den Titel hat es gereicht.“
Damals trainierte er noch in Oelsnitz, einer kleinen Stadt im Erzgebirge mit kaum mehr als 10.000 Einwohnern. Heute ist er beim Bundesstützpunkt in Leipzig. Hier soll Trainer Jörg Fiedler die zukünftige Leistungselite heranziehen, bereit für Wettkämpfe und vielleicht auch irgendwann bereit für die olympischen Spiele.
Im Fechten gibt es deutschlandweit sechs solcher Stützpunkte, drei davon dienen der Nachwuchsförderung. Für die Standorte bringt das vor allem Fördergelder vom Bundesinnenministerium. Leipzig ist der jüngste in dieser Reihe. Erst vor zwei Jahren wurde der Stützpunkt gegründet.
Coming of Age auf der Fechtbahn
„Als ich nach Leipzig kam, hat Jörg meinen Stil gebrochen.“ Deshalb klappe es aktuell nicht mehr so gut, sagt Morgenstern. Sein Trick mit dem Sturzangriff habe nicht mehr ausgereicht: zu vorhersehbar, zu beschränkt, eine Sackgasse. Trainer Fiedler zwang ihn, neue Techniken zu entwickeln und seine eigenen Möglichkeiten auszutesten. Es werde langsam besser, aber noch hinke er bei Turnieren zurück, sagt der Jungathlet über sich selbst.
Morgenstern ist in einer Orientierungsphase. Nicht nur beim Fechten. Sein Handy klingelt: „Ich muss da kurz rangehen, ist wichtig.“ Am Stützpunkt ist er einer der Ältesten. Bald wird er seinen Weg in die Erwachsenenklasse finden müssen – und ins Erwachsenenleben. Mit stockenden Schritten und Telefon am Ohr schreitet er durch den Technikbereich, dreht sich im Kreis, grinst mit jeder Sekunde breiter und legt schließlich nach mehrmaligem Bedanken auf: „Ich hab gerade einen Ausbildungsplatz in Leipzig bekommen.“
Zwei Monate später ist von den Schreien in der Arena nichts mehr zu hören. Die Weltmeisterschaft ist zu Ende. Die Ausbeute: Eine Bronzemedaille für Deutschland. Nach den ausbleibenden Fecht-Erfolgen bei den Olympischen Spielen in Rio schrieben Zeitungen noch von einem Debakel. Die WM-Medaille in Leipzig verschafft dem krisengeplagten Verband Luft. Und Eric Morgenstern hat vor vier Tagen mit seiner Ausbildung als Krankenpfleger am Universitätsklinikum angefangen.
In einer Trainingshalle, direkt neben der großen Arena, sitzt er auf einer Sportbank und wartet gemeinsam mit dem Rest des Teams auf die Anweisungen von Jörg Fiedler – wie fast jeden Tag um diese Uhrzeit. Heute stehen Aufbauübungen auf dem Plan. Das heißt raus auf die nahegelegene Festwiese, viel laufen und springen. Die Erholungspausen sind kurz. „Nehmt euch was zu trinken mit“, kündigt Fiedler an. „Ihr werdet es brauchen!“
Es hätte anders kommen können. Einen Ausbildungsplatz in Chemnitz hatte Morgenstern vor zwei Monaten bereits sicher. Das hätte Pendeln bedeutet, vielleicht auch irgendwann den Abbruch des Fechttrainings in Leipzig.
Spitzensport als Risikojob
Oder der Stützpunkt hätte eingestampft werden können. Ende 2016 hat der Deutsche Olympische Sportbund mit einer Leistungssportreform beschlossen, die Zahl der Bundesstützpunkte drastisch zu reduzieren – von knapp 220 auf 150. Wegfallen sollen auch drei Fechtstützpunkte. Leipzig ist Streichkandidat.
Seitdem wird geschachert. Welcher Stützpunkt überlebt? Wer bringt die meisten Medaillen? Welches Gewicht haben internationale Turniere auf die Entscheidung? Immerhin fanden auch die Weltmeisterschaft 2005 und die Europameisterschaft 2010 bereits in Leipzig statt. Fest steht noch nichts, eine Entscheidung kommt vermutlich erst im nächsten Jahr: Schrödingers Fechtvereine. „Das sind natürlich denkbar schlechte Bedingungen zum Trainieren“, kommentiert Trainer Fiedler.
Als Favoriten werden Bonn, Dormagen bei Düsseldorf und Tauberbischofsheim im nördlichen Baden-Württemberg gehandelt. Für die letzten beiden Standorte gilt: Wer hier parallel zum Sport studieren will, muss 20 bis 40 Kilometer zur nächstgelegenen Uni anreisen – den entsprechenden Studienplatz vorausgesetzt. Mit einem Abschluss in Regelstudienzeit ist es ohnehin schwer. Der Selbstversuch als Profisportler ist immer auch ein Risiko.
Die Jugendsportler schwitzen. Fiedler steht auf der Wiese und checkt seine Stoppuhr. Zwei Krähen staksen über das Feld und picken Insekten aus dem Boden. Er wisse auch nicht genau, wie es mit der Sportreform und den Nachwuchsstrukturen im Land weitergehe. „Für den Augenblick bin ich froh, dass Eric seine Zukunft unter Kontrolle hat.“ Sportlichen Erfolg gönne er dem Jungen natürlich, insbesondere nach dem ganzen Training und dem neu geformten Fechtstil, „aber man weiß ja nie“.
Aus der Ferne, von der anderen Seite der Wiese, hinter einem aufgeschütteten Erddamm und tiefgrünen Bäumen schallt kurz Musik hervor – so laut, dass man sie über den ganzen Platz hören kann. Verzerrt von Wind und Weite trägt sie trotzdem etwas Feierliches mit sich. Doch noch ehe Erik Morgenstern und der Rest der Jungfechter bei ihrer ersten Pause angekommen sind, ist sie wieder verstummt.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!