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Nachwuchs-Grüne über Hartz IV„Einiges wiedergutzumachen“

Die Grünen haben die Forderung verworfen, Hartz-IV-Sätze auf 600 Euro zu erhöhen. Eine vertane Chance, sagt Sarah-Lee Heinrich von der Grünen Jugend.

Will, dass sich die Grünen sozialpolitisch klar positionieren: Sarah-Lee Heinrich Foto: Bernd Arnold
Alina Leimbach
Interview von Alina Leimbach

taz: Frau Heinrich, Annalena Baerbock betont bei jeder sich bietenden Gelegenheit, dass die Grünen nicht nur für besseren Klimaschutz stehen, sondern auch Hartz IV überwinden wollen. Löst das nun beschlossene Wahlprogramm diese Erwartung ein?

Sarah-Lee Heinrich: Wir haben die Abschaffung der Sanktionen drin, das ist enorm wichtig, weil sie Menschen in Angst versetzen, dabei sollte eine Grundsicherung doch Sicherheit verschaffen. Dazu sollen die Regelsätze um mindestens 50 Euro in einem ersten Schritt steigen. Die Grüne Jugend und ich, wir hätten uns allerdings schon ein Bekenntnis über 200 Euro mehr, also 600 Euro Regelsatz gewünscht. Das fehlt nun als fixe Zahl.

Warum sind Ihnen die 600 Euro so wichtig?

Im Interview: Sarah-Lee Heinrich

ist 20 jahre alt und im Vorstand der Grünen Jugend. Sie wuchs selbst mit Hartz IV auf.

Hartz-IV-Sätze sind viel zu niedrig, das wissen wir seit Jahren. Es wurden zahlreiche Ausgaben herausgerechnet. Berechnet man die Regelsätze realistisch, landet man bei diesem Wert. Die Fraktion hat das auch in ihrem Konzept der Garantiesicherung treffend vorgerechnet. Aber auch zahlreiche Wohlfahrtsverbände kommen auf die 600, wenn nicht auf mehr. Das Geld ist wichtig, um allen Menschen ein Leben in Würde zu ermöglichen.

Ausgerechnet Sozialpolitiker Sven Lehmann aus der Fraktion hat dann aber die Gegenrede zu den 600 Euro gehalten und sich für 50 Euro Erhöhung als ersten Schritt ausgesprochen. War das ernüchternd für Sie?

Sven Lehmann kämpft seit Jahren glaubwürdig und engagiert für eine höhere Grundsicherung und hat die 600-Euro-Forderung der Fraktion auf den Weg gebracht. Man kann ihn nicht als den Bösen darstellen. Er hat in dem Sinne auch nicht den Gegenantrag vorgestellt, sondern einen Kompromiss mit dem Vorstand. Zuerst stand dort gar kein Betrag im Programm. Und die 50 Euro sollen nur ein erster Schritt sein.

Aber klar: Wir als Grüne Jugend hätten nicht 200 Euro mehr gefordert, wenn uns das gereicht hätte. Wir wollen dafür nun auch weiter werben. Es kann nicht sein, das Betroffene bis 2024 oder 2028 warten müssen, bis sie genug zum Leben haben.

Warum halten Sie das Thema für eine Ökopartei so wichtig?

Weil wir sonst eine echte Chance vertun. Um die Klimaschutzziele zu erreichen, wird sich die Wirtschaft verändern. Und die Wirtschaft ist ohnehin aus vielen Gründen im Umbruch. Da ist dann doch klar: Der Wandel braucht Sicherheit, unter anderem durch eine gute Grundsicherung. Die Grünen haben außerdem gerade bei Hartz IV noch einiges wiedergutzumachen. Der Partei lastet immer noch der Makel der Agenda-Partei an. Da wäre ein radikaler und konsequenter Schritt bei Hartz IV wichtig.

Allerdings ist die Partei mit ihrem gemäßigten Mitte-links-Kurs mit Fokus aufs Klima aktuell sehr erfolgreich. Es scheint nicht notwendig, sich beim Sozialen zu sehr aus dem Fenster zu lehnen.

Was wir in den letzten Wochen bei den Debatten um die CO2-Bepreisung gesehen haben, ist, dass den Grünen viel Skepsis entgegenschlägt, wenn es um die Sozialverträglichkeit ihrer Ideen geht. Es gibt die Konzepte, wie auch unser Energiegeld, aber diese sozialen Themen müssen eben auch präsent in den Vordergrund rücken. Mehr soziale Gerechtigkeit und die Bekämpfung der Klimakrise sind zwei Seiten derselben Medaille.

Manche sehen das soziale Potenzial der Grünen weniger optimistisch. Nicht zuletzt sind die 50 Euro mehr Hartz IV, wie Sie sagen, deshalb ins Wahlprogramm gekommen, weil es Bedenken gab, dass sonst gar keine Zahl drinsteht.

Ich würde sagen, man sieht, dass viele wegen der aktuellen Berichterstattung derzeit vorsichtig sind. Das kann man durchaus kritisch sehen, denn es kann dazu führen, dass man sich zu wenig vorwagt. Allerdings wurden auch viele eher konservativere Anträge abgeschmettert, ich würde nicht davon sprechen, dass die Partei generell gegenüber linken Ideen kritisch ist.

Wie meinen Sie das?

Ein Antrag der forderte, dass man sich nicht vornimmt, das Rentenniveau auf 48 Prozent anzuheben und zu halten, wie es nun im Programm steht, hat gerade einmal zehn Prozent Zustimmung bekommen. Insgesamt haben wir als Grüne Jugend auch im Vorhinein schon viele Punkte mit ins Programm verhandelt. Es ist nun das linkeste Wahlprogramm, das es in den letzten Jahren gab – linker als das von 2017 und auch als das von 2013.

Trotzdem gibt es nun die Befürchtung, dass Sie mit der Forderung „50 Euro mehr Hartz IV“ in eine Koalitionsverhandlung mit der Union reingehen und dann vielleicht nur mit 25 Euro mehr rausgehen.

Was klar ist – und wie es auch Sven Lehmann betont hat: Die 50 Euro mehr Hartz IV müssen das Mindestmaß sein, eine rote Linie für Koalitionsverhandlungen. Drunter geht’s nicht. Und danach müssen die Regelsätze weiter steigen – und zwar deutlich. Wir als Grüne Jugend würden allerdings ohnehin ein anderes Bündnis anstreben, mit dem inhaltlich mehr zu erreichen ist. Grüße gehen an der Stelle an die Linkspartei raus.

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9 Kommentare

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  • Wenn man bedenkt, das Rot/Grün Hartz4 damals auf den Weg gebracht hat, wäre es nur fair, wenn die "neuen" Grünen den fehler bereinigen.

    Und als Übergang zu den "neuen Konzepten" ist es durchaus sinnvoll ALGII auf ein Niveau zu bringen, was Menschen erlaubt ein normales Leben zu führen.

    Aussagen wie "mehr Hartz4 hilft nicht" kommt wahrscheinlich nur von Menschen, die noch nicht davon leben mussten.

  • Die Grünen müssen sich entscheiden, ob sie als "linke" Partei sich mit SPD und Linkspartei um die Minderheit der Wähler streeiten wollen oder ob sie als eine "Mitte" Partei die Mehrheit vertreten wollen und dann auch Regierungsverantwortung übernehmen wollen.



    Wer das Geld der "Mitte" Bürger in seinem Wahlkampf mit der Gießkanne über den sozial Schwächeren auschütten möchte, der mag der Linkspartei einige Wähler abspenstig machen, aber der wird nicht die Stimmen der Mehrheit bekommen.

  • Mit der H4-Satz muss hoch, seinen die Grundsicherung muss allgemein anders gestaltet werden.

    Der Sozialstaat braucht Überarbeitung und zwar nicht nur für die Erwerbslosen Personen. Immer nur H4 hoch löst keine Probleme.

    Mit bedacht werden muss um Beispiel ganz viel Anderes, was bei dem Grünen keine Beachtung findet.



    Kinder sind das größte Armutsrisiko in Deutschland. Dagegen hilft es nichts, Kindern am Besten aus dem Bauch raus eine Fremdbetreuung zu garantieren, damit Mama direkt wieder arbeiten kann.

    Auch zum Thema Energie- und Wohnkosten fehlt ein konkretes wirklich soziales Konzept. Energiegeld reicht da nicht und Das wäre sehr wichtig im Zusammenhang mit Sozialpolitik der nächsten paar Jahre!

    Die Krankenversorgung muss bei überarbeitet werden (Brille, Zahnersatz, Zahnspange,….).

    H4 hoch brüllt sich leicht und ist eine welsche Parole, um so zu tun, als würde man sich um den Sozialstaat kümmern, ist aber nicht das Richtige. Es muss ein neues Konzept her.

  • Ich wiederhole meine Prognose:

    Die kommende Bundesregierung wird die "Deutschland - Koalition" sein: Union, SPD, FDP

    • @Der Alleswisser:

      Weitere lustige Spitznamen für diese Option: "Bankrott-Koalition", "Backstab-Koalition", "Dolchstoßregierung", "Soljanka-Koalition", "Damage Control" oder sogar "Alternative für Deutschland". Oder einfach "Matschpampe". Vielleicht auch, mit Michael Ende, "Alte-Kaiser-Koalition". Oder "Weiter-So-Regierung", oder "Jetzt-wächst-zusammen..."

      Ach, sei's drum. Der SPD unter Agenda-Scholz wäre es zuzutrauen. Frau Esken würde natürlich pro forma ihr Unbehagen äußern, und dann würde man's trotzdem machen.

      Man darf gespannt sein, welche Art von "unangenehm" einen am Ende tatsächlich erwartet. Für "die hier unten" wird sich nicht viel ändern...

  • Als ehemaliger Hartz-4-Empfänger werde ich höchstens mit einer bösen Vorahnung die Grünen wählen, also das kleinere Übel.

    Daß am Ende der Kanzler doch wieder Laschet heißt, daß die Grünen das soziale Feigenblatt in einer Koalitionsverhandlung als erstes opfern, weil ihnen andere Themen wichtiger sind, und daß ich als Wähler ein zweites 1998 erlebe und danach gar nicht mehr wählen gehe.

    Denn wenn ich mir eingestehen muß, zweimal auf dasselbe Manöver reingefallen zu sein, war's das. Das würde sehr weh tun. Das wäre der Stempel in meinen Blödenausweis.

    Das einzige, was noch schlimmer wäre, wäre RRG mit einer Kehrtwende nach rechts nach der Wahl, a la Helle Thorning. Erst das Rote vom Himmel versprechen, dann rechts abbiegen. Das wäre die linke Vollkatastrophe.

    -> Ich erwarte so oder so nichts besonders Soziales nach der Wahl. Ich glaube nicht daran, daß es unter einer schwarz-grünen Regierung keine Sanktionen mehr gibt.

    Wenn ich mir was wünschen darf: Mindestlohn für Azubis. Wird es auch nie geben.

  • Bleibt dran!

  • 200€ Erhöhung wäre doch eh nicht durchgegangen, da RRG als Koalition ziemlich unwahrscheinlich scheint.



    Also was soll dann so eine Forderung.

  • Liebe Grüne, lasst das mit der CDU sein. Das werden zu viele ekelige Kröten sein die ihr schlucken müsst um ein Minimum eurer Forderungen durchzubekommen.