Nachruf auf taz-Redakteur Wolfgang Gast: Bis zuletzt ein aufrechter Linker
In eigener Sache: Wolfgang Gast war taz-Redakteur, intellektuelle Inspiration und beliebter Kollege. Jetzt ist er im Alter von 62 Jahren gestorben.
Die taz verliert mit Wolfgang Gast einen absolut integren Menschen und einen Journalisten, der sich wie kaum noch ein anderer in der Zeitung mit linker Geschichte auskannte.
Wolfgang war bestens vertraut mit der Antifa-Bewegung im Westen wie mit der Bürgerbewegung im Osten. Er kannte sich aus und stellte sein Wissen ganz unprätentiös zur Verfügung, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Wenn Wolfgang in den letzten Jahren gelegentlich anrief, um mal über ein Thema zu reden, war klar, dass er längst eine Idee hatte, die er dem Autor langsam, aber kenntnisreich nahezubringen versuchte.
Als Redakteur in der Meinungsredaktion der taz interessierte er sich für Kommentare und Debatten über innere und äußere Sicherheit, aber er hatte auch ein Faible für den Nahen Osten. Immer gut informiert und immer bereit zu einem Gespräch, hatte er eine große Empathie für die Entrechteten dieser Erde. Wolfgang war bis zuletzt ein aufrechter Linker, dem Anbiederung an die Macht und die Mächtigen oder an modische Zeitströmungen völlig fremd war. Das machte sich selbst an Äußerlichkeiten fest. Seine langen Haare trug er konsequent bis zuletzt. Auch an seinen Prinzipien hielt er fest: Gerechtigkeit war für Wolfgang nicht verhandelbar.
Von Haus aus Pädagoge
Wenn ich mich richtig erinnere, tauchte Wolfgang Mitte der 80er Jahre in Berlin auf, nachdem er sich in Nürnberg in der dortigen taz-Initiative engagiert hatte, die dann für kurze Zeit ein lokales Wochenblatt auf die Beine stellte. Als dieser Versuch scheiterte, kam Wolfgang nach Berlin. Wie die meisten taz-Leute der frühen Jahre war Wolfgang kein ausgebildeter Journalist, sondern ein politischer Aktivist, von Haus aus Pädagoge. In Nürnberg war er bei der Gründung eines unabhängigen Jugendzentrums dabei.
Einmal in Berlin, nahm Wolfgang nicht nur Kontakt mit der Autonomenszene im Westen auf, sondern konzentrierte sich schnell auch auf die Bürgerrechtsbewegung im Osten der Stadt. Von seiner Wohnung in Kreuzberg, nur zwei Meter von der Mauer entfernt, schaute er jeden Tag auf den Mauerstreifen und die Todeszone mitten durch Berlin. Anders als viele Linke in Westberlin war Wolfgang fasziniert vom demokratischen Aufbruch im Osten, ohne das nationale Pathos gutzuheißen, das mit dem Mauerfall über die Mehrzahl der Deutschen kam.
Etliche taz-Geschichten mit viel Kenntnis
Im Kreis anderer Journalisten, die sich zwischen Ost und West bewegten, dem sogenannten Tipp-Ex-Stammtisch, fand Wolfgang mehrere Jahre lang viele Freunde und eine geistige Heimat. Für die taz war er ständig im Osten unterwegs und berichtete über die dramatischen Entwicklungen jenseits der Mauer. Als andere anfingen, sich wieder anderen Themen zuzuwenden, tauchte Wolfgang gemeinsam mit den Aufklärern im Osten in die Welt der Stasiakten ein.
In der damaligen Gauck-Behörde ging Wolfgang ein und aus. Doch während andere frühere Kollegen dort ganz ihren Platz fanden, blieb Wolfgang beim Journalismus. Für einige Zeit kannte sich niemand in der taz so gut mit der geheimen Hinterlassenschaft von Mielke und Co aus wie Wolfgang. Wenn einer geheime Stasiakten besorgen konnte – auch die Akten der Stasi über die taz –, war es Wolfgang. Etliche Geschichten in der Zeitung zeugten davon.
Einmal im Geheimdienstmilieu gelandet, wurde Wolfgang bald auch zum Spezialisten für die Machenschaften der westlichen Sicherheitsdienste. Der BND, das BKA, der Verfassungsschutz und die Repression gegen Linke waren für Wolfgang immer ein Thema. Vor allem interessierte ihn deren Umgang mit der Roten Armee Fraktion (RAF), als diese längst bereit war, ihren mörderischen Kampf aufzugeben.
Wie bei der Stasi auch war er mit jedem Detail vertraut. Er begleitete die Auflösung der RAF publizistisch, und als es im Juni 1993 auf dem Bahnhof von Bad Kleinen zu einem tödlichen Schusswechsel zwischen einem Kommando der GSG 9 und den letzten aktiven RAF-Kadern kam, gehörte Wolfgang zu den Journalisten, die akribisch der Frage nachgingen, ob der RAF-Terrorist Wolfgang Grams sich selbst erschoss oder von der GSG 9, bereits schwer verletzt, hingerichtet wurde. Die Frage beschäftigte Journalisten jahrzehntelang.
Wolfgang war jemand, der an seinen Themen dranblieb und immer sehr gut informiert war, ohne sich selbst in den Vordergrund zu spielen. Die Extravertiertheit vieler Meinungsmacher ging ihm völlig ab. Auch privat war Wolfgang ein zurückhaltender Mensch, der aber seinen Freunden immer treu blieb. Aus Istanbul zurück nach Berlin zu kommen war für mich immer gleichbedeutend damit, Wolfgang wieder zu treffen. Mit Wolfgang am Snookertisch zu stehen und wieder einmal zu erleben, wie er eine Kugel nach der anderen versenkte, war für mich lange Jahre Teil der Selbstvergewisserung, auch in Berlin noch eine Heimat zu haben.
Dabei liebte der Ruhepol Wolfgang das Abenteuer. Wandern in Grönland und Kanufahren in Alaska gehörten eine Zeit lang zu seinen Freizeitbeschäftigungen. Auch ein Sturm auf einem kleinen Segelboot auf dem Bosporus brachte ihn nicht aus der Ruhe. Später entdeckte er durch eine Freundin Kreta. Die griechische Insel wurde für ihn zu einem Sehnsuchtsort, wo er gerne seinen Lebensabend verbracht hätte.
Dazu ist es nun nicht mehr gekommen. Wolfgang, der in der Pandemiezeit im Homeoffice sehr zurückgezogen in seiner Kreuzberger Wohnung gelebt hatte, starb in der Nacht vom 20. auf den 21. April mit nur 62 Jahren im Kreuzberger Urbankrankenhaus an Nierenversagen. Er wird uns sehr fehlen.
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