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Nachruf auf die Kessler-ZwillingeFrauen von Klasse auf den Showtreppen der Welt

Die Kessler-Zwillinge waren seit den 50ern als Botschafterinnen eines coolen Deutschland hochgeschätzt. Nun sind sie aus dem Leben geschieden.

Ein gemeinsame Urne als letzter Wunsch: Alice und Ellen Kessler, Aufnahme von 2004 Foto: Jörg Carstensen/dpa

Gäbe es einen Altar der deutschen Kulturgeschichte der Nachkriegszeit, sie stünden dort beide schon lange: Die Kessler-Zwillinge, Alice und Ellen, geboren 1936 in Nerchau, Sachsen, Töchter ehrgeiziger Eltern, vor allem eines Vaters, der sie früh zum Ballettraining schickte – und durchaus mit Erfolg. Aus den beiden Mädchen wurden schließlich in ihrer Zeit weltberühmte Revue- und Showtänzerinnen.

„Wir waren nie auf der vulgären Seite“, sagte eine der beiden, und dieser Satz deutet auf eine gewisse Irritation in ihrer Heimat, dem damals prüden Deutschland, hin, denn sie übten ihre Kunst, absolute Synchronität in so gut wie allen Moves, im Pariser Showtheater Lido aus, damals eine Bühne, die für eine gewisse Verruchtheit stand.

Die Kesslers kamen zu diesem Engagement fern deutscher Sittlichkeitsempfindungen, nachdem sie für die Bundesrepublik 1959 beim ESC in Cannes an der Côte d’Azur auftraten. Der achte Platz schadete ihnen nicht, im Gegenteil, ihr knapp dreiminütiges, in gemäßigtem Tempo dargebrachtes Couplet „Heute Abend woll’n wir tanzen geh’n“ war ein leicht frivoler Act ohne Anzüglichkeit.

Immer elegant auf den internationalen Showtreppen

Beide waren Künstlerinnen der erotisierten Andeutung. Ihr Können brachte sie schließlich in die allererste Riege international agierender Stars, zu Performances mit Frank Sinatra und Dean Martin in den USA, schließlich viele Jahre nach Italien, wo sie als „Gemmele Kessler“, die Zwillinge Kessler, im Fernsehen wie Botschafterinnen eines coolen Deutschland hochgeschätzt wurden. In der Bundesrepublik war keine Samstagabendshow der Sechziger- bis Achtzigerjahre denkbar ohne einen ihrer Showtreppenauftritte, immer elegant, trittsicher, beeindruckend leicht aussehend.

Dass sie ihre Karriere bis vor wenigen Jahren, nach eigener Aussage bis zu den Lockdowns während der Coronazeit, lebten, hatte natürlich auch mit ihrer Körperdisziplin zu tun. Nie ließen sie sich gehen, bei einem Gespräch im Berliner Varieté Wintergarten sagten sie mir einmal, Diät oder Vorsichtsmaßnahmen beim Essen seien nicht nötig – Fitness in jeder Hinsicht sei doch selbstverständlich, keine Arbeit, kein Zwang. Eine der beiden fügte bei der Gelegenheit an, sich schlank und rank zu halten sei Routine, da denke sie nicht drüber nach.

Sie waren, dies darf auch gesagt werden, buchstäblich Frauen von Klasse und zumindest während des einstündigen Gesprächs ohne Divenhaftigkeit – sie blieben immer professionell, freundlich und nett. Und auf die Bemerkung, es sei nicht so leicht, sie auseinanderzuhalten, meinte eine der beiden: „Da sind Sie nicht allein, das geht uns manchmal auch so.“

Keine Macht den Männern

Im Übrigen waren sie nie verheiratet, dann und wann mit Männern liiert, aber sie hatten ja sich und die Sicherheit, in der anderen (Schwester) sich nicht zu verlieren. Männer, so sagten sie, sollten nie Macht über sie haben, sie könnten auch gut ohne Trauscheine durchs Leben gehen – die Ehe ihrer Eltern prägte sie, denn der Vater neigte, zumal nach Alkoholkonsum, zu entgrenzter Gewalt gegen seine Frau, die geliebte Mutter der Zwillinge.

In den vergangenen Jahren lebten sie in München. Dort entschieden sie sich, nun ihr Leben mit einem Punkt zu versehen: Ende. Mit assistierter Sterbehilfe gingen sie am Montag aus dieser Welt, testamentarisch schon lange zuvor verfügend, dass ihre Asche in einer gemeinsamen Urne vereint werden solle, in Italien sei das gesetzlich auch möglich.

Hilfe bei Suizidgedanken

Haben Sie den Verdacht, an Depression zu leiden? Oder haben Sie sogar suizidale Gedanken? Andere Menschen können Ihnen helfen. Sie können sich an Familienmitglieder, Freun­d:in­nen und Bekannte wenden. Sie können sich auch professionelle oder ehrenamtliche Hilfe holen – auch anonym. Bitte suchen Sie sich Hilfe, Sie sind nicht allein. Anbei finden Sie einige Anlaufstellen.

Akute suizidale Gedanken: Rufen Sie den Notruf unter 112 an, wenn Sie akute suizidale Gedanken haben. Wenn Sie sofort behandelt werden möchten, finden Sie Hilfe bei der psychiatrischen Klinik oder beim Krisendienst.

Depression und depressive Stimmung: Holen Sie sich Hilfe durch eine Psychotherapie. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe kann Ihnen ferner Hilfe und Information zum Umgang mit Depression bieten.

Kummer: Sind Sie traurig und möchten jemanden zum Reden haben? Wollen Sie Sorgen loswerden und möchten, dass Ihnen jemand zuhört? Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr besetzt. Die Telefonnummern sind 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222. Sie können auch das schriftliche Angebot via Chat oder Mail in Anspruch nehmen.

Onlineberatung bei Suizidgedanken: Die MANO Suizidprävention bietet eine anonyme Onlineberatung an. Wenn Sie über 26 Jahre alt sind, können Sie sich auf der Webseite registrieren. Sollten Sie jünger sein, können Sie hier eine Helpmail formulieren.

Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern: Die Nummer gegen Kummer hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern zu helfen. Kinder erhalten dort Unterstützung unter der Nummer 116 111, Eltern unter 0800 111 0 550, und bei der Helpline Ukraine unter 0800 500 225 0 finden Sie auch Hilfe auf Russisch und Ukrainisch.

Hilfsangebot für Mus­li­m:in­nen: Die Ehrenamtlichen des Muslimischen Seelsorgetelefons erreichen Sie anonym und vertraulich unter 030 443 509 821.

Bei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention können Sie nach weiteren Seiten und Nummern suchen, die Ihrem Bedarf entsprechen.

Auf dem Altar deutscher Kulturschätze werden nun Kerzen angezündet, sie würden sich bei diesem Anblick zu ihren Ehren freuen.

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3 Kommentare

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  • Haltung bis zum Schluss - alle Achtung.

  • Wenn man liest, wen sie in ihrem Testament als Erben einsetzten, erkennt man ihre humanistische, weltläufige und soziale Haltung.



    (Ärzte ohne Grenzen, Blindenmission CBM, das Kinderhilfswerk UNICEF, das Paul Klinger Künstlersozialwerk und die Deutsche Stiftung Patientenschutz)

    • @Klaus Waldhans:

      Daran erkennt man wohl viel mehr, dass sie keine Erben haben. Viele Menschen die Geld haben, aber keine Erben, stiften den Nachlass.