Nachruf auf US-Funklegende Sly Stone: Der Spirit des Standfesten
Er erfand den Funk mit sozialkritischem Masterplan und leitete eine der ersten integrierten US-Bands. Musiker Sly Stone ist gestorben. Ein Nachruf.

Liebe, Freiheit und friedliches Zusammenleben. In den unruhigen, segregierten USA der mittleren 1960er Jahre mussten solche Attribute hart erkämpft werden. Es brauchte dafür künstlerischen Spirit, Standfestigkeit und eine klare Haltung. Von den grundlegenden Dingen jener unruhigen Zeit handeln die Songs des Albums „Stand!“ von Sly and the Family Stone.
Musik und Texte bringen die Hoffnungen der Bürgerrechtsbewegung auf soziale Teilhabe und das gestiegene Selbstbewusstsein der Schwarzen Musikkultur mit dem Optimismus der Hippie-Ära zu etwas völlig selbstverständlichem Neuem zusammen: Funk. Groove und spirituelle Bestimmung waren abgeleitet von Soul und Gospel; Psychedelik und Experimentierfreude kamen vom Rock; und die Chuzpe hatte Sly Stone, der Sänger und Bandleader, als zeitweiliger Moderator am Mikrofon eines Radiosenders in San Francisco erprobt.
Schon Mitte der 1960er arbeitete Sly Stone dort als Studioproduzent, unter anderem für die Sängerin Grace Slick (später Jefferson Airplane). Sly Stone brach im Musikbiz alle Schranken, die Schwarzen in der US-Gesellschaft bis dato im Weg standen. Und er schaffte als einer der Ersten den Crossover in die Mehrheitskultur. Sly Stone brachte etwa durch Auftritte in Late-Night-Talkshows tiefe Kontraste in das Farb-TV, das ungefähr zeitgleich mit seiner Karriere entstand.
Wut kanalisieren
„Stand!“, veröffentlicht 1969, ist vielleicht das Meisterwerk seiner Band Sly and the Family Stone. Denn aus der Musik spricht erhöhte Spiritualität („I Wanna Take You Higher“), die Lust an der Existenz („You Can Make It If You Try“); und ein Masterplan, die angestaute Wut in Songs zu kanalisieren, die etwas bewirken („Don’t Call Me Nigger, Whitey“).
Der Song „Everyday People“ mit der zum Slogan gewordenen Zeile „Different strokes for different folks“, die sich gegen die Privilegien der Hippie-Bohemiens wandte. Sich erheben und bewegen zur Musik „Dance to the Music“ (erschienen als Single, fast zeitgleich mit dem Album „Stand!“) und ein wütender Kommentar zu den Unruhen um 1968 „Hot Fun in the Summertime“ (ebenfalls eine Single, veröffentlicht 1969). Diese beiden und sowie die acht Songs auf „Stand!“ hatten eine wichtige Botschaft und so formte sich das Album zum Gesamtkunstwerk.
Sly Stone hatte großen Anteil daran, dass sich das englische Wort „Spirit“ damals überhaupt in den deutschen Sprachgebrauch eingeschlichen hat. Wer seine filigranen Gesangsarrangements hört, die Läufe am Keyboard, merkt sofort den Spirit, der aus der Musik von Sly and the Family Stone spricht. Sly (bürgerlich Sylvester Stewart) verkörperte wie kein Zweiter den Spirit einer Ära, die Aufbruchstimmung der 1960er Jahre, den Willen, Dinge zu ändern.
Integrierte Band
Sly Stone etwa leitete eine Band aus Schwarzen, Weißen und Latinx, Musikerinnen und Musikern. Frauen als gleichberechtigte Instrumentalistinnen. „In ihrem Sound lag enorme künstlerische Freiheit. Die Musik war komplex, weil Freiheit an sich komplex ist“, formulierte es der US-Autor Greil Marcus.
„Wild und anarchisch, weil der Wunsch nach (künstlerischer) Freiheit genau so ist. Die Musik klang ansteckend optimistisch, zärtlich, mitfühlend, wie eben die Realität von Freiheit.“ Zur Legende geriet im August 1969 auch der Auftritt on Sly and the Family Stone beim Festival in Woodstock, wo die Band um eine Zugabe gebeten wurde.
In jener Zeit reflektierte und untermauerte Sly Stone seinen Status als Schwarzer Rockstar und Begründer des Funk mit dem Album „There’s a Riot goin’ on“ (1971) und dem Song „Family Affair“, der als einer der ersten den Beat von einer Rhythmusbox, einem Drumcomputer, so programmierte, dass er wie ein menschlicher Herzschlag pochte.
Empfohlener externer Inhalt
„Family Affair“
Tiefer Fall
Die 1960er Jahre waren da bereits vorbei, und mit ihnen geriet das affirmative Moment des Progressiven ins Hintertreffen. Nach dem steilen Aufstieg kommt ein tiefer Fall. Sly Stone zollte dem Tour- und Aufnahmestress mit exzessiven Drogenkonsum Tribut.
Er veröffentlicht noch einige gute Alben in den 1970ern, ebnet dabei den Weg für Künstler:Innen wie Prince und Erykah Badu, aber ruiniert seine Karriere durch kokainhaltige Unzuverlässigkeit. In dem Dokumentarfilm „Sly Lives! The Burden of Black Genius“, von Ahmir „Questlove“ Thompson (2025), wird Sly Stones Genie mit der gesellschaftlichen Ausgrenzung zusammengedacht, der das Schwarze Amerika trotz Erlangung der Bürgerrechte auch in den 1970er und später weiter begegnete. Sly Stone konnte sich zunächst befreien; die Lust am freien Dasein kollidierte mit der Last seiner künstlerischen Begabung.
Erst als Großvater konnte er sich von den Drogen wieder befreien. Am Pfingstmontag ist er im Alter von 82 Jahren gestorben.
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