Nachruf auf Sängerin Melanie Safka: Das echteste Blumenkind
Eine der prominentesten Hippie-Ikonen der frühen Siebzigerjahre ist tot. Woodstock-Sängerin Melanie Safka wurde 76 Jahre alt.
Fragt man einen Boomer, und war dieser (oder diese) der hippieinspirierten Kultur der späten Sechziger, frühen Siebziger immer ein wenig, und sei es aus sentimentalen Gründen, ergeben, ob er sie kenne, Melanie!, gab es stets ein entrüstetes, immer von einem Lächeln begleitetes: „Ja, natürlich!“
Melanie, die mit Familiennamen Safka hieß, aber mit ihrem Vornamen zu einer der beliebtesten Ikonen ihrer, eben der Hippiezeit war, war das echteste Blumenkind unter allen Chanteusen jener Jahre, ob nun offen politisch oder nicht minder offen bildungsbürgerlich-lyrikerinnenhaft orientiert wie Joan Baez und Joni Mitchell, ob nun verhuscht wie Judy Collins oder die angebliche kanadisch-amerikanische First-Nation-Angehörige Buffy Saint-Marie: Sie, Melanie Safka, im Astoria-Viertel in New Yorks Bezirk Queens 1947 geboren, mochte, liebte und verehrte die Kultur der Beatniks (Alan Ginsburg, Jack Kerouac etc.), verehrte in ihnen die Möglichkeiten des anderen Amerika, eine Frau, die ein fröhliches Leben wollte und eben unverstellt mochte, was sie singend repräsentierte – Liedermacherei, verrätselte Eigenbrötelei, poetischen Postsurrealismus.
Sie war keine steile Biene, kein weibliches Objekt männlicher Sehnsüchte, sie verströmte eher die Aura einer sich nicht zwischen einer gewissen Vierjährigkeit und frühgereifter Vierzigjährigkeit entscheiden wollenden Frau.
Und die kam durch eine Panne richtig groß raus. Als Nachwuchshoffnungsträgerin neuer amerikanischer Einflüsse im Popularmusikgeschäft wurde sie für das Woodstock-Festival zwar gecastet, aber sie war Ersatzfrau, kam aber zum Einsatz, weil die schon viel berühmtere Incredible String Band sich weigerte, im strömenden Regen jener Festivaltage in Upstate New York aufzutreten.
In den Höhen brüchig, in den Tiefen verlässlich
Melanie aber scheute keine misslichen Umstände. Und sang. Und war plötzlich Hot Shit in der Szene. War mit großen Hits in den Charts, etwa mit „Brand New Key“ (eine frühfeministische Gegeninterpretation zum männlichen Lolita-Mythos), mit dem Rolling-Stones-Cover des Liedes „Ruby Tuesday“, das durch sie erst so richtig gut wurde, Mick Jaggers dürrer Gesang versagte am eigenen Stoff, mit „Beautiful People“, „Lay Down“ oder „Peace Will Come“. Sie servierte ihre Lieder mit einem Gesang, der für das populäre Gewerbe einzig sein konnte – ihre Stimme, leicht rau, in den Höhen brüchig, den Tiefen verlässlich – und alles zusammen in Refrains entgrenzt und herzensstark.
Melanie Safka ist zeit ihres Lebens eine Hippiefrau geblieben, viele Jahrzehnte mit dem gleichen Mann verheiratet, Mutter dreier Kinder und von unerschütterlicher Stabilität im Hinblick auf das, was ihre persönlichen Lebenswerte waren: kein Krieg, keine Gewalt, vor allem nicht gegen Schwächere, Coolness – und das mit einer Portion guter Laune überall. Sie hing wechselnden asiatischen Inspirationslehren an, probierte sich in Psychoanalyse und hatte bei vielen Kollegen und Kolleginnen ihrer Branche bis in jüngste Zeiten den Ruf, alles möglich zu sein, bloß keine Übelnachrednerin oder Intrigantin zu sein.
Ihr irrstes und wirrstes Lied, eine Perle des Pop, komponierte und textete sie 1970, in Deutschland interpretiert, ebenfalls erfolgreich durch die Israelin Daliah Lavi: „What have they done to my song, Ma?“ Ein Lied, das in jeder Zeile geheimnisvoll bleibt, inkl. der eingestreuten und in den USA exotisch anmutenden französischen Zeile „Ils ont changé ma chanson, Ma“. Denn bis zum letzten Ton bleibt unklar, was Muttern nun wirklich zerstört hat: Post-Ödipale Ansprüche an den Vater?, sexueller Missbrauch?, Drogendelirbewirkte Textualität ums Irgendwas?
Durch den schleppenden Ton, akkordeoninstrumentiert, prononcierte sie, Kind von Eltern, die aus Italien und der Ukraine eingewandert waren, das osteuropäische Erbe ihres Vaters: ein Pop-Mirakel, wie es besser kaum geht. Ein Denkmal für dieses Lied setzte Melanie mit Miley Cyrus 2015: Stimmlich immer noch auf der Höhe, für Operngesang viel zu schade.
Sie war in Deutschland beliebt, jedenfalls unter Boomerinnen*; die Jugendzeitschrift Bravo ehrte sie 1972, Basis war eine Publikumsabstimmung, mit dem „Silbernen Otto“ (Gold: Juliane Werding, Bronze: Daliah Lavi). Melanie Safka-Scherekyk ist am Dienstag in Nashville, USA, im Alter von 76 Jahren gestorben.
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