Nachruf auf Nadja Tiller: Von pragmatischer Anmut

Sie spielte das Mädchen Rosemarie und war im Nachkriegskino die Gegen-„Sissi“. Mit 93 ist die großartige Schauspielerin Nadja Tiller nun gestorben.

Portrait der Schauspielerin Nadja Tiller

Nadja Tiller, Aufnahme aus den späten sechziger Jahren Foto: United Archives/imago

Das Wort „Diva“ wird meist vorschnell in einen Satz eingebaut, um eine strahlende Frau zu charakterisieren, von den anderen abgesetzt, ihnen entrückt. Nadja Tiller bekam dieses Wort häufig beigefügt, um sie zu beschreiben – und nichts war falscher als dies. Die gebürtige Österreicherin, die einer Künst­le­r*in­nen­fa­mi­lie entstammt, war, ausweislich aller Klatschgeschichten von Drehorten, von Filmsets oder bei Homestories, im Gegenteil von pragmatischer Anmut, aber ohne diese besonders hervorzukehren.

1929 in Wien zur Welt gekommen, wollte sie, ja konnte sie nur Schauspielerin werden, ihre Eltern hatten diesen Beruf schon ergriffen. Ende der vierziger Jahre drehte sie ihren ersten Film, weitere folgten, etliche – ehe sie, die in der Tat strahlende Schönheit, die sie verkörperte, eine Schönheit, die keinen ästhetischen Ballast der eben vergangenen Nazizeit mit sich zu tragen schien, mit einem Film zur Berühmtheit wurde.

Das war 1958, sie war da längst von der deutschsprachigen Filmwirtschaft als sichere Kassenlieblingsnummer erkannt, als sie „Das Mädchen Rosemarie“ spielte, die Geschichte einer Prostituierten im edelbürgerlichen Milieu. Nadja Tiller, zu dieser Zeit schon verheiratet mit der Liebe ihres Lebens, ihrem Kollegen Walter Giller, war wie geschaffen für diese Story: Sie schien als Schauspielerin mit dieser gewissen Aura von eleganter Unerschütterlichkeit, von Kontrolliertheit selbst in Momenten größter Zufriedenheit oder Freude und zugleich von so gar nicht eingehegter Verruchtheit die perfekte Besetzung.

Rosemarie Nitribitt, das war die Glamourfrau, die einen eigenen Sportwagen fuhr, die die schicksten Klamotten trug und ebendiesem Beruf nachging, der Verkäuferin von Sexuellem durch sich selbst, und darin umkam. Die wahre Geschichte, der der Popularität dieses Films nur aufhalf, gab es wirklich, und Nadja Tiller schien wie erfunden für die Darstellung des größten Gegenteils von untertänig schrubbenden und scheuernden Wirtschaftsfrauen auf glitschigen Parketten der Bonner Nachnazirepublik.

Tiller hat danach Dutzende weitere Filme gedreht, auch international, arbeitete mit Jean Marais, Jean-Paul Belmondo, Rod Steiger, Yul Brunner, Jean Gabin oder Robert Mitchum. Sie spielte zugleich Theater – und blieb für den Rest ihres Lebens immer ein wenig bewundert und verehrt. Sie war in Deutschland die Gegen-„Sissi“, die Ergänzung zur backfischhaft-naiv-inszenierten Romy Schneider, wie die Wahlfranzösin später hat Nadja Tiller jeden Versuch, ihr in irgendeiner Hinsicht tragödisch anmutende Opferrollen anzudienen, strikt abgelehnt.

Sie war und blieb eine Frau, die auf Pumps gehen konnte, ohne nur einen Hauch von Zeit auf ihnen zu wackeln – sie schritt eher, als dass sie profan ging. Wer ihrer Kunst nahekommen will, schaue sich die Verfilmung von Kurt Tucholskys „Schloss Gripsholm“ (1963) oder die „Buddenbrooks“ (1959) an – ihre Mimik wie immer wie abwartend, ihr Körper eine Art lauernde Reserve, eine gefährliche Verheißung und freundliche Drohung in einem.

Im etwas höheren Alter arbeitete sie mit Hans-Christoph Blumenberg zusammen und gab 1986 in dessen Kultfilm „Der Sommer des Samurai“ die Rolle der geheimnisvollen Dr. Feuillade. Dank NDR-TV-Spielleiter Horst Königstein spielte sie 1998 die Hauptrolle in „Nächte mit Joan“, eigentlich eine Femmage auf die Tiller selbst, tituliert als Verneigung vor der Hollywoodlegende Joan Crawford. Mit ihrem Mann Walter Giller lebte sie, preisdekoriert über alle Jahre hinweg inklusive Bundesverdienstkreuz, seit den mittleren nuller Jahren nicht mehr im Tessin, sondern in einem Luxuspensionärshaus an der Hamburger Elbe. Heute ist sie dort im Alter von 93 Jahren gestorben. Eine Nachkriegslegende des Kinos und des Theaters.

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