Nachruf Horst Königstein: Entzifferer der Auflehnung

Im Alter von 67 Jahren ist der Filmemacher Horst Königstein verstorben. Er konnte das ölige Tremolo nicht anstimmen, ihm fehlte das Talent zum Glatten.

Er war niemandes Freund, der dessen Gunst halten musste. Bild: dpa

In gewisser Weise berühmt wurde er mit der filmischen Erzählung von den Leben der Familie, jenem des Schritstellers Thomas Mann und seiner Angehörigen: „Die Manns – ein Jahrhundertroman“. Preise gab für diesen ARD-Mehrteiler in Fülle, im Mittelpunkt der Ehrungen stand meist sein Kollege und Freund Heinz Breloer.

Dabei muss er doch als Erfinder dieses Erzählverfahrens im Filmischen gelten: Horst Königstein, nicht nur beim NDR fest bestallter Regisseur, sondern auch, ein multipler Akteur eigener kultureller und politischer Interessen, Drehbuchautor, Liedschreiber (etwa für seine Freunde Udo Lindenberg und Marianne Rosenberg), Talententdecker (Luci van Org, Wigald Boning und viele andere mehr) – dieser Horst Königstein, gut zwei Monate nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs in Bremen geboren, inszenierte die wirklichen Stories, die er entwickelte, nach.

Ersetzte, was nach ihm Guido Knopp als TV-Historiograph zur Perfektion trieb, überlieferte Handlungen in nachgestellten Szenen. Er wollte zeigen, wie es war, oder, in seinen Worten, „wie es sich zugetragen haben könnte“. Er sah sich als Chronist, als Überlieferer dessen, was die Nachwelt noch erfahren möchte – und als Narrateur, der ein Faible insbesondere für, so sagte er, „das Schmutzige, das Verborgene, das Nichtoffizielle“.

Er konnte das, wenn man so will, ölige Tremolo der offiziellen Nationalgeschichtsschreibung nicht anstimmen – ihm fehlte das Talent zum Glatten. Anders als Bernd Eichinger mit seinen Versuchen, Hitler und all that personal stuff auf cineastische Erregungshöhen zu trimmen, mochte Königstein, Schüler der NDR-Fernsehspiellegenden Egon Monik und Eberhard Fechner, die Wahrheit unter den Aufmerksamkeitshöhen der bürgerlichen Feuilletons.

Rebellisch und hippiesk im HR

Seine Karriere begann er mit einer 13-teiligen Serie im Hessischen Rundfunk, die, zeitgeistig eine Phrase jener rebellischen, hippiesken Zeit aufgreifend, er „Sympathy For The Devil“ nannte. Eine schlichte Dokumentationsreihe, die zeigte, was Jugendliche wollen, was sie bewegt, was sie rebellieren lässt. Im Untertitel hieß die Reihe „Signale der Auflehnung“ – und die Frische dieser Filme, diese raue Unverdaulichkeit allein ihrer Schnitte wegen erinnert unmittelbar daran, dass das Gros heutiger Dokumentation vor allem an Sterilität leidet.

Königstein mochte aber, abermals, „den Schmutz“, die „Distinktionen der Gosse“, der Menschen, die keine gebildete Sprache sprechen. Marianne Rosenberg hat er früh wahrgenommen als deutschen Popstar, der leichtfertig in die Humtata-Schlagerecke abgelegt wurde.

In einem Hommage auf die „Er gehört zu mir“-Interpretin zeigte er, wie junge Frauen, an der Jukebox gelehnt, „Liebe kann so wehtun“ von der Rosenberg anstimmen – Königstein erklärte später zu dieser Szene, dass in ihr mehr Eleganz und Auflehnungsbegehren steckt als in so vielen Filmen, die gewöhnlich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen gefertigt werden.

Königstein interessierte sich für Brüche, für das pure Desaster, für das Unheimliche, auch das Verschwiegene, Gescheiterte. Filme über den TV-Journalisten Dieter Gütt, über den exkommunistischen SPD-Politiker Herbert Wehner, über Joan Crawford, über den „Tag, an dem Elvis nach Bremerhaven kam“, überhaupt zur segensreichen Amerikanisierung der Bundesrepublik nach dem Nationalsozialismus.

Ein sozialdemokratischer Kanzler der Post-DDR

Er denunziertenie, mochte, so erzählte er, „den Geschmack der Massen, da steckt in jedem Partikel des Gefühls für Geschmack Sehnsucht und Eigenheit“. Dokumentationen über den Hamburger Giftskandal der frühen Achtziger setzte er ebenso in Szene wie die Geschichte des SDP-Politikers Ibrahim Böhme, der ein sozialdemokratischer Kanzler der Post-DDR hätte werden können, wenn er nicht selbst als zwielichtige Stasigestalt durch die Stern-Reporterin Birgit Lahann enthüllt worden wäre – Königstein liebte mit heiterstem Optimismus diese „Begebenheiten, die das Leben so entwickelt“, Verhängnisse, menschliche Misslichkeiten, Tragödien.

Er war, kein Wunder, niemandes Freund, der dessen Gunst halten musste. Schrie die halbe Republik in den mittleren Neunzigern ob der Treuhand-Chefin Birgit Breuel, so setzte ihr Königstein ein Dokudramadenkmal. Politisches Fernsehen, ließe sich sagen, das die Relevanz der ARD im Vergleich mit privaten Sendern sehr fett unterstrich.

Nicht zu vergessen Dokudraman über einen Hamburger Metzger der Dreißiger Jahre nach der Geschichte von Arnold Zeig, „Das Beil von Wandsbek“, „Hard Days Hard Nights“ als Pubertätsrevue, die im Hamburger Hafenviertel von Wilhelmsburg spielt. Immer geht es um Aufbrüche, um die Versuche, so etwas wie Würde „der nur sogenannten kleinen Leute“ (Königstein in einem seiner drei längeren Gespräche mit dem Autor) zum Recht zu verhelfen.

Stars wie Ortrud Beginnen, Gustav-Peter Wöhler, Andrea Sawatzki, Veronica Ferres. Sebastian Koch und Nadja Tiller verdanken ihm den Karrierestart oder eine Aufpolitur der Karrieren. Im Alter von 67 Jahren ist Horst Königstein in Hamburg an den Folgen seiner schon lange ihn quälenden Krankheit verstorben.

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