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Nachruf auf Architekt Meinhard von GerkanFür Hunderttausende entwerfen

Zehn Flughäfen, der Hauptbahnhof Berlin und eine ganze Stadt in China: Meinhard von Gerkan prägte die deutsche Architektur, auch international.

Meinhard von Gerkan Foto: Wilfried Dechau

Womöglich hat Meinhard von Gerkan bereits sein künstlerisches Erbe regeln wollen, als er für seinen 80. Geburtstag in Hamburg ein eigenes kleines Museum plante. Der „Architektur-Pavillon“ am Elbhang trägt seine Handschrift. Die geschwungene, lichtdurchlässige Fassade zum Fluss erinnert an eine elegante Villa der klassischen Moderne, die klaren Konturen zur Elbchaussee haben etwas Solides, Technisches, hanseatisch Zurückhaltendes.

2015 eröffnete das Museum mit den Zeichnungen des Architekten, über 3.000 Blätter soll es von ihm geben. Denn Meinhard von Gerkan, Jahrgang 1935, war wie sein Büropartner Volkwin Marg ein Architekt der alten Schule. Er skizzierte seine Entwürfe immer erst einmal mit der Hand.

1965 gründeten Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg in Hamburg gmp (Architekten von Gerkan, Marg und Partner). Daraus ist eines der größten deutschen Architekturbüros mit rund 600 Mit­ar­bei­te­r:in­nen an sieben Standorten geworden. Bis heute realisierte gmp mehr als 500 Projekte, mehr als 300 Wettbewerbe hat es gewonnen.

Ihr Flughafen Tegel in Westberlin ist Kult, gmp gestalteten ihn vom Fundament bis zum Design für die Wegeführung durch. Die ungewöhnliche, sechseckige Grundfigur des Flughafens ist dabei keine Extravaganz. Man konnte dort mit dem Taxi direkt bis vors Gate fahren, das Sechseck ist der geometrische Rückschluss auf ein Konzept der möglichst kurzen Wege.

Der Flughafen Tegel nach Plänen von Volkwin Marg, Meinhard von Gerkan und Klaus Nickels Foto: Marcus Bredt

Wider der Rentabilität und Wirtschaftlichkeit

Als der gerade mal 30-jährige Architekturabsolvent Meinhard von Gerkan gemeinsam mit Volkwin Marg und Klaus Nickels 1965 gegen jede Wahrscheinlichkeit den internationalen Wettbewerb für den Flughafen Tegel gewann und tatsächlich den Bauauftrag bekam, war dies eine Sensation – und der Beginn von gmp überhaupt. Später sollte Meinhard von Gerkan geradezu standardmäßig solch komplexe Infrastrukturprojekte planen, die Flughäfen in Hamburg und Stuttgart, der neue Großflughafen für Berlin, dessen katastrophale Baugeschichte kaum auf das extrem gut organisierte Architekturbüro gmp zurückzuführen ist.

Dass es sich hierbei nie nur um eine Dienstleistungsarchitektur handelte, machte von Gerkan 2006 in einem prominenten Rechtstreit mit dem damaligen Bahnchef Hartmut Mehdorn deutlich. Mehdorn hatte die Glashalle des neuen Berliner Hauptbahnhofs von gmp um eine empfindliche Länge gekappt, das geplante Gittergewölbe über den Untergrundgleisen gecancelt, der Bau war um seine erhabene Ästhetik beraubt. Von Gerkan gewann 2006 den Prozess. Es ging ums Prinzip, Rentabilität und Wirtschaftlichkeit sollten nicht über der Baukultur stehen.

Trotz ihrer teils immensen Dimensionen (mit der Berliner Ausstellung „Choreographie der Massen“ haben sich Meinhard von Gerkan und Volkwin Marg einmal auch kulturwissenschaftlich dem Phänomen gewidmet, für Zig- und Hunderttausende zu entwerfen) bleiben die Bauten von gmp erstaunlich klar und konzentriert auf die Konstruktion. Man kann, ob dem stilistischen Understatement ihrer Architektur, schon glatt übersehen, dass gmp ein globaler Riese ist. Auch dank Meinhard von Gerkans unternehmerischen Geschicks erhielt gmp in China in den letzten zwanzig Jahren höchste Aufträge.

Rund 200 Bauten plante es in der Volksrepublik bis heute. Eine ganze Stadt, Lingang New City (heute Nanhui New City), legte das Büro für 800.000 Einwohner an, das riesige Nationalmuseum in Beijng ist auch von politischem Symbolwert. „Wir bauen nie für ein bestimmtes System, sondern für die Menschen. Keines unserer Gebäude in China ist in irgendeiner Form als Huldigung der Regierung zu lesen“ antwortete Meinhard von Gerkan 2011 einmal auf eine kritische Frage des Architekturjournalisten Florian Heilmeyer zu seinem Engagement in China.

Das Maritime Museum von gmp in Lingang New Citiy Foto: HG Esch

Den schönen Bauten für die Kunst und Kultur in Asien widmete er sich in den letzten Jahren am liebsten. Und von denen sind dann einige sehr freimütig ausgefallen. Wie zwei aufgeblähte Segel spaltet sich etwa der Turm des Maritimen Museum in Nanhui.

Der „Guru“, eine Figur der BRD

Meinhard von Gerkan wurde in Riga geboren und floh im Zweiten Weltkrieg über Umwege nach Hamburg. Sein Vater fiel im Krieg, seine Mutter starb infolge der Flucht. So wuchs er im Nachkriegsdeutschland als Waise in verschiedenen Pflegefamilien auf. Ein erstes Studium der Rechtswissenschaften und Physik brach er ab, um dann an der Technischen Universität Braunschweig Architektur zu studieren, wo er später, keine 40 Jahre alt, eine Professur für Entwerfen antrat. Bis 2002 lehrte er dort, „der Guru“, wie er von seinen Mit­ar­bei­te­r:in­nen genannt wurde.

Auch danach engagierte sich Meinhard von Gerkan für die Aus- und Weitberbildung junger Architekt:innen, gründete 2007 die gmp-Stiftung und die Academy for Architectural Culture (aac) in Hamburg, war unter anderem Ehrenprofessor der School of Design der East China Normal University und Advising Professor der Tongji University in Schanghai. Er wurde zahlreich geehrt, erhielt den Baukulturpreis des Bundes Deutscher Architekten BDA, das Bundesverdienstkreuz und den Rumänischen Staatspreis. 2021 wurde er zum Großoffizier des Verdienstordens der Republik Lettland ernannt.

Meinhard von Gerkan, der überaus erfolgreiche und einflussreiche Architekt, ist auch eine Figur der Bundesrepublik. Die düstere Kriegsvergangenheit der BRD prägte seine tragische Jugend, der Wohlstand der Wirtschaftswunderjahre markiert seine ersten Bauprojekte, und schließlich ist es auch das global vernetzte Exportland, das Meinhard von Gerkan zu einem internationalen Architekten und Unternehmer werden ließ. Am 30. November 2022 ist er im Alter von 87 Jahren in Hamburg gestorben.

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6 Kommentare

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  • Was nützt der schönste Bahnhof, wenn die Logistik nicht wirklich funktioniert?

  • >Mehdorn hatte die Glashalle des neuen Berliner Hauptbahnhofs von gmp um eine empfindliche Länge gekappt, das geplante Gittergewölbe über den Untergrundgleisen gecancelt, der Bau war um seine erhabene Ästhetik beraubt.

    Ungefähr so wie das "berauben" ohne Genitiv sich auch irgendwie beraubt liest, sehen auch die Bahnsteige aus: Der Kenner, der schon was drüber gelesen hat, merkt's und stört sich dran, den meisten aber fällt es gar nicht auf.

  • Einer der was geleistet hat und nicht nur rumschwätzt.



    Sein Erbe, der tolle Tegeler-Flughafen, erleidet das gleiche Schicksal wie der Palast der Republik. Eine Schande!

  • Das Hamburger Veranstaltungszentrum Fabrik wurde 1979 von GMP nach einem Brand so wiederhergestellt, dass von der Atmosphaere dort nichts verloren gegangen ist.



    Das Buechlein "Architektur in Hamburg seit 1900" von Meinhard von Gerkans Kompagnon Volkwin Marg machte mich mit Fritz Schumacher, Gustav Olsner, Fritz Hoeger und v. a. dem genialen Karl Scheider bekannt.



    Und das postmoderne Hanseviertel zeigte mir in den frühen 80ern zeigte mir, dass modernes Bauen auch schoenes Bauen sein kann.



    Dafür meinen herzlichsten Dank an Meinhard von Gerkan, Volkwin Marg und ihre Mitarbeiter:innen!

  • Nur die Bahnreisenden hat er beim Planen seiner Berliner Shopping-Bahnzentrale vergessen. Was ich da als regelmäßiger Bahnfahrer an Lebenszeit vergeude. Umsteigen mit Kinderwagen von der S-Bahn zur Keller-Fernbahn 30 Minuten Minimum.



    Ingenieurskunst geht anders!

  • Meinhard von Gerkan war auch der Architekt des Chemnitzer Hörsaals.



    commons.wikimedia...._Jacob_Mueller.jpg



    Kleinteilig ging auch was:



    www.artnet.de/k%C3...inhard-von-gerkan/