Clubkultur für Tegel: Neues Clubleben auf altem Flughafen

Auf dem Ex-Flughafen Tegel soll Platz sein für Kultur. Aus der Frachtkantine soll eine Musikspielstätte werden, am Wochenende wird dort erstmals gefeiert.

Blick auf Flughafengebäude und Tower des ehemaligen Flughafens Tegel

Zukunftsträchtig: der ehemalige Flughafen Tegel Foto: dpa

BERLIN taz | Das Gelände des ehemaligen Flughafen Tegel, der vor drei Jahren geschlossen wurde, wird gerade im großen Stil um- und ausgebaut. Ein ganzes Quartier soll hier neu entstehen, Start-ups und bereits etablierte Firmen sich niederlassen. Der unter Denkmalschutz stehende, stillgelegte Flughafen wird zur „Urban Tech Republic“, was zumindest dem Namen nach so klingt, als solle hier gerade Berlins Antwort auf das Silicon Valley aus dem Boden gestampft werden.

Noch auf eine Idee von Berlins ehemaligem Kultursenator Klaus Lederer geht es zurück, an diesem Ort – an dem es noch sehr viel Platz gibt und auf dem ehemaligen Rollfeld vor allem schier endlose Freiflächen – auch Clubkultur anzusiedeln. Konkret soll aus der ehemaligen Frachtkantine in ein paar Jahren eine Musikspielstätte werden, in der auch ein Club unterkommen könnte. Auch Proberäume und vielleicht Ateliers sollen hier entstehen. Jakob Tutur von der Clubcommission sagt, die Sanierung werde allerdings sehr teuer und noch ein paar Jahre lang dauern, denn „das Gebäude ist komplett asbestverseucht“.

Dafür wird bereits ab dem 30. September eine ungefähr 3.500 Quadratmeter große Freifläche direkt vor der ehemaligen Frachtkantine in einem Modellprojekt im Auftrag mehrerer Stakeholder bespielt. Dazu gehören die Stiftung für Kulturelle Weiterbildung und Kulturberatung sowie der Berliner Projektfonds Urbane Praxis. An zwei bis drei Terminen noch in diesem Jahr – genaueres steht abgesehen von der am kommenden Wochenende stattfindenden Eröffnungsparty noch nicht fest – soll es hier Veranstaltungen geben. Jeweils nachmittags von 15 bis 22 Uhr.

Länger geht nicht aus Lärmschutzgründen und aus Rücksicht gegenüber der nahe gelegenen Geflüchtetenunterkunft und einer Gartensiedlung. Der Eintritt wird jeweils frei sein. So richtig anlaufen werde die Bespielung der Freifläche dann 2024, so Tutur. Anberaumt sind vorerst fünf Jahre, in denen das von einer Jury ausgewählte Kollektiv Turbulence hier etwas auf die Beine stellen soll.

Was noch in diesem Jahr läuft, nennt Tutur, der als Projektmanager der Freiflächen-Erschließung in Tegel fungiert, „Testveranstaltungen“. Man wolle bei diesen schauen, was gut ankommt und was weniger und wo es Verbesserungsbedarf gibt. Aber letztlich werden die kommenden fünf Jahre Laborcharakter haben. Und sollen nicht zuletzt die schlichte Frage beantworten: Macht das überhaupt Sinn, Clubkultur raus aus der Innenstadt nach Tegel zu verpflanzen?

Raul Llamas Kirchhoff

„Die Aufmerksamkeit aus der Szene für unser Projekt ist riesengroß“

Tutur ist sich genau wie Raul Llamas Kirchhoff vom fünfköpfigen Kollektiv Turbulence sicher, dass es das tut. „Die Aufmerksamkeit aus der Szene für unser Projekt ist riesengroß“, sagt Kirchhoff. Der Bedarf an Freiflächen für Kollektive sei in Berlin schließlich sehr hoch, in der Innenstadt seien aber einfach keine mehr zu bekommen. Tegel könnte, so erhofft sich das die Clubcommission, zumindest einen Ausgleich schaffen.

Bewerben für das Modellprojekt konnten sich Kollektive im Juni diesen Jahres. Unter 27 Kandidaten wurde letztlich Turbulence ausgewählt, die sich extra dafür zusammenschlossen und deren Mitglieder und Mitgliederinnen, so Kirchhoff, aus unterschiedlichen Kontexten von der Sozialen Arbeit über die Kunst bis hin zur Organisation von Partys kommen. „Clubkulturelle Erfahrung, viele Ideen und Lust auf Zusammenarbeit, das war wohl letztlich ausschlaggebend für Turbulence“, so Tutur. Das Kollektiv soll dabei nicht alle Events in Tegel selbst organisieren, sondern eher eine Host-Funktion einnehmen, also netzwerken und andere Kollektive zur Mitarbeit einladen. Gemeinsam wolle man, so Kirchhoff, ein Kulturprogramm erstellen, Performances und Workshops ausrichten und vielleicht auch einen „Saatguttauschmarkt und einen Winterkunstbasar.“ 80.000 Euro steht Turbulence für die Bespielung der Freifläche allein für den Rest dieses Jahres zur Verfügung.

Was mit zu deren Aufgaben gehörte, ist die ganze Erschließung der Freifläche. „Rampen, Toiletten, Zäune, Strom, alles musste neu her“, so Tutur. Barrierefrei soll das Gelände außerdem erreichbar sein.

Die Anreise ist ein Abenteuer

Dass bereits die Anreise zum neuen Partygelände ein Abenteuer sein kann, musste der Autor dieser Zeilen selbst erleben. Der Busshuttle direkt vor den Flughafen, wie es ihn gab, als der noch in Betrieb war, existiert so nicht mehr. Und wenn man nicht aufpasst, landet man nicht an der Bushaltestelle „Urban Tech Republic“, sondern in der Geflüchtetenunterkunft. Und nach 22 Uhr kommt man mit dem Bus nicht mehr weg vom Gelände. Deswegen wurde vom Veranstalter ein eigener Busshuttle bis 23 Uhr eingerichtet, der einen bis zur nahe gelegenen U- und S-Bahnstation Jungerfernheide bringt. „Es ist kompliziert, inmitten der vielleicht größten Baustelle Europas einen Kulturort aufzubauen“, so Tutur.

Die Szenerie vor der ehemaligen Frachtkantine ist dann aber auch ziemlich speziell. Man blickt auf das riesige Rollfeld, sieht den alten Tower und gleich nebenan verrichtet ein Minenräumfahrzeug seine Arbeit. Noch immer würden Munitionsreste und Blindgänger aus den Zweiten Weltkrieg hier vermutet, so Tutur, nach denen würde nun Meter für Meter gefahndet.

Ein wenig wirkt es hier wie in den frühen Neunzigern im innerstädtischen Osten Berlins, als ohne Ende geheimnisvolle Orte entdeckt wurden, an denen dann spontan Partys organisiert wurden. Nur dass von Spontaneität im Jahr 2023 wirklich nicht mehr die Rede sein kann, wenn man die Brandschutzverordnungen einhalten und auch sonst alles erst bürokratisch abgesegnet werden muss, bevor hier wirklich DJs ihre Arbeit verrichten dürfen. Die anarchischen Zustände von damals werden nun auch Ende September auch in Tegel nicht zurückkehren. Das zeigt sich schon allein daran, dass auf der Fläche eigentlich 1.200 Besucher und Besucherinnen zugelassen wären, so Tutur. Aber da das Budget nicht für eine entsprechende Anzahl von Toiletten reiche, dürften nun gemäß der Behördenauflagen nicht mehr als 700 kommen. Allerdings, so Kirchhoff, wäre er mit so vielen Clubbern am kommenden Wochenende schon mehr als zufrieden.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.