Nachruf auf Andreas Ehrholdt: Gesicht der Proteste gegen Hartz IV
2004 initiierte er in Magdeburg Proteste gegen die Hartz-Gesetze, danach geriet er schnell in Vergessenheit. Am 25. Mai ist Andreas Ehrholdt verstorben.
Vor allem in Ostdeutschland fand Ehrholdts Parole „Schluss mit Hartz IV, denn heute wir und morgen ihr“ viel Anklang. Jeden Montag gingen im Spätsommer 2004 unter diesem Leitsatz in fast allen ostdeutschen Städten zigtausende Menschen auf die Straße. Sie bezogen sich damit auf die Montagsdemonstrationen gegen das autoritäre SED-Regime im Herbst 1989. In Westdeutschland wurden damit deutlich weniger Menschen mobilisiert.
Ehrholdt, der nach der Wende trotz vieler Umschulungen erwerbslos war, wurde für kurze Zeit das Gesicht und auch die Stimme der Protestbewegung. Die aber spaltete sich bald in verschiedene Fraktionen, und Ehrholdt zog sich aus der Öffentlichkeit zurück. Der Versuch, mit einer eigenen Partei, den „Freien Bürgern für soziale Gerechtigkeit“, in die Politik einzusteigen, scheiterte schnell. Später wurde er Mitglied der Linkspartei, hatte aber dort keine Funktionen.
Dass er nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit verbittert war, zeigt der Titel seiner Autobiografie, die er im österreichischen Verlag „Novum“ unter dem Titel „Ihr habt euch selbst verraten“ herausgegeben hat. Sie fand kaum Aufmerksamkeit, was zeigt, wie schnell Ehrholdt vergessen wurde.
AfD besetzt soziale Frage
Dabei gäbe es heute einige Fragen an ihn. Wie hat er es beispielsweise geschafft, eine Protestbewegung zu initiieren, die eindeutig die Gerechtigkeitsfrage für alle in den Mittelpunkt stellte? Deswegen beteiligten sich auch Linke aller Couleur an den Protesten. Sie sorgten auch dafür, dass rechte Gruppen, die durchaus in manchen Städten an den Demonstrationen teilnahmen, nicht die Deutungshoheit übernahmen.
Die Diskussion wäre auch deshalb sehr aktuell, weil heute in Ostdeutschland die AfD die soziale Frage von rechts besetzt, sich ebenfalls auf die Montagsdemonstrationen vom Herbst 1989 bezieht und damit Erfolg hat. Dass die Rechten vor 19 Jahren noch kleingehalten werden konnten, ist nicht zuletzt auch einem Andreas Ehrholdt zu verdanken. Er sprach viele Menschen, die sich nicht als links verstehen, mit seiner Forderung nach bedingungsloser Gerechtigkeit an.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag