Nachruf auf Aldona Gustas: „Ich bin ein blauer Apfel“
Am 8. Dezember starb die Lyrikerin Aldona Gustas in Berlin – der Stadt, die sie liebte. Sie gehörte, wie Günter Grass, zur Gruppe der Malerpoeten.
Es gibt ein biografisches Gedicht von Aldona Gustas, das kürzer nicht sein könnte und das mit ihrem Tod am 8. Dezember 2022 erst vollendet ist:
„Ich war lange 1932 / ich war lange 1945 / ich war lange 1952 / ich war lange 1962 / ich war lange 1972 / in den Jahren dazwischen / lebte ich kurz“
Da sie nie Punkte setzte, es wäre ihr vorgekommen wie ein Stottern, wie sie in einem Interview sagte, setzt nun der Tod den Schlusspunkt.
Aldona Gustas war Lyrikerin und Malerin. Eine eigene, eigensinnige und in ihrer Strenge und Beharrlichkeit, mit der sie sich der Poesie verschrieb, kompromisslose Frau. Dennoch aber strahlte sie Zartheit und Sinnlichkeit aus. Das mit der Sinnlichkeit betonte sie selbst. Sie nennt sich einen „Lolitatyp“, auch „Erotomanin“. Das habe nicht unwesentlich damit zu tun, dass sie im Alter von neun Jahren von einem polnischen Nachbarjungen verführt worden sei und die Liebe kennengelernt habe. Darauf angesprochen, hat sie diese Episode in ihrem Leben immer verteidigt. Sie wollte nicht, dass ein Schatten darauf liegt.
Die Stationen ihres Lebens, wie oben im Gedicht erwähnt, lösen sich so auf: 1932 kommt sie in Litauen zur Welt; sie ist deutschstämmig, Litauisch aber ist ihre Muttersprache. 1945 erreicht sie nach langer Flucht 13-jährig mit ihrer Mutter und ihrem ein Jahr alten Bruder Berlin. Sie verliebte sich sofort in die Stadt – trotz all der Ruinen. Sie hat ihr unzählige Gedichte gewidmet.
„Aus litauischen Wäldern kommend / ging die Stadt mir unter die Haut“
1952 heiratet sie Georg Holmsten. Er ist Journalist und Chronist. Er gehörte zur Gruppe des 20. Juli um Stauffenberg. Einer der wenigen, die das gescheiterte Attentat auf Hitler überlebten. Gustas habe ihn geheiratet, weil er keine Kinder wollte, sagte sie. Sie sei kein Familienmensch.
Die einzige Frau unter den Malerpoeten
Im Jahr 1962 kommt ihr erster Gedichtband heraus. Bald danach fängt sie an zu malen, vor allem sinnlich-sphärische weibliche Figuren, mitunter malt sie sie mit einem einzigen Strich.
Im Jahr 1972, das sie in ihrem Gedicht auch erwähnt, wurde die Gruppe „Berliner Malerpoeten“ gegründet. Zu den Malerpoeten gehören Leute wie Günter Grass, Kurt Mühlenhaupt, Wolfdietrich Schnurre. Günter Bruno Fuchs – Schriftsteller, die auch malen; Maler, die schreiben.
Ein halbes Jahrhundert nach der Gründung ist sie nun als Letzte der 14 Mitglieder umfassenden Gruppe verstorben. Sie war die einzige Frau. Die Männer waren dagegen, weitere malende Lyrikerinnen aufzunehmen, obwohl Gustas das gerne gewollt hätte.
Ihr Leben endete nicht 1972 mit der Gründung der Malerpoeten. Es festigte jedoch das, dem sie sich verschrieben hatte. Der Lyrik, die in ihrer bildhaften Kürze kalligrafisch war, und dem Malen, das in seiner Reduzierung stumme Poesie blieb.
Pure Liebe, pures Licht
Der Höhepunkt ihres Schaffens – oder anders gesagt, das von mir am meisten bewunderte Buch von ihr – ist ihre Totenklage auf Georg Holmsten. Zehn Jahre lang pflegte sie ihren Mann. Sie fasst den Liebes- und Schmerzensweg dieser Zeit in ungefähr 700 Gedichte. Ungefähr, weil sie sie nicht zählte. Das Buch, das nach dem Tod von Holmsten im Jahr 2011 erschien, hat den Titel „Untoter“. Es ist pure Liebe. Pures Licht.
Gustas brauchte nur wenige Zeilen, um wissend und vorausschauend sich selbst zu verorten. Nicht nur von den Jahreszahlen her, wie sie im anfangs zitierten Gedicht der Ästhetik eines Lebenslaufes nahe kommen. Sondern auch bezogen auf ihr Menschsein. In einem Film, der aufgenommen wurde, als sie bereits an Demenz erkrankt war, tragen ihr MusikerInnen der Gruppe Die Papillons vor dem Heim in Kreuzberg, in dem sie wohnte und am Fenster stand, eines ihrer frühen Gedichte vor, in dem sie ihr Leben in nur drei Zeilen umspannt:
„Ich bin ein blauer Apfel / der zu keinem Baum gehört / ich sterbe aus“
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