Eröffnung Literaturbühne am Mehringplatz: Von unruhigen Seelen

Mit Gedichten, die von Ausgrenzung und Einsamkeit erzählen, hat die Literaturbühne „Das literarische Rondell“ am Mehringplatz eröffnet.

Gruppenporträt der Musiker des Singenden Tresens mit Markus Liske und Manja Präkels in der Mitte

Markus Liske (2. v. links) und Manja Präkels mit den Musikern des Singenden Tresen Foto: Manja Präkels, Markus Liske & Der Singende Tresen

BERLIN taz | Störenfried aus Beton, so nennen Manja Präkels und Markus Liske den Mehringplatz in Berlin Kreuzberg. Ein Störenfried am Eingang der Friedrichstraße, die ein paar hundert Meter weiter Einkaufsboulevard und Touristenmeile wird. Das Autorenduo wohnt nicht nur dort und schreibt über die Gegenwart des Mehringplatzes als Teil eines belasteten Sozialbauviertels und seine Bedeutung im literarischen Berlin in früheren Epochen. Am Donnerstag eröffneten sie dort auch im Café MadaMe „Das literarische Rondell“, eine neue Literaturbühne und Lesungsreihe.

Über zehn Jahre lang war der Platz eine Baustelle, die den Alltag anstrengender machte. Dass nun Erdhügel und Bauzäune verschwunden sind, ist Anlass für diese Initiative. Aber nicht nur; es scheint vor allem auch der Wunsch von Manja Präkels und Markus Liske dem Platz etwas zu geben, ihm eine Facette zurückzuerstatten, die in den letzten Jahre fast verloren ging, eine Anbindung an die Literatur.

Im Café MadaMe ist es voll an diesem Donnerstag, man jongliert mit Getränk und einer leckeren Empanada – nach dem Rezept der Großmutter des Wirtes – an seinen Platz. Auch auf der Bühne ist es voll, Manja Präkels und Markus Liske sind mit „Der Singende Tresen“ gekommen, einer dreiköpfigen Band, die mit Bass, Gitarre, Saxophon, Akkordeon und noch mehr die Gedichte begleitet, einfühlsam, jazzig, melancholisch, witzig. (Später kommt noch ein Hund und ein gelegentliches Wuff dazu.) Schon als Konzert ist die Lesung ein Genuss und die Präsentation sehr charmant.

Die Gedichte, die sie lesen, führen durch gut zweihundert Jahre deutsche Literatur – denkt sich die Germanistin. Aber entscheidender ist, sie erzählen über verschiedene Epochen hinweg vom Unbehausten, von unruhigen Seelen, die sich wund stoßen an den Forderungen der Gesellschaft, von Obdachlosen, von Verjagten, von zurückgewiesenen Kindern, von einem Kampf gegen Mächte, denen Ordnung wichtiger ist als Menschlichkeit.

Es sind Texte von Friedrich Hölderlin, Erich Mühsam, Irmgard Keun, Mascha Kaléko, Christa Reinig, Günter Bruno Fuchs und anderen, die gelesen werden. Über Erich Mühsam haben Präkels und Liske auch in einer Publikation des Hau geschrieben, die diese Woche der taz beilag und ein weiteres Kulturprogramm für den Platz ankündigt. Darin erzählen sie, wie Mühsam, Gründer der Bayerischen Räterepublik im November 1918, kurz darauf in Berlin am Anhalter Bahnhof ankam, gefeiert werden sollte von Genossen, aber dafür schon zu geschwächt war durch vorausgegangene Gefängnisaufenthalte.

Aus der Gefängniszelle und am Landwehrkanal

In ihrer dichtgepackten Lesung aber erzählen sie nichts über die Autoren, sondern halten sich an deren Gedichte. Von Erich Mühsam ist es „In der Zelle“: „Gefängnis: Leben ohne Gegenwart, /ganz ausgefüllt von der Vergangenheit/ und von der Hoffnung ihrer Wiederkehr. / Du fragst nicht, ob du weich ruhst oder hart, /ob deine Schüssel voll ist oder leer. /Betrogen um den Augenblick verrinnt die Zeit.“ Es ist der Schmerz und die Gefühle des Verlustes, die gegenwärtig werden in der Lesung.

In der Pause, draußen vor dem Café, erwähnt Markus Liske, dass Günter Bruno Fuchs hier ganz in der Nähe gelebt hat. Sein „Lied der Kanalpenner“, von Präkels und den Musikern mit rhythmischen Überraschungen wunderbar performt, ist der Stadtlandschaft am Landwehrkanal auf den hungrigen Leib geschrieben: „Der Kanal hat Dampfer und Ladekähne. / Der Kanal hat Fischkähne auf seinem Rücken. /Der Kanal hat eine Wasserleiche im Herzen. /Das Herz ist das Schauhaus. /Der Kanal hat einen Schuster geschluckt. /Der Schuster macht Schuhe für einen großen Fisch.“

Und es schließt sich ein Gedicht an der fast vergessenen Dichterin Christa Reinig, „Fische“, das sehr launig und lustig klingt: Die Fische betrachten das Geangelt-werden und aus dem Wasser-Verschwinden als kosmonautischen Ausflug in den Weltraum. Die Lesung entwickelt da ihre eigene Logik, sie folgt in der Verkettung der Texte verschiedenen Spuren von Menschen und Tieren durch Städte und Länder. Und auch vom Mehringplatz und seinen Bewohnerinnen lassen sich ja viele Verbindungen in die Welt ziehen.

„Das literarische Rondell“, an dem auch das Hebbel am Ufer, der Verbrecher Verlag, Kunstwelt Berlin e.V und andere beteiligt sind, will an jedem ersten Donnerstag im Monat ins Café MadaMe einladen. Die nächste Lesung, am 7. Juli, kommt von Eva Ruth Wemme, „Meine 7000 Nachbarn“ über die Erfahrungen von Roma in Berlin.

Das Hebbel am Ufer, in der Nachbarschaft des Mehringplatzes, startet am 17. Juni das Programm „Treffpunkt Mehringplatz“, wo Manja Präkels Geschichten der Anwohner sammelt und viele dem Hebbel verbundene Künstler:innen, wie She She Pop, teilnehmen. Das Café MadaMe ist dann auch wieder als Ort dabei, für eine Lesung der Gedichte von Semra Ertan, einer türkischen Dichterin und Aktivistin, die sich sehr jung das Leben nahm.

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