Nachruf auf Aktivistin Nora Cortiñas: Mutter der verschwundenen Kinder

Nora Cortiñas ist tot. Zusammen mit den Madres de Plaza de Mayo engagierte sie sich für Aufklärung der Verbrechen der argentinischen Militärdiktatur.

Alte Damen mit weißem Kopftuch und gereckter Faust

Nora Morales de Cortiñas zum Internationalen Frauenstreik in Madrid, Spanien (7. März 2019) Foto: Alconada/imago

Mehrere hundert Menschen versammelten sich am Abend spontan auf der Plaza de Mayo in Buenos Aires, um Nora Cortiñas zu gedenken. Die Mitbegründerin der argentinischen Menschenrechtsorganisation Madres de Plaza de Mayo, den Müttern des Platzes der Mairevolution, starb am Donnerstag im Alter von 94 Jahren.

„Ihre besondere Sensibilität und ihre unbestrittene Ideologie zur Verteidigung derjenigen, die am wenigsten haben, haben ihr den bedingungslosen Respekt und die Zuneigung der Menschen eingebracht“, heißt es in einer Erklärung der Familie.

Am 24. März 1976 putschte sich in Argentinien das Militär an die Macht. Es folgte eine als „Prozess der nationalen Reorganisation“ bezeichnete Herrschaft, unter der politische Geg­ne­r*in­nen gnadenlos verfolgt wurden und eine radikal neoliberale Wirtschaftspolitik eingeführt wurde. Menschenrechtsgruppen schätzen, dass bis zum Ende der Diktatur im Jahr 1983 rund 30.000 Menschen ermordet wurden oder bis heute verschwunden sind.

Sohn wegen sozialen Engagements entführt

Wo immer Nora Cortiñas erschien, hatte sie sich das Foto ihres Sohnes vor sich auf der Brust gehängt. Carlos Gustavo war 24 Jahre alt, als er am 15. April 1977 von den Schergen der Militärdiktatur entführt wurde und spurlos verschwand.

Er war Student, arbeitete nebenher im nationalen Statistikamt und war Mitglied der Peronistischen Universitätsjugend, war verheiratet und hatte einen kleinen Sohn. Vielleicht, weil er sich auch im Armenviertel Villa 31 sozial engagierte, könnte Carlos Gustavo ins Visier der Militärs geraten sein.

Als ihr Sohn verschwand, machte sich Nora Cortiñas auf die Suche nach ihm. Ihr Schwager erzählte ihr von Müttern, die ebenfalls auf der Suche nach ihren verschwundenen Kindern waren und sich auf dem Platz vor dem Präsidentenpalast trafen. Im Mai 1977 ging Cortiñas zum ersten Mal auf die Plaza de Mayo und formte mit den anderen Müttern die nach ihnen benannte Organisation.

Kämpferin für Gerechtigkeit und gegen das Vergessen

Nora Irma Morales wurde am 22. März 1930 als eine von fünf Töchtern in Buenos Aires geboren. Früh lernte sie ihren Mann Carlos Cortiñas kennen, den sie mit 19 Jahren heiratete. 1952 kam Sohn Carlos Gustavo zur Welt, später das Brüderchen Marcelo Horacio. Cortiñas arbeitete als Näherin, der Vater im Wirtschaftsministerium. Später studierte sie Sozialpsychologie und hatte einen Lehrstuhl für Wirtschaftsmacht und Menschenrechte an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Buenos Aires inne.

Cortiñas sagte einmal: „Der Verlust eines Kindes ist immer eine Tragödie, aber man muss sich damit abfinden, damit man nicht in diesem Labyrinth gefangen bleibt und denen helfen kann, die in der gleichen Situation sind.“

Bis zuletzt ging sie jeden Donnerstag auf die Plaza de Mayo und machte mit anderen Madres der Plaza de Mayo die Runde, um Aufklärung über das Schicksal ihres Sohnes zu fordern. „Die 30.000 Verschwundenen werden in Frieden ruhen, wenn der Kampf weitergeht, wenn wir die ganze Wahrheit über die Geschehnisse erfahren, wenn es Gerechtigkeit gibt mit lebenslangen Haftstrafen für Völkermord, wenn wir nicht vergessen“, sagte sie. Was die Militärs mit ihren Sohn gemacht haben, hat Cortiñas nie erfahren. x

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.