Nachruf Architekturkritiker Bruno Flierl: Stadt von der Zukunft her denken
Bruno Flierl entschied sich einst für die DDR, aber nie für Ostalgie, wenn er das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft öffentlich diskutierte.
Schon zu seinem Achtzigsten hat er angefangen zu räumen, zu sortieren, zu archivieren. „Ich habe nie systematisch abgelegt“, sagte er nach seinem Geburtstag, den er in einem türkischen Restaurant in Berlin-Mitte gefeiert hatte, in einem Interview mit der taz. „Ich habe aber auch nichts weggeworfen. Also musste ich finden.“
Es müssen Unmengen an Papier gewesen sein, durch das sich Bruno Flierl damals kämpfen musste. Protokolle, Dokumente, Aufsätze, aber auch Zurechtweisungen aus seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter der DDR-Bauakademie oder als Chefredakteur der Zeitschrift Deutsche Architektur. Aber auch, da war die DDR schon Geschichte, als Mitglied der Kommission Historische Mitte, in der er als Gegner des Abrisses des Palastes der Republik am Ende auf verlorenem Posten gekämpft hat.
Es waren die hitzigen Debatten der neunziger Jahre, in denen Bruno Flierls Stimme wieder gefragt war. Ein kritischer Geist schon zu DDR-Zeiten, über jeden Zweifel erhaben, auch den der Ostalgie: So einem hörte man zu in der wiedervereinigten Stadt, erst recht, wenn er sich einmischte und in den Weg stellte. Nicht nur gegen den Palast-Abriss, auch gegen die an Kahlschlag grenzende Verve, mit der das neue Berlin gegen die sozialistische Moderne vorging.
So wurde Bruno Flierl der Gegenspieler des damaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann. Dort der Geschmacksdiktator, der am großen Rad drehte und an der Rekonstruktion der Stadt des 19. Jahrhunderts arbeitete. Da der nachdenkliche Intellektuelle, der nicht zurück in die Vergangenheit wollte, sondern versuchte, die Stadt von den Herausforderungen der Zukunft her zu denken.
Das Gewicht seiner Stimme stand im ganzen Gegensatz zu seiner Erscheinung. Klein, fast schon gebrechlich wirkte er mit zunehmendem Alter, leise war seine Stimme, nie wurde er unfreundlich. Und nie hat der Gesprächspartner aus dem Westen von ihm das Ost-Argument zu hören bekommen. Bruno Flierl argumentierte nicht identitätspolitisch, es ging ihm nicht um Ost oder West, es ging ihm immer ums Ganze.
Widersprüche und Mäßgigung
Auch kein Architekturkritiker aus dem akademischen Elfenbeinturm meldete sich bis in die jüngste Zeit zu Wort, sondern einer, den das Verhältnis von Architektur und Gesellschaft umtreibt. Auch Widersprüche ließ er da gelten. Fasziniert von Hochhäusern in aller Welt, denen er einen Teil seines Forschungslebens widmete, plädierte er in Berlin doch für Mäßigung. New York, ja, da hatte der Kapitalismus gesiegt, doch Berlin wollte er noch nicht verloren geben.
Geboren wurde Bruno Flierl 1927 im schlesischen Bunzlau. Nach dem Krieg und der Rückkehr aus französischer Gefangenschaft studierte er ab 1948 an der Hochschule für bildende Künste in Charlottenburg. Zwei Jahre später siedelte er in die DDR über. „Das Ziel war immer, das Leben der Menschen zu verbessern“, sagte er im Interview zu seinem achtzigsten Geburtstag.
1982, als ihn die SED zum „Staatsfeind und Konterrevolutionär“ erklärte, erlitt Bruno Flierl einen Schlaganfall. Mit dem Tod war er schon zuvor konfrontiert worden. Bei der Geburt seines Sohnes Thomas, des späteren Berliner Kultursenators, 1957, starb seine Frau. Gleichwohl hatte Bruno Flierl keine Angst vor dem Tod, wie er immer wieder betonte. „Ich habe keine Angst zu sterben“, sagte er einmal dem Autor dieser Zeilen, „ich habe nur Angst vor Schmerzen.“
Am Montag ist Bruno Flierl im Alter von 96 Jahren friedlich eingeschlafen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!