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Nachrichtenformat für InstagramEin Gruß aus der Küche

Mit der „News-WG“ hat der BR ein Nachrichtenformat für Instagram entwickelt. Es ist schnell, dialogisch und da, wo die Zielgruppe ist.

Erklären den Brexit bei der Teatime: Sophie von der Tann (l.) und Helene Reiner Foto: Philipp Kimmelzwinger/BR

München taz | Helene Reiner sitzt mit ihrem Laptop am WG-Esstisch und ­scrollt. „Zahlen, Zahlen, Zahlen“, murmelt sie, scrollt immer weiter und schüttelt den Kopf. Die 28 Jahre alte Journalistin filmt sich selbst, wie sie Hunderte Seiten Haushaltsentwurf der Bundesregierung überfliegt. Ihre FollowerInnen sollen sie bei der Recherche beobachten können. Und Reiner vermittelt den Eindruck, noch nicht wirklich zu kapieren, was es mit diesem Bundeshaushalt auf sich hat.

In den folgenden jeweils 15-sekündigen Clips präsentiert sie, was sie sich zu dem Thema im Laufe des Tages draufgeschafft hat: wie der Haushaltsentwurf zusammengesetzt ist, was die Opposition daran zu meckern hat und wie man 356 Milliarden Euro sonst noch ausgeben könnte. Die Clips landen als Storys auf Instagram, wo die Haushaltsdebatte in Konkurrenz tritt zu InfluencerInnen, die Produkte promoten, und Aufnahmen von Rucksackreisen alter Schulfreunde.

Helene Reiner ist Teil der News-WG, einem Nachrichtenformat auf Instagram, das sie während ihres Redaktionsvolontariats beim Bayerischen Rundfunk mit ihren Kolleginnen Sophie von der Tann und Ann-Kathrin Wetter entwickelt hat. „Wir hatten die Aufgabe, ein digitales News-Format für junge Leute zu erfinden“, sagt Helene Reiner.

Ganz analog fragten sie ihre Zielgruppe in der Münchner Innenstadt, wie und wo man sie heutzutage erreicht und welche Probleme Jugendliche mit traditionellen Nachrichtenformaten haben. Das Ergebnis: „Die meisten haben zwar das Bedürfnis, sich über Tagesaktuelles zu informieren, glauben aber, inhaltlich nicht mitzukommen, oder sind mit der Flut an Informationen im Netz überfordert“, sagt Ann-Kathrin Wetter.

84 Prozent der Jugendlichen sind bei Instagram aktiv

Die Volontärinnen entschieden, ihr Publikum da abzuholen, wo es sich sowieso aufhält: Instagram ist in Deutschland Plattform der Teenager. Laut dem Social-Media-Atlas 2017/2018 nutzen etwa 84 Prozent der 14- bis 19-Jährigen das Netzwerk aktiv. „Wir wollten uns mit dem Format zwischen die Sukkulenten und die Lockenstäbe einfügen, ohne aufzufallen“, sagt Reiner. Ein ambitioniertes Vorhaben, denn Instagram ist eher eine Plattform für die ästhetische Inszenierung des eigenen Lebens als für Politik und gesellschaftliche Debatte.

Wie also UserInnen gewinnen? Mit einer Mischung aus Nachrichtenjournalismus, der wenig voraussetzt, und ein bisschen influencen. Denn das News-WG-Team, das mittlerweile aus insgesamt fünf Personen besteht, produziert sein Format aus einer vom BR gestellten Wohngemeinschaft heraus und verknüpft Polit-News mit dem Alltag der jungen Frauen. Reiner und von der Tann diskutieren den Brexit bei der Teatime auf dem Sofa, livestreamen eine Party zur bayerischen Landtagswahl, erklären die Schufa an der eigenen Auskunft und die AfD-Spendenaffäre am WG-Konto. Inhalte aus der hübsch eingerichteten Wohnung heraus zu posten, passt zum selbstdarstellerischen Instagram und macht die drei nahbarer.

Da die Frauen versuchen, News auf Augenhöhe zu machen, und selber zugeben, nicht jeden Sachverhalt gleich zu verstehen, seien die Hemmungen der ZuschauerInnen gering, sich mit Fragen direkt an den Kanal zu wenden. Von „Helene, wo hast du deinen Mantel her?“ bis „Könntet ihr noch mal das neue Polizeiaufgabengesetz erklären?“.

NutzerInnen werden zu ­ProtagonistInnen der News

Im Gegenzug lässt die News-WG keine Gelegenheit aus, die Community miteinzubeziehen. Spielerisch mit dem Abstimmungstool („Was glaubt ihr, gibt die Bundesregierung mehr für Soziales oder für Verteidigung aus?“) oder indem sie betroffene NutzerInnen zu einem Thema befragen: Marie, die eine Psychotherapie macht, erklärt dann zum Beispiel, was sie von Spahns neuen Plänen für psychisch Kranke hält.

Seit September hat der Account über 15.000 FollowerInnen. „Wir haben uns so gefreut, als uns die ersten User außerhalb der üblichen Medien-Bubble abonniert haben“, sagt Reiner: Das Publikum sei divers, von SchülerInnen und StudentInnen über Fashion-Account-InhaberInnen bis zu Berufstätigen, die zum klassischen „Tagesschau“-Publikum gehören.

Immer mehr Zeitungen, Magazine und Nachrichtensendungen in Deutschland bewerben ihre Inhalte inzwischen auch auf Instagram. Die News-WG ist allerdings das bisher einzige Format, das ausschließlich für die Plattform produziert. Die WG hatte schon einige JournalistInnen aus Social-Media-Redaktionen zu Gast. „Und alle sind sie überrascht, wie aufwändig das ist, was wir hier machen“, sagt Reiner, „es steckt wirklich mega viel Arbeit dahinter.“

Da Sophie von der Tann mittlerweile im ARD-Hauptstadtstudio arbeitet und Ann-Kathrin Wetter als Redaktionsmitglied hinter den Kulissen tätig ist, zieht nun der 24-jährige Max Osenstätter mit Helene Reiner zusammen. Beworben hat er sich natürlich über Instagram.

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