Nachfolge von Boris Johnson: Partei sucht Mann. Oder Frau
Exfinanzminister Rishi Sunak oder Außenministerin Liz Truss: Die Basis der britischen Konservativen entscheidet, wer auf Johnson folgt.
Der ehemalige Finanzminister, dessen Rücktritt am 1. Juli den Fall Boris Johnsons als Premierminister einleitete, und die weiterhin dienende Außenministerin blieben von anfangs elf Anwärter:innen übrig. In der sechsten und letzten Abstimmung unter den aktuell 357 konservativen Parlamentsabgeordneten und nach drei öffentlichen im Fernsehen ausgestrahlten Wahlgefechten behielt Sunak mit 137 Stimmen den ersten Platz, den er seit Beginn des Auswahlverfahrens gehalten hatte. Truss konnte 113 Stimmen gewinnen und überholte damit knapp die vorherige Zweitplazierte Penny Mordaunt.
Truss will sich als Steuersenkerin darstellen und, wie sie sagt, auf diese Weise die Wirtschaft ankurbeln. Damit liegt sie im klaren Streit mit Sunak. Der ehemalige Finanzminister wiederholte, dass die Priorität für ihn das Bremsen der Inflation sei. Diese wurde heute auf einem neuen Hoch von 9,4 Prozent bestätigt. Deshalb sei es derzeit nicht die richtige Zeit, Steuern zu senken, allerdings wolle er das so bald tun wie möglich, wiederholte er beständig.
Insbesondere in den Fernsehauftritten fehlte es nicht an schweren Vorwürfen gegeneinander. So nannte Truss Sunak einen Sozialisten, Sunak nannte Truss unverantwortlicher als Labours Exchef Jeremy Corbyn. Die als Vierte am Dienstag aus dem Rennen geschiedene Kemi Badenoch beschuldigte Sunak, Geld an Betrüger gezahlt zu haben, obwohl sie ihn gewarnt habe. Sunak bezeichnete Truss' Vorschläge der Steuersenkungen als Fantasiewirtschaft. Kein Wunder, dass eine weitere Fernsehrunde für Dienstag von Sunak und Truss abgeblasen wurde.
Rishi Sunak hat es an der Basis schwer
Sunak liegt nur in der Gunst der Abgeordneten in Führung, und das nicht einmal sehr deutlich. An der Basis der Partei, die nun das letzte Wort hat, schneidet Sunak bisher in allen Meinungsumfragen und gegen jede Gegenkandidatin als Verlierer ab. Die Wettbüros sehen Truss als Favoritin des Rennens.
Der Gründe hierfür sind unterschiedlich. Zum einen gilt Sunak unter den verbliebenen Johnson-Anhängern als Verräter, weil er am 1. Juli aus dem Kabinett zurücktrat und damit die Rücktrittslawine von Staatssekretär:innen und Minister:innen lostrat, die Johnson schließlich das Amt kosteten.
Zum anderen gilt er manchen traditionellen Konservativen als Finanzminister, der die Steuerbelastung auf ein 70-jähriges Rekordhoch gejagt hat. Die jahrelange Nicht-Versteuerung des Vermögens und der Einnahmen seiner indischen Ehefrau im Ausland sind ein anderer wunder Punkt, auch wenn Sunak immer wieder klarstellt, dass seine Frau inzwischen alles richtiggestellt habe.
Truss dankte ihren Unterstützern nach der Verkündung des Ergebnisses auf Twitter: „Ich bin bereit, vom ersten Tag an loszulegen.“ Als erstes will sie die Treibstoffsteuern senken und die CO2-Steuer „Green Levy“ abschaffen.
Sunak hingegen versprach, alle Investitionen zur Klimaneutralität zu bewahren, obwohl er Stunden zuvor versichert hatte, dass er keine Windräder auf dem Land bauen würde. Sunak versprach nach der Abstimmung, dem britischen Volk die Wahrheit über die Herausforderungen des Landes zu erzählen.
Noch am Mittwochmorgen hatten die Nerven blank gelegen. Die dritte noch zur Wahl stehende Kandidatin Penny Mordaunt, Handelsministerin und bisher das freundlichste Gesicht unter den KandidatInnen, hatte auf Twitter einen Zeitungsartikel geteilt, wonach Tory-Abgeordnete, die Sunak oder Truss wählten, die Partei, die sie liebten, „ermorden“ würden.
Es dauerte nicht lange, bis sie den Tweet wieder löschte. Der Abgeordnete Charles Walker, ein Anhänger Mordaunts, beklagte eine feindselige Stimmung gegen sie. Mordaunt hatte in den Meinungsumfragen unter konservativen Parteimitgliedern immer wieder Truss geschlagen. Selbst die vierte im Rennen, Kemi Badenoch, schnitt bei Umfragen besser ab als Truss, die oft als selbstgefällige kühle Gestalt auftrat.
Boris Johnsons Abschied im Parlament
Der Mittwoch sah nicht nur das Ende des konservativen Auswahlverfahrens für Boris Johnsons Nachfolge, sondern auch seinen letzten Auftritt als Premierminister bei der wöchentlichen parlamentarischen Fragestunde im Unterhaus.
In dieser wiederholte Oppositionsführer Keir Starmer Anschuldigungen gegen Boris Johnson aus dem Kampf um die Parteiführung der Tories, die Johnson jedoch nicht direkt beantwortete. Er habe den Wahlkampf nicht aus der Nähe verfolgt, behauptete er. Johnson gab sich zufrieden mit seinen Leistungen, bevor er sich mit den Worten „Hasta La Vista“ verabschiedete.
Nun sollen sich die rund 200.000 Mitglieder der Konservativen per Briefwahl zwischen Sunak und Truss entscheiden. Sofern sie ihren Wahlkampf beide durchziehen, wird der Sieger am 5. September um 12 Uhr 30 britische Zeit bekannt gegeben.
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