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Nachfolge der Letzten GenerationGeneration Neuanfang

Die Ak­ti­vis­ten haben ihre Lektion gelernt – das System sei kaputt, von Lobbys und Konzernen wie Springer verdorben. Jetzt geht es um Demokratie.

parlamentarische Beratungen der Neuen Generation Foto: Florian Boillot

Berlin taz | Für die Springer-Blätter Bild, B. Z. und Welt waren die Kli­ma­ak­ti­vis­t:in­nen der Letzten Generation von Anfang an im besten Falle „Klima-Kleber“, schlimmer aber noch „Klima-Kriminelle“. Erst am Freitag titelte die B. Z. über eine ehemalige Letzte-Generation-Aktivistin, die mit der Nachfolgegruppe Widerstandswelle einen Fahrradweg in der Senefelderstraße aufgemalt hatte: „Lange Strafakte – und Lilli hört einfach nicht auf. Klima-Kriminelle schmiert wieder.“

Kein anderes Medienhaus hat sich so fest gebissen und damit den Hass auf die Ak­ti­vis­t:in­nen geschürt – immer mit dem Narrativ, ihre Straßenblockaden seien ein Angriff auf rechtschaffende Bür­ge­r:in­nen oder führten vor allem zur Behinderung von Rettungskräften. Die Folge waren eine Vielzahl gefährlicher Situationen, in denen genervte Au­to­fah­re­r:in­nen ohne Rücksicht auf Verluste auf die Blo­ckie­re­r:in­nen zusteuerten. Man kann von Glück sprechen, dass es während der Protestwellen in den vergangenen beiden Jahren keine Toten gab.

Im vergangenen Sommer war der Zyklus des Stör-Protestes an sein Ende geraten, letztlich gescheitert: Die gesellschaftliche Zustimmung für Klimaschutzmaßnahmen war geringer als vor dem Beginn der Proteste. Die Ak­ti­vis­t:in­nen mussten sich mit hunderten Gerichtsverfahren herumschlagen und auch mit Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Über den Jahreswechsel folgte die Neuaufstellung – in zwei Gruppen: die Neue Generation und die Widerstandswelle.

Nun sorgen beide erneut für öffentliche Aufmerksamkeit. Während die Widerstandswelle auf direkte Aktionen mit Bezug zur Klimathematik setzt, hat sich die Neue Generation auch inhaltlich neu orientiert: Ihnen geht es um die gefährdete Demokratie, bedroht durch die Allianz aus Rechten und Reichen.

Versuchte Springer-Blockade

Der erste große Gegner, der in diesen Tagen ins Visier genommen wird, ist der Springer-Konzern. Man könnte es fast für eine Racheaktion für den gefährlichen Kampagnenjournalismus halten, wäre die Gruppe nicht geprägt von einem positiven Menschenbild, von dem Versuch, immer gesprächsbereit zu sein und konsequent gewaltfrei.

Zum Auftakt sollte Sonntagnacht das Spandauer Druckhaus des Konzerns blockiert und damit die Auslieferung der Bild-Zeitung verhindert werden. Hätte das funktioniert, wäre es ein Ausrufezeichen gewesen, die Medien hätten sich mal wieder überschlagen. Doch die Polizei erreichte zusammen mit den Ak­ti­vis­t:in­nen die Druckerei und verhinderte letztlich eine effektive Blockade. Der Einsatz war robust, laut Aussage der Neuen Generation wurde sogar eine Waffe gezogen. Geplant war eine bunte Blockade mit Projektionen und Live-Musik, eine Debatte über die eigenen Visionen gegen die Hetze von Springer. Doch zu nichts davon kam es.

Knapp 40 Ak­ti­vis­t:in­nen wurden schließlich festgenommen und erst am Montag nach und nach aus den Gefangenensammelstellen entlassen. Die Proteste gegen Springer sollen dennoch die Woche über weitergehen. Gruppensprecher Raphael Thelen, der ebenfalls erst am Montagmittag auf freien Fuß kam, sagte gegenüber der taz, dass für Dienstag weitere Aktionen geplant seien.

Und auch in den kommenden Wochen werde man die Aktionen in den Lokalgruppen fortsetzen, nicht nur gegen Springer, sondern auch gegen Müllermilch, deren Milliarden schwerer Chef Theo Müller die Nähe zur AfD sucht. Mehr Rechte und Reiche geht nicht.

Bedrohte Demokratie

Was nach dem alten Aktionismus aussieht, hat die Neue Generation theoretisch für sich untermauert. Thelen sagt: Man sei mit Forderungen nach Tempo 100 oder dem 9-Euro-Ticket gescheitert, obwohl breite Mehrheiten genau das wollten. Warum? „Die Meinung der Bevölkerung findet in der Entscheidungsfindung der Regierung keine Beachtung mehr. Das Regierungssystem ist kaputt, von Lobbys zerfressen.“ Die Konsequenz aus ihrer Analyse: „Wir brauchen eine demokratische Revolution.“

Ein Baustein dafür soll das „Parlament der Menschen“ sein, das am Wochenende auf der Reichstagswiese sein Zelt aufgeschlagen hatte. Geloste Teil­neh­me­r:in­nen beraten hier über zentrale Zukunftsfragen. Das Leitmotiv dabei: „Wie drängen wir den Einfluss von Geld auf unsere Demokratie und Gesellschaft zurück?“ Thelen: „Wenn Klimaschutz gegen Profitinteressen steht, gewinnt im aktuellen System immer der Profit.“ Also soll ein „Update“ der Demokratie her – mit einem Gesellschaftsrat von unten. In den nächsten Monaten wolle man mehr M­enschen gewinnen, um am 3. Oktober mit dem Parlament in die nächste Runde zu gehen.

Allein auf die linke Szene will sich die Neue Generation nicht berufen, auch die „Enteignet Springer“-Kampagne des historischen SDS habe man sich nicht zum Vorbild genommen, so Thelen. „Wir beziehen uns auf Mahatma Gandhi, nicht auf Rudi Dutschke.“

Man kann das durchaus als Versuch verstehen, die Gesellschaft dieses Mal für sich zu gewinnen, statt gegen sich aufzubringen. Doch die Krux dabei bleibt: Ohne Aktionen mit Empörungspotenzial bleibt die öffentliche Aufmerksamkeit aus und finden womöglich die Massen, von denen man träumt, nicht zur Neuen Generation. Die ein oder andere Springer-Schlagzeile wird man sich im Geheimen wohl auch in Zukunft wünschen.

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9 Kommentare

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  • Ich möchte den Aufschrei nicht hören, wenn rechte Idioten die Auslieferung der wochentaz blockieren würden. Dann wäre wahrscheinlich die Pressefreiheit in Gefahr und man würde die Aktion auch nicht als gewaltfrei einstufen. Kommt immer drauf an, aus welcher Bubble-Sicht man eine Situation beurteilt.

  • Die Diagnose „Die Meinung der Bevölkerung findet in der Entscheidungsfindung der Regierung keine Beachtung mehr. Das Regierungssystem ist kaputt, von Lobbys zerfressen.“ ist sicherlich zumindest in erheblichen Teilen zutreffend.



    Muss daraus nicht die Forderung nach DIREKTER DEMOKRATIE folgen, statt nach demokratisch nicht legetimierten Räten?

    • @JeanK:

      Ja, das sehe ich auch so. Wobei geloste Räte nicht unbedingt illegitim sein müssen, gab es ja früher schon. Wahrscheinlich ist die Kombination aus gelosten Räten (die Vorschläge erarbeiten) mit Direkter Demokratie (so dass die Bevölkerung über die Vorschläge abstimmt) der beste Weg.

  • So wie die momentane Politik die Interessen des eher älteren Teils der Gesellschaft bedient..und das in z.T. durchaus rücksichtloser Weise, ist eigentlich vorprogrammiert, daß ein immer größerer Teil der jungen Menschen ihren gerechten Anteil einfordern wird.



    Wobei das Momentum mit den zunehmenden katastrophalen Klimaereignissen, der in die Zukunft verschobenen Rentenkrise, der steigenden Schuldenlast für jüngere Menschen, etc. tt. immer mehr zum Antrieb einer neuen Widerstandsbewegung werden wird.

    Was sich bereits heute an den Aktionen von FFF/letzter-/neuer Generation zeigt, ebenso wie am Zulauf zu der LINKEN, uvm.







    Das Pendel schwingt in der Politik immer hin und her..und je ignoranter sich die Gesellschaft gegenüber den Interessen der jüngeren Generation verhält..und je weiter das Pendel (momentan) nach Rechts abdriftet, umso stärker wird es irgendwann nach links ausschlagen..



    Die 68er Bewegung hat, von ihren Anfängen etwa 5 Jahre gebraucht um zu voller Stärke zu gelangen. Mit vielen Parallelen zur heutigen Situation. Also mal sehen wie lange es diesmal dauert..

    Das Pendel schwingt immer hin und her - und das ist nicht nur gerecht, sondern irgendwie auch sehr beruhigend.

    • @Wunderwelt:

      Tolle Pendeltheorie. Deswegen hatten wir nach der Nazidiktatur den Kommunismus, oder?

  • Da stehen die Leute auf dem Weg nach Hause, zur Arbwit, zum Geliebten oder zum Einkaufen ein paar Stunden im Stau und ohne Springer hätten sie die LG ganz wunderbar gefunden? Steile These.

  • Das Problem was ich mit der LG immer hatte, ist ihre bürgerliche Grundhaltung. Nicht unähnlich den Fridays f.F. (die aber ein wenig radikaler sind).

    Langsam sickert Verbitterung ein. Der Blick klärt sich auf.



    Aber noch immer fehlt es an Mut sich ernsthaft mit Marx zu befassen. Man steht auf dem Boden der Staatsdoktrin.

    Demokratie ist aber an eine materielle Grundlage geknüpft!



    Jede Gesellschaftsform beruht auf der Art wie Arbeit und Kapital organisiert werden.

    • @Dunkelrot:

      Na ja, die bürgerlichen Werte der Aufklärung einzufordern ist ja auch schon was. Und selbst das können die herrschenden Institutionen nicht einlösen. Wie wäre es da erst mit revolutionären Forderungen?

      Also, ich finde, soziale Bewegungen müssen aus der Praxis entstehen; irgendwann brauchen sie natürlich auch eine Theorie über relevante gesellschaftliche Zusammenhänge, die mehr sind als das, was in BILD, WELT, FAZ und anderen neoliberalen und neomilitaristischen Propagandablättern steht.

      Aber wie gesagt: es ist traurig, dass Politik, Medien und Staat schon mit ganz einfachen und bescheidenen bürgerlichen Forderungen - z.B. in Sachen Ökologie - völlig überfordert sind und als Reaktion stets mit einem weiteren Rechtsruck und Repression antworten.

    • @Dunkelrot:

      ....und ich hab 0 Bock auf dunkelrote Kaderwillkür.