Nachfolge der Letzten Generation: Generation Neuanfang
Die Aktivisten haben ihre Lektion gelernt – das System sei kaputt, von Lobbys und Konzernen wie Springer verdorben. Jetzt geht es um Demokratie.
Kein anderes Medienhaus hat sich so fest gebissen und damit den Hass auf die Aktivist:innen geschürt – immer mit dem Narrativ, ihre Straßenblockaden seien ein Angriff auf rechtschaffende Bürger:innen oder führten vor allem zur Behinderung von Rettungskräften. Die Folge waren eine Vielzahl gefährlicher Situationen, in denen genervte Autofahrer:innen ohne Rücksicht auf Verluste auf die Blockierer:innen zusteuerten. Man kann von Glück sprechen, dass es während der Protestwellen in den vergangenen beiden Jahren keine Toten gab.
Im vergangenen Sommer war der Zyklus des Stör-Protestes an sein Ende geraten, letztlich gescheitert: Die gesellschaftliche Zustimmung für Klimaschutzmaßnahmen war geringer als vor dem Beginn der Proteste. Die Aktivist:innen mussten sich mit hunderten Gerichtsverfahren herumschlagen und auch mit Ermittlungen wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung. Über den Jahreswechsel folgte die Neuaufstellung – in zwei Gruppen: die Neue Generation und die Widerstandswelle.
Nun sorgen beide erneut für öffentliche Aufmerksamkeit. Während die Widerstandswelle auf direkte Aktionen mit Bezug zur Klimathematik setzt, hat sich die Neue Generation auch inhaltlich neu orientiert: Ihnen geht es um die gefährdete Demokratie, bedroht durch die Allianz aus Rechten und Reichen.
Versuchte Springer-Blockade
Der erste große Gegner, der in diesen Tagen ins Visier genommen wird, ist der Springer-Konzern. Man könnte es fast für eine Racheaktion für den gefährlichen Kampagnenjournalismus halten, wäre die Gruppe nicht geprägt von einem positiven Menschenbild, von dem Versuch, immer gesprächsbereit zu sein und konsequent gewaltfrei.
Zum Auftakt sollte Sonntagnacht das Spandauer Druckhaus des Konzerns blockiert und damit die Auslieferung der Bild-Zeitung verhindert werden. Hätte das funktioniert, wäre es ein Ausrufezeichen gewesen, die Medien hätten sich mal wieder überschlagen. Doch die Polizei erreichte zusammen mit den Aktivist:innen die Druckerei und verhinderte letztlich eine effektive Blockade. Der Einsatz war robust, laut Aussage der Neuen Generation wurde sogar eine Waffe gezogen. Geplant war eine bunte Blockade mit Projektionen und Live-Musik, eine Debatte über die eigenen Visionen gegen die Hetze von Springer. Doch zu nichts davon kam es.
Knapp 40 Aktivist:innen wurden schließlich festgenommen und erst am Montag nach und nach aus den Gefangenensammelstellen entlassen. Die Proteste gegen Springer sollen dennoch die Woche über weitergehen. Gruppensprecher Raphael Thelen, der ebenfalls erst am Montagmittag auf freien Fuß kam, sagte gegenüber der taz, dass für Dienstag weitere Aktionen geplant seien.
Und auch in den kommenden Wochen werde man die Aktionen in den Lokalgruppen fortsetzen, nicht nur gegen Springer, sondern auch gegen Müllermilch, deren Milliarden schwerer Chef Theo Müller die Nähe zur AfD sucht. Mehr Rechte und Reiche geht nicht.
Bedrohte Demokratie
Was nach dem alten Aktionismus aussieht, hat die Neue Generation theoretisch für sich untermauert. Thelen sagt: Man sei mit Forderungen nach Tempo 100 oder dem 9-Euro-Ticket gescheitert, obwohl breite Mehrheiten genau das wollten. Warum? „Die Meinung der Bevölkerung findet in der Entscheidungsfindung der Regierung keine Beachtung mehr. Das Regierungssystem ist kaputt, von Lobbys zerfressen.“ Die Konsequenz aus ihrer Analyse: „Wir brauchen eine demokratische Revolution.“
Ein Baustein dafür soll das „Parlament der Menschen“ sein, das am Wochenende auf der Reichstagswiese sein Zelt aufgeschlagen hatte. Geloste Teilnehmer:innen beraten hier über zentrale Zukunftsfragen. Das Leitmotiv dabei: „Wie drängen wir den Einfluss von Geld auf unsere Demokratie und Gesellschaft zurück?“ Thelen: „Wenn Klimaschutz gegen Profitinteressen steht, gewinnt im aktuellen System immer der Profit.“ Also soll ein „Update“ der Demokratie her – mit einem Gesellschaftsrat von unten. In den nächsten Monaten wolle man mehr Menschen gewinnen, um am 3. Oktober mit dem Parlament in die nächste Runde zu gehen.
Allein auf die linke Szene will sich die Neue Generation nicht berufen, auch die „Enteignet Springer“-Kampagne des historischen SDS habe man sich nicht zum Vorbild genommen, so Thelen. „Wir beziehen uns auf Mahatma Gandhi, nicht auf Rudi Dutschke.“
Man kann das durchaus als Versuch verstehen, die Gesellschaft dieses Mal für sich zu gewinnen, statt gegen sich aufzubringen. Doch die Krux dabei bleibt: Ohne Aktionen mit Empörungspotenzial bleibt die öffentliche Aufmerksamkeit aus und finden womöglich die Massen, von denen man träumt, nicht zur Neuen Generation. Die ein oder andere Springer-Schlagzeile wird man sich im Geheimen wohl auch in Zukunft wünschen.
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