Nach der Wahl in Portugal: Eine Frau sprengt das System
Joacine Katar-Moreira war Portugals erste Schwarze Spitzenkandidatin. Jetzt sitzt sie im Parlament und Rechte wollen sie an ihrer Arbeit hindern.
Joacine Katar-Moreira ist vieles: Studierte Historikerin und Entwicklungswissenschaftlerin, Doktorin in Afrikanistik, Präsidentin des portugiesischen Instituts für Schwarze Frauen, Aktivistin, Autorin, Feministin. „Und ich bin Mutter“, ergänzt sie gegenüber der taz. Bei der portugiesischen Parlamentswahl im Oktober war sie Spitzenkandidatin für die grüne Partei Livre, die erste Schwarze Spitzenkandidatin in der Geschichte des Landes. Seitdem ist die 37-Jährige Abgeordnete im portugiesischen Parlament. Das gefällt nicht allen, doch Katar-Moreira musste schon einige Widerstände aushalten.
Geboren und aufgewachsen ist die Parlamentarierin in Guinea-Bissau, erzogen wurde sie von ihrer Großmutter. Sie war es auch, die Katar-Moreira im Alter von 8 Jahren auf ein spanisches Kloster nach Portugal schickte. Ein Trauma, erklärte sie der portugiesischen Zeitung Diário de Notícias im August: „Als ich ankam, wurde ich ohne irgendeine Untersuchung eine Klassenstufe niedriger eingestuft, einfach nur weil alle Mädchen, die aus Afrika kamen, automatisch ein bis zwei Klassen unter ihrem eigentlichen Alter eingeordnet wurden.“ Da habe sie beschlossen, nie wieder in ihrem Leben versagen zu wollen.
Ermahnt wurde sie als Kind eigentlich nur, weil sie oftmals zu viel sprach. Schon immer hinterfragte sie gerne, war sie wissbegierig, unnachgiebig, neugierig – vielleicht zu sehr, fanden manche der spanischen Nonnen. „Joacine, la sociedad no te aguentará“, sagten sie zu ihr: Joacine, die Gesellschaft wird dich nicht aushalten.
Sie selbst beschrieb sich einmal so: „Ich bin eine Frau, ich bin Schwarz, ich komme aus einer Familie mit ökonomischen Problemen, und als wäre das nicht genug, stottere ich auch noch ungemein.“ Ihre Themen: Ökologie und Klimagerechtigkeit, Gleichberechtigung und Feminismus, Geschichte und Aufarbeitung. Alles intersektional betrachtet, natürlich.
Hasskommentare, rassistische Beschimpfungen
Zeit für ein kurzes Telefonat hat Katar-Moreira nicht: „Kann es auch schriftlich sein? Ich muss heute schon so viele Interviews geben.“ Seit ihrem Wahlerfolg steht sie im Fokus. Nicht nur, weil sie ihrer jungen Partei den ersten Sitz im Parlament gesichert hat oder weil sie eine der nur drei Schwarzen Frauen unter den portugiesischen Abgeordneten ist, sondern auch, weil sie mit ihrem Sieg – mit ihrer akademischen Laufbahn, ihrer Familiengeschichte – eine in Portugal totgeschwiegene Diskussion um die Rolle des Landes als Kolonialmacht neu entfacht hat.
Das gefällt natürlich nicht allen: Weil nach dem Wahlsieg auf ihrer Feier eine Flagge von Guinea-Bissau zu sehen war, werfen Reaktionäre ihr „antipatriotisches Verhalten“ vor und fordern sie in einer Online-Petition dazu auf, ihr Mandat aufzugeben. Über 22.000 Menschen haben bisher unterzeichnet.
Die Petition zeuge von Respektlosigkeit gegenüber der Demokratie, erklärte sie der taz. Überrascht ist sie allerdings nicht. Kämpfe wie diese gehörten für Menschen wie sie schon lange zur Normalität. Kämpfe wie diese, das bedeutet für Joacine Katar-Moreira: diffamierende Hasskommentare, Drohungen, rassistische Beschimpfungen.
Bei Interviews erzählt sie häufig die Anekdote, wie sie eine Cola kaufen wollte: Als sie an der Reihe war, begann sie so zu stottern, dass sie „Cola“ nicht mehr aussprechen konnte. Die Verkäuferin wurde ungeduldig, die Menschen in der Schlange hinter ihr auch, sie beschloss, nur ein Wasser zu bestellen. Das würde ihr heute nicht mehr passieren: „Ich möchte nicht, dass meine Tochter von mir lernt, sich zu verstecken.“ Was andere über sie denken, das ist Joacine Katar-Moreira mittlerweile egal.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Repression gegen die linke Szene
Angst als politisches Kalkül
Entlassene grüne Ministerin Nonnemacher
„Die Eskalation zeichnete sich ab“