Nach der Mietenwahnsinn-Demo: Jetzt wird's radikal
Der Kampf gegen den Mietenwahnsinn geht nach der Großdemo weiter. Aktivisten wollen streiken, enteignen und politische Änderungen erzwingen.
Deutsche Wohnen enteignen
Die Enteignung des größten Immobilienkonzerns der Stadt, der börsennotierten Deutsche Wohnen, mag eine absurd-unrealistische Forderung sein. Fakt ist, sie wird die wohnungspolitische Debatte der Stadt bald prägen. Die Akteure, die schon mit dem Mietenvolksentscheid die Politik erfolgreich unter Druck gesetzt haben, öffnen dem Denken damit wieder neue Räume – ganz so, wie es soziale Bewegungen tun müssen.
Noch ist das Vorhaben in seiner finalen Koordinierungsphase – am 26. April soll es vorgestellt werden. Der taz sagt Rouzbeh Taheri, Sprecher der Initiative Mietenvolksentscheid, vorab: „Die Deutsche Wohnen mit ihrer marktmächtigen Stellung und ihrer bekannten mieterfeindlichen Praxis ist ein natürliches Ziel einer Kampagne. Ein wichtiger Inhalt wird sein, wie man das Thema Enteignung eines Großkonzerns auf Landesebene umsetzen kann.“
Mehr als 110.000 Wohnungen hat der Konzern in der Stadt, die Mehrzahl war bis zur Privatisierung der Wohnungsbaugesellschaften Gehag und GSW im städtischen Besitz. Betroffene Mieterinnen sind seit Langem organisiert, auf der Demo am Samstag bildeten sie einen eigenen Block.
Zusammen mit dem Mietenvolksentscheid und Kotti & Co organisieren sie nun den Frontalangriff aufs Kapital. Auf den Gesetzesvorschlag, wie die Wohnungsbestände zurück in die öffentliche Hand gebracht werden können, darf man gespannt sein. Immerhin: Artikel 14 des Grundgesetzes besagt, dass, sofern entschädigt wird, „eine Enteignung zum Wohle der Allgemeinheit zulässig ist“.
Mieterstreikrecht durchsetzen
Es ist ja nicht so oft, dass aus der SPD Anstöße für soziale Bewegungen kommen, schon gar keine bewussten. Die um ihr linkes Image bemühte Kreuzberger Bundestagsabgeordnete Cansel Kiziltepe jedoch machte jüngst einen Aufschlag, in dem sie ein Streikrecht für MieterInnen forderte. Denn, so ihre Argumentation in einem Gastbeitrag für die taz: „Wenn kein Geld mehr fließt, sind Vermieter schnell bereit, sich auf Augenhöhe mit den Mietenden an einen Tisch zu setzen.“ Nötig dafür seien Mietergewerkschaften, die sowohl die Verhandlungen führen können als auch die Mietzahlungen während eines Streiks auf einem Treuhänderkonto bündeln und nur im Falle einer Einigung ausbezahlen.
Ganz links der SPD wird das Thema schon länger verhandelt, um die Individualisierung in Mietauseinandersetzungen zu überwinden. Valentin Domann, Pressesekretär der Basisgewerkschaft FAU, sagt: „Erfahrungen der syndikalistischen Gewerkschaftsbewegung können für die kämpferische Organisierung von MieterInnen sehr hilfreich sein. Eine gemeinsame Form der Organisierung unserer Kämpfe wird immer notwendiger.“
Mietervereine bieten zwar professionelle Einzelberatungen, ein Verbandsklagerecht jedoch fehlt. Ebenso wie ein rechtlicher Schutz bei Streiks. Vorbilder für erfolgreiche Gewerkschaften jedoch gibt es, etwa die „Rentner’s Unions“ in London. 2016 traten dort mehr als 1.000 Studierende fünf Monate in den Mietstreik – und erstritten günstigere Wohnheimmieten.
Gewerbemieter schützen
Erfolgreiche Rettungsaktionen für bedrohte Kleingewerbe in Kreuzberg wie die Bäckerei Filou oder den Buchladen Kisch & Co. haben einen Scheinwerfer auf das Problem der steigenden Mieten für Gewerbeflächen geworfen. Während es für WohnungsmieterInnen zumindest theoretisch gesetzliche Schutzmechanismen gegen Mietwucher und Verdrängung gibt, sind Gewerbe der ganzen Wucht des Marktes ausgeliefert.
Dabei trifft es nicht nur den kleinen Kiezladen nebenan, sondern auch Kindertagesstätten, Sozial- und Kultureinrichtungen, ja selbst betreute Wohnformen. Im Zuge der Privatisierungswellen sind viele Objekte aus kommunaler Hand in den Besitz privater Investoren übergegangen. War die Rückanmietung durch Land und Bezirke über Jahre meist unkompliziert, häufen sich zuletzt die Fälle dramatischer Mietsteigerungen und Kündigungen.
Die bekannteren aktuellen Konflikte betreffen das autonome Jugendzentrum Drugstore/Potse in Schöneberg – am Samstag Endpunkt der Demo – und die Projekträume in der Lausitzer Straße 10/11 in Kreuzberg. Aktivisten aus dem Bezirk werden ihren Einsatz für Kleingewerbe demnächst auf eine professionellere Basis stellen: mit 30.000 Euro Fördermittel aus einem Senatsprogramm.
Pascal Meiser, Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, fordert von der Bundesregierung einen Gesetzentwurf zum Schutz kleiner Gewerbetreibender, Handwerksbetriebe und Sozialeinrichtungen: „Dieser müsste in einem ersten Schritt eine Mindestvertragslaufzeit mit Option auf Verlängerung, ein Sonderkündigungsrecht für den Mieter und eine Obergrenze für Mieterhöhungen festschreiben.“ In Frankreich sei das „schon lange so geregelt“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW in Koalitionen
Bald an der Macht – aber mit Risiko
Dieter Bohlen als CDU-Berater
Cheri, Cheri Friedrich
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?