Nach dem Terror in Barcelona: „No tinc por“ – Wir haben keine Angst
Nach der Anschlagsserie herrscht in der Metropole Anspannung – und Solidarität: 30.000 versammeln sich zu einer Schweigeminute für die Opfer.
„Der Platz ist normalerweise voller Leute“, sagt Oscar Suñ und deutet mit dem Finger um sich. “Heute sind nur Touristen da. Die Einheimischen sind alle zuhause“. Suñ, kräftig gebaut, leicht angegraute, kurze haare, Sonnenbrille ins Haar geschoben, steht an dem kleinen Kiosk, den er seit 31 Jahren betreibt. Wie auch am Donnerstag, der für Barcelona eine Nacht des Schreckens bereithalten sollte. Als gegen 17 Uhr der weiße Transporter auf die zentrale Flaniermeile der Stadt, die “Ramblas“ steuert, hört er von seinem Kiosk auf der gegenüberliegenden Seite der Plaza einen lauten Knall.
“Ich habe gerade das Taubenfutter in kleine Tüten gepackt“, sagt Suñ und verkauft einer rumänischen Touristin einen Strohhut für sechs Euro, “und dann ging alles ganz schnell.“ Binnen zwei Minuten, schätzt Suñ, sei die Guardia Urbana vor Ort gewesen und habe den Platz evakuiert. “Sie haben uns weggestoßen und gesagt: Schnell, Bombendrohung.“ Noch im Weglaufen hörte Suñ die Angstschreie von den Ramblas.
13 Tote, mehr als 130 Verletzte – das Attentat im Herzen Barcelonas wäre auch ohne die Opfer einer Verfolgungsjagd im Badeort Cambrils, bei der Stunden nach dem Horror in Barcelona eine Frau erstochenen wurde, das schwerste seit den Bombenanschlägen auf die Madrider Vorortzüge im Jahr 2004.
Die Polizei fahndet nach drei weiteren Verdächtigen
Moussa Oukabir, der mutmaßliche Fahrer des Kleinlasters in Barcelona, bestätigte die Polizei am Freitag Abend, kam bei dem Schusswechsel in Cambrils ums Leben. In den späten Nachtstunden dann aber ruderte die Polizei zurück: Der 22-Jährige Marokkaner Younes Abouyaaqoub könnte der Fahrer des Wagens gewesen sein. Die Polizei fahnde aber noch nach weiteren drei Verdächtigen zwischen 17 und 24 Jahren. Sie sollen einem Terrornetzwerk angehören, das weitaus größere Attentate geplant haben soll. Sie steht mit einer Explosion in einem weiteren Küstenort südlich von Barcelona in Verbindung, das sich am Mittwoch ereignet hatte. Das hat der Chef der katalanischen Polizei, Josep Lluís Trapero, früher am Tag bekannt gegeben.
Diejenigen, die 24 Stunden nach dem Attentat auf die Rambla gekommen sind, scheint das nicht zu ängstigen. An verschiedenen Stellen stehen dutzende Menschen in Trauben zusammen, um Blumen und Stofftiere niederzulegen, Kerzen anzuzünden oder die Botschaft kundzutun, die sich die Stadt selbst zum Motto gemacht hat: „No tinc por“ – Wir haben keine Angst. Auch eine junge Frau mit Kopftuch legt einen Strauss Rosen nieder. Sie ist Muslima, eine Touristin aus Belgien, die mit ihrer Familie eine Woche Urlaub in Barcelona machen will. „Das ist ja wie in Belgien“, sagt sie traurig und schüttelt den Kopf. „Wir haben aber keine Angst. Auch wenn wir Muslime jetzt auch hier komisch angeschaut werden“.
Schweigeminute mit 30.000 Menschen
Bereits am Mittag versammelten sich rund 30.000 Menschen auf der Plaça de Catalunya zu einer Schweigeminute. Unter Tränen sagte die Bürgermeisterin Barcelonas, Ada Colau, dass sich die Stadt nicht von „Feiglingen“ einschüchtern lassen werde. Solidarisch und weltoffen werde sie bleiben. Auch Ministerpräsident Rajoy und König Felipe nahmen an der Gedenkveranstaltung Teil. Sie alle verurteilten das Attentat von Barcelona, zu dem sich der so genannte „Islamische Staat“ (IS) bekannt hatte, aufs Heftigste.
Angela Merkel sprach dem spanischen Ministerpräsidenten Manuel Rajoy am Telefon ihr Mitgefühl und Anteilnahme aus. Und Außenminister Gabriel ist am Freitag nach Barcelona gereist, um sich selbst ein Bild der Lage vor Ort zu machen. Unter den Opfern, die aus mehr als 30 Ländern stammen, sind auch mindestens 13 deutsche Staatsbürger verletzt.
„Es kann sein, dass die Touristen jetzt nicht mehr kommen“, sagt ein Katalane mit maulbeerfarbenen Hemd. Er steht auf der Stelle der Rambla, wo tags zuvor der weiße Transporter nach seiner Todesfahrt zum Halten gekommen ist. Auch hier stehen viele Menschen, die ihre Solidarität auf kleine bunten Zettel geschrieben haben. „Fuerza Barcelona!“ – „Kraft Barcelona!“ steht darauf oder „Ni miedo ni odio“ – „Weder Angst noch Hass“.
Was sich durch das Attentat nun in Barcelona ändert? „Wir werden unser Leben nicht wegen ein paar Kindern, die die Playstation mit dem wirklichen Leben verwechseln, ändern“, sagt der Katalane im bunten Hemd. „Schlechte Menschen gibt es überall, unabhängig von Hautfarbe und Religion.“ Offenbar sehen das viele genauso. Als Minuten später ein Trupp von etwa 30 Demonstranten mit Fahnen der rechten Identitären Bewegung versucht, von der Plaça de Catalunya auf die Ramblas zu gelangen, stellen sich ihnen Passanten in den Weg: „No pasarán“, schreien sie so laut, dass man es auch hunderte Meter entfernt noch hört. „Sie werden nicht durchkommen“. Die Parole die Republikaner aus dem spanischen Bürgerkrieg – in Barcelona am Tag nach dem Attentat hat sie sich erfüllt. Die Rechten sind nicht durchgekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Eine ganz normale Woche in Deutschland