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Nach dem Referendum in Griechenland„Europa muss jetzt stark sein“

Während die Menschen in Athen jubeln, stellt sich auch auf der Straße die Frage, wie es nun weitergeht. Eins ist sicher: Es braucht Veränderung.

Stolz, Freude und der Wunsch nach Veränderung, dazwischen schwankt die Gefühlslage bei den Menschen auf der Straße. Foto: dpa

Athen taz | Am Sonntagabend um 22.30 Uhr geht endlich die rehbraun gepolsterte Tür im 6. Stock des Finanzministeriums von Athen auf und heraus tritt Jannis Varoufakis, schreitet über den abgestoßenen Kunststoffboden und betritt Raum 604.

Ob Varoufakis zu dem Zeitpunkt schon weiß, dass er als Bauernopfer der Regierung Tsipras auftritt? Am Montagmorgen ist er zurückgetreten, um konstruktiven Verhandlungen mit EZB, EU und den Regierungschefs Europas nicht im Wege zu stehen. Die meisten Griechen werden Jannis Varoufakis nicht vermissen. „Er ist arrogant“ sagen selbst die, die im Referendum mit Nein gestimmt haben. Als „eine Zumutung“ haben ihn die Ja-Sager empfunden, die Griechenland nicht der Gefahr ausgesetzt hätten, den Euro verlassen zu müssen. „Er hat versprochen, versprochen und nicht gehalten“, sagt einer.

Am Abend spricht er dann auch nur fünf Minuten im mintgrünem T-Shirt zur Weltpresse darüber, wie er das Land nach dem Referendum im Euro halten will. Auf Griechisch. Und dreht sich schon zum Gehen, während sein letzter Satz noch im Raum verklingt. Keine Nachfrage, kein Innehalten als die Fernsehleute hinter ihm herrennen und er durch die Gänge wieder im Ministerbüro verschwindet. Inhaltlich bleibt er nichtssagend, wie einer seiner Mitarbeiter freundlicherweise auf Englisch übersetzt und die Botschaft des Ministers mit „blablabla“ ergänzt.

Auf dem zentralen Syntagma-Platz vor dem Parlament jubeln die Menschen noch bis in die Morgenstunden. Je länger die Nacht, desto mehr blau-weiße Griechenlandfahnen wehen über den Köpfen der Feiernden. „Wir sind stolz, Griechen zu sein“, tönt es aus dem Lautsprecher der Vereinigten Volksfront EPAM, einem Bündnis von gemäßigten Rechten und Linken gegen die Austeritätspolitik. „Unser Nein bedeutet Solidarität und Freundschaft mit den Menschen in Europa“, ruft einer ins Mikrofon und stimmt dann einen Sprechchor an, in den die Menge mit „oxi, oxi, oxi“ einfällt.

Solidaritätsgruppen aus Italien sind nach Athen gereist, Pepe Grillo und Unterstützer der Legaambiente aus Turin schwenken nun auch die Griechenland-Fahne auf dem Syntagma. „Something needs to change“, sagt Maria Teresa Ruta, die zwar Fernsehjournalistin in Rom ist, aber ganz privat nach Athen zum Referendum gefahren ist, um an dem historischen Tag die Griechen zu unterstützen. Etwas muss sich ändern. Nach dem Nein zum Spardiktat sagt sie: „Europa muss nun sehr stark sein.“

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9 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Sicher, es gibt viele Gestaltungsmöglichkeiten, mensch muss sie nur gegen die Bundesregierung durchsetzen.

  • Wir befinden uns im Jahre 2015 n.Chr. Ganz Europa ist von den Neoliberalisten besetzt... Ganz Europa? Nein! Ein von unbeugsamen Griechen bevölkertes Land hört nicht auf, dem Spardiktat (das ihm, Spanien und Portugal 50 % Jugendarbeitslosigkeit beschert hat) Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die Eurokraten, die in Brüssel versuchen, den Wunsch der Wirtschaftslobbyisten umzusetzen...

  • Ist Varoufakis ein "Bauernopfer"?man könnte es auch so sehen: Erst eine Regierung, die ihr Volk fragt (und sich damit unterscheidet von den Eurokraten, die sich nur von den sie umschwärmenden Lobbyisten, nicht aber von Wählern reinreden lassen wollen!!!), dann ein Finanzminister, der sich ins Zeug legt und zu Konfrontationen bereit ist, dann aber nicht an seinem Sessel klebt sondern den Weg frei macht, der es den Eurokraten ermöglicht, doch noch ohne Gesichtsverlust einzulenken! Wie wäre es, wenn nun auch Herr Schäuble mit seiner bieder-bissigen schwäbischen Sparsamkeitsmentalität seinen Hut nimmt und den Weg frei macht für jemand, der mehr wirtschaftspolitische Kenntnisse hat und weiß, dass ein Volk ausgerechnet in der Krise nicht auch noch sparen kann ?!

  • Es ist höchste Zeit geworden, das alle anderen Euroländer Griechenland folgen und der Groß- und Finanzwirtschaft* endlich das Zepter aus der Hand reissen!

    Das gehört eigentlich in die Hände der Politik, die sich allerdings ausschließlich durch die Lobby dieser Mafia-Bande* treiben läßt.

    (TTIP u.s.w.)

    Zur Ablenkung werden die Völker gegeneinander aufgehetzt.

    Je länger abgewartet wird, desto blutiger kann es nur werden!

  • @ Noevil

     

    Ich sehe das genauso und der Vorschlag ist interessant. Es gibt da nur das Problem, dass es z. B. in Deutschland in der Öffentlichkeitsarbeit nicht zu vermitteln ist, die griechische Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen.

     

    Das Stimmungsbild, auch durch Meinungsmache einiger Medien, ist klar und gegen weitere Hilfen für Griechenland.

     

    Es ist traurig, wir selbst konnten nach einem Schuldenschnitt das Wirtschaftswunder hervorbringen aber sind jetzt nicht in der Lage, von einer augenscheinlich verfehlten Politik abzuweichen und Neues zu versuchen.

  • Einem Artikel der slowenischen Zeitung Delo entnehme ich einen wichtigen Satz: "Die Art und Weise, wie sie (die EU-Beamten und Finanzexperten) nun auf das klare Nein der griechischen Bevölkerung reagieren werden, wird zeigen, wie demokratisch die EU in Wirklichkeit ist." (06.07.2015)

     

    Ergänzend fügt der österreichische Standard einen konkreten Vorschlag hinzu, der mir durchaus - bereits des öfteren angesprochen - sinnvoll erscheint: "Der frühere EU-Kommissionspräsident Jacques Delors hat einen Drei-Punkte-Plan vorgeschlagen: kurzfristige Geldmittel zur Herstellung der finanziellen Liquidität, die griechischen Schulden sollten einer Neubewertung unterzogen werden und alle EU-Fonds und -Fördermöglichkeiten sollten angezapft werden, um die wirtschaftliche Entwicklung Griechenlands voranzutreiben. Das ist eine Art Marshallplan, der Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg den Wiederaufbau ermöglichte. Auch Griechenland braucht einen Neuanfang, das Referendum weist den Weg." (06.07.2015)

     

    Ich hoffe nur, dass in der Umsetzung dieses Vorschlages nicht nur wieder für uns Deutsche öffentlichkeitswirksam Augenwischerei betrieben wird, wie vor Kurzem durch Sigmar Gabriel, der von Angeboten palaverte, die entweder gar nicht vorhanden, alt oder an Bedingungen geknüpft waren, die Griechenland selbst bei bestem Willen und Kotau nach allen Richtungen einfach nicht erfüllen können hätte.

    • @noevil:

      Was wäre denn wenn die CSU ein Volksbegehren für härtere Auflagen und substanzielle Sicherheiten initiieren und durchbekommen würde? Müssten dann die Griechen plötzlich härtere Auflagen akzeptieren oder als Undemokraten gelten?

       

      Die EU hat Griechenland ein Angebot gemacht das sowohl die Griechische Regierung als auch weite Teile der Bevölkerung abgelehnt haben. Diese Ablehnung wird akzeptiert, sie verpflichtet die EU nicht zu verbesserten Angeboten. Es wäre auch nicht "demokratisch(er)" wenn jetzt ein besseres Angebot kommen würde. Das Referendum ist ein Votum von den Griechen an ihre Regierung - wäre es an die EU gerichtet wäre es zutiefst undemokratisch und fremdenfeindlich - denn die übrigen Europäer wären als EU-Bürger zweiter Klasse ausgeschlossen.

    • @noevil:

      danke, aus deinem kommentar viel mehr entnommen als aus dem "artikel", was is denn das bitte?! erst muss ich ein taz zahl ich klicken und bekomme dafür ein zusammengebasteltes varoufakis bashing. taz sollte umbedingt die farbe wechseln.

  • Vielleicht könnte jeden Montag bis Freitag verhandelt werden und Sonntags stimmen die Griechen drüber ab? Wenn es dann irgendwann soweit ist, können die anderen Länder abstimmen, ob sie Griechenland noch weiter unterstützen wollen.

     

    P.S. Meine Familie hat gestern übrigens mit 5:0 Stimmen beschlossen, den Hauskredit nicht an die Bank zurück zu zahlen.