Nach dem Afghanistan-Desaster: Diskussion um EU-Eingreiftruppe
Lehren aus Afghanistan? Die EU-Verteidigungsminister:innen debattieren Pläne für eine Interventionseinheit. Doch es gibt Widerstand.
„Die nüchterne Wahrheit zu Afghanistan ist: Wir Europäer haben gegen die Entscheidung der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeiten keinen leisten konnten“, kommentierte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Aus der Abhängigkeit von den USA müssten nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan sei eine „schwere Niederlage“.
Zugleich warnte die CDU-Politikerin davor, nur über eine neue Militäreinheit zu reden. „Die europäische Debatte darf nicht in der Frage stehenbleiben, ob wir eine ‚europäische Eingreiftruppe‘ wollen oder nicht“, kommentierte sie. Die Frage sei gar nicht, ob man eine extra EU-Truppe aufbaue, sondern wie man vorhandene militärische Fähigkeiten endlich gemeinsam nutzen könne. Konkret schlug Kramp-Karrenbauer vor, dass „Koalitionen von Willigen“ nach einer gemeinsamen Entscheidung aller EU-Staaten vorangehen könnten. Diese wäre nach Artikel 44 des EU-Vertrags möglich.
Zudem sollte aus Sicht der deutschen Ministerin geprüft werden, ob die EU-Staaten nicht „regionale Verantwortungen für Sicherheit“ festlegen könnten. Ziel wäre es dann, gemeinsam Spezialkräfte zu trainieren und wichtige Fähigkeiten wie den strategischen Lufttransport gemeinsam zu organisieren.
Kramp-Karrenbauer reagierte mit den Äußerungen offensichtlich auf den Widerstand gegen die von Frankreich stammenden Eingreiftruppen-Pläne. Staaten wie Polen und Litauen halten die Initiative angesichts der existierenden Fähigkeiten der Nato für überflüssig und befürchten eine mögliche Schwächung des transatlantischen Verteidigungsbündnisses.
Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks sagte am Donnerstag: „Es geht nicht um Truppen, es geht um politischen Willen.“ Auf EU-Ebene sollte man erst einmal die Frage beantworten, wo denn die Battlegroups zuletzt gewesen seien.
Pabriks spielte damit darauf an, dass die EU schon lange Krisenreaktionskräfte hat, die allerdings noch nie eingesetzt wurden. Die bisherigen Überlegungen zu der neuen Einheit sehen vor, die Battlegroups in die neue Truppe zu integrieren. Sie bestehen in der Regel aus zwei Einheiten mit je mindestens 1.500 Soldaten, die wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Die neue Eingreiftruppe könnte nach Angaben des slowenischen EU-Ratsvorsitzes auch deutlich größer werden und bis zu 20.000 Soldaten umfassen.
Auf jeden Fall soll sie so stark sein, dass sie theoretisch einen Militäreinsatz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte. Die Vereinigten Staaten hatten nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August mit rund 6.000 US-Soldaten Evakuierungsflüge ermöglicht. Wegen ihres Abzugs mussten die Europäer dann allerdings ihre Rettungsflüge für schutzbedürftige Menschen früher als eigentlich gewünscht einstellen.
Die Notwendigkeit zusätzlicher europäischer Verteidigungsfähigkeiten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Slowenien. Er hoffe darauf, dass man nach den Ereignissen engagierter konkrete Ergebnisse und Entscheidungen anstreben werde. Im Idealfall könnten Beschlüsse bereits in der ersten Hälfte des kommenden Jahres im Rahmen der Verabschiedung eines neuen Strategie-Konzepts für die EU-Verteidigung gefasst werden, hieß es aus dem Auswärtigen Dienst der EU.
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