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Nach dem Afghanistan-DesasterDiskussion um EU-Eingreiftruppe

Lehren aus Afghanistan? Die EU-Verteidigungsminister:innen debattieren Pläne für eine Interventionseinheit. Doch es gibt Widerstand.

Deutsche Soldaten nach ihrer Rückkehr aus Usbekistan in Wunstorf am 27. August Foto: Martin Meissner

Kranj/Kabul dpa | Die militärische Abhängigkeit von den USA beim Evakuierungseinsatz in Afghanistan befeuert in der EU die Diskussion über den Aufbau einer schnell einsatzfähigen Eingreiftruppe. Bei einem Verteidigungsministertreffen in Slowenien warben am Donnerstag zahlreiche Teilnehmer dafür, Konsequenzen aus den Ereignissen der vergangenen Wochen zu ziehen und die europäischen Verteidigungsfähigkeiten auszubauen. Eine Idee ist es dabei, zügig eine Initiative für eine mindestens 5.000 Soldaten starke Interventionseinheit umzusetzen.

„Die nüchterne Wahrheit zu Afghanistan ist: Wir Europäer haben gegen die Entscheidung der Amerikaner zum Abzug kaum Widerstand geleistet, weil wir mangels eigener Fähigkeiten keinen leisten konnten“, kommentierte Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer. Aus der Abhängigkeit von den USA müssten nun die richtigen Schlüsse gezogen werden. Die Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban in Afghanistan sei eine „schwere Niederlage“.

Zugleich warnte die CDU-Politikerin davor, nur über eine neue Militäreinheit zu reden. „Die europäische Debatte darf nicht in der Frage stehenbleiben, ob wir eine ‚europäische Eingreiftruppe‘ wollen oder nicht“, kommentierte sie. Die Frage sei gar nicht, ob man eine extra EU-Truppe aufbaue, sondern wie man vorhandene militärische Fähigkeiten endlich gemeinsam nutzen könne. Konkret schlug Kramp-Karrenbauer vor, dass „Koalitionen von Willigen“ nach einer gemeinsamen Entscheidung aller EU-Staaten vorangehen könnten. Diese wäre nach Artikel 44 des EU-Vertrags möglich.

Zudem sollte aus Sicht der deutschen Ministerin geprüft werden, ob die EU-Staaten nicht „regionale Verantwortungen für Sicherheit“ festlegen könnten. Ziel wäre es dann, gemeinsam Spezialkräfte zu trainieren und wichtige Fähigkeiten wie den strategischen Lufttransport gemeinsam zu organisieren.

Kramp-Karrenbauer reagierte mit den Äußerungen offensichtlich auf den Widerstand gegen die von Frankreich stammenden Eingreiftruppen-Pläne. Staaten wie Polen und Litauen halten die Initiative angesichts der existierenden Fähigkeiten der Nato für überflüssig und befürchten eine mögliche Schwächung des transatlantischen Verteidigungsbündnisses.

Der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks sagte am Donnerstag: „Es geht nicht um Truppen, es geht um politischen Willen.“ Auf EU-Ebene sollte man erst einmal die Frage beantworten, wo denn die Battlegroups zuletzt gewesen seien.

Pabriks spielte damit darauf an, dass die EU schon lange Krisenreaktionskräfte hat, die allerdings noch nie eingesetzt wurden. Die bisherigen Überlegungen zu der neuen Einheit sehen vor, die Battlegroups in die neue Truppe zu integrieren. Sie bestehen in der Regel aus zwei Einheiten mit je mindestens 1.500 Soldaten, die wechselnd von unterschiedlichen EU-Staaten zur Verfügung gestellt werden. Die neue Eingreiftruppe könnte nach Angaben des slowenischen EU-Ratsvorsitzes auch deutlich größer werden und bis zu 20.000 Soldaten umfassen.

Auf jeden Fall soll sie so stark sein, dass sie theoretisch einen Militäreinsatz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte. Die Vereinigten Staaten hatten nach der Machtübernahme der Taliban Mitte August mit rund 6.000 US-Soldaten Evakuierungsflüge ermöglicht. Wegen ihres Abzugs mussten die Europäer dann allerdings ihre Rettungsflüge für schutzbedürftige Menschen früher als eigentlich gewünscht einstellen.

Die Notwendigkeit zusätzlicher europäischer Verteidigungsfähigkeiten sei nie so deutlich gewesen wie heute, sagte der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell in Slowenien. Er hoffe darauf, dass man nach den Ereignissen engagierter konkrete Ergebnisse und Entscheidungen anstreben werde. Im Idealfall könnten Beschlüsse bereits in der ersten Hälfte des kommenden Jahres im Rahmen der Verabschiedung eines neuen Strategie-Konzepts für die EU-Verteidigung gefasst werden, hieß es aus dem Auswärtigen Dienst der EU.

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7 Kommentare

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  • Warum eigentlich eine militärishe Eingreiftruppe?

    Wir haben in anderen Ländern militärisch nichts zu suchen. Was tatsächlich fehlt ist eine technische- oder katastrophen Eingreiftruppe, also ein mobiles THW.

    Waldbrände, Erdbeben, Fluten, Sturmfolgen in der EU sind gar nicht so selten, und eine solidarishe Hilfe wäre sehr wünschenswert. Löschflugzeuge und -hubschrauber und luftverlegbares schweres Gerät wäre durchaus sinnvoller, als eine Eingreiftruppe, die das politische Versagen der Regierung ausbügelt.

  • Jo, eine EU-Eingreiftruppe. Und wenn die EU gebietet, dann greift die einfach ein? Auch gegen den Willen der Mitgliedsstaaten? Oder kann ein Staat seine Truppenteile einfach abziehen? Und funktioniert es dann noch?

    Oder doch sowas wie die NATO, nur halt ohne „Verteidung“, sondern mit „Eingreifen“?

    Oder wie jetzt?

    Btw, den strategischen Lufttransport braucht man für Militäroperationen fernab der Heimat. Wollen wir sowas echt brauchen?

  • 8G
    83379 (Profil gelöscht)

    Was die EU braucht ist eine Truppe wie die amerikanischen Delta Forces oder die Quds Forces des Iran. Eine in lokaler Sprache und Kultur geschulte Truppe die lokal kompetente Kampf-Gruppen ausbilden, lokale Infrastruktur (Schulen, etc.) hochziehen kann um den Interessen Europas zu dienen. Dazu braucht man eine schonungslose Analyse warum der Aufbau der ANA nicht geklappt hat und dann muss man daraus die Lehren ziehen, sich anschauen warum die Zusammenarbeit mit den Kurden in Syrien klappte, warum Iran Hezbollah und andere groß machen konnte und dann entsprechend die Lehren in Mali und anderswo umsetzen.

  • Wenn gerade jetzt die Rufe nach einer Eingreiftruppe laut werden, wirkt das, als wolle man so tun, als ob das Versagen beim Evakuieren der Ortskräfte und Verbündeten auf dem Fehlen einer schnellen Eingreiftruppe beruht. Man hätte aber die Evakuierung seit vielen Monaten und seit den dringenden Hilferufen der Ortskräfte , die ja schon früh erfolgten, in aller Ruhe und ohne schnelle Eingreiftruppe monatelang durchführen können, wenn man nur auf die Nachrichten und Appelle aus Afghanistan und aus der Bundeswehr und von den Nachrichtendiensten gehört hätte. Dann wäre das In-Sicherheit-Bringen der Verbündeten undramatisch verlaufen und man hätte alle, die einen Anspruch darauf hatten, vollständig mitnehmen können! Nur weil man das - wahrscheinlich in voller Absicht - monatelang verpennt hat und quasi gewartet hat, bis alles auf eine dramatische Zuspitzung mit kriegerischem Anstrich hinauslief dort am Flugplatz und in ganz Kabul, - nur deshalb kann man jetzt so tun, als ginge es bei dem Versagen um das Fehlen einer "schnellen Eingreiftruppe". Das ist wirklich unlauter!

  • Die Truppe wird nicht kommen. Die Interessen der EU Staaten sind zu unterschiedlich. Und dass gerade die Franzosen hier puschen wollen, ist klar: Einsatz im Sahel. Darauf sollten wir uns nicht einlassen. Der Bundeswehr Einsatz in Mali, immerhin seit 7 Jahren, ist sinnloser als der in Afghanistan. Überlegenswert wäre tatsächlich der strategische Lufttransport. Warum mussten Deutschland, Belgien, Dänemark, Norwegen, Frankreich und andere ohne Abstimmung ihre militärischen Transportmaschinen nach Kabul schicken? Hätte man hier nicht schnell etwas gemeinsames durchführen können? Maschinen gibt es europaweit genug!

    • @Leo Bronstein:

      Auch aus Mali sollte D sich zurückziehen! Am besten gut geplant und geordnet. Echte Entwicklungshilfe oder faiere Zusammenarbeit ist wesentlich effektiver als all das Militär.

  • Was für eine krude Verkehrung von Tatsachen.



    "Die Notwendigkeit zusätzlicher europäischer Verteidigungsfähigkeiten sei nie so deutlich gewesen wie heute,..."



    So, so, die Absicherung eines Fluchtflughafens nach desaströser Niederlage in Folge eines nibelungentreuen Mitspielens bei einer Aggression durch einen amoklaufenden Bündnispartner, ist also eine notwendige Verteidigungsfähigkeit?!



    "Auf jeden Fall soll sie so stark sein, dass sie theoretisch einen Militäreinsatz wie den der Amerikaner zur Sicherung des Flughafens in Kabul übernehmen könnte."



    Diese Massenflucht wäre nicht nötig, hätte es eine wirkliche Strategie, auch der Europäer, im Interesse der Afghanen gegeben. Wer wohl gelitten ist, wird unterstützt und hat gar keinen Grund zur Flucht.



    Das, was da jetzt geheult wird, sind Krokodilstränen