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Nach dem 1. MaiMyfest raus aus Kreuzberg?

Zu viel Gesaufe, Kacke im Durchgang: AnwohnerInnen fordern, zumindest einen Teil der Party aus dem Bezirk wegzuverlegen.

Feiern macht Spaß. Aber die große Party nervt viele drum herum Foto: dpa

Der Mann gibt sich alle Mühe, schnell zu schlucken. Breitbeinig steht er am Nachmittag des 1. Mai auf dem Bürgersteig der Skalitzer Straße. Er hat einen Schlauch im Mund, der nach oben zu einem geöffneten Fenster einer Parterrewohnung führt. Dort schüttet ein anderer Bier in einen Trichter. Aus Lautsprechern wummern Bässe. Sonnenbebrillte junge Leute ziehen die Straße entlang, viele mit Flasche in der Hand, manche tanzen. Scherben liegen herum. Der Mann mit dem Schlauch schafft die volle Ladung, gleich ist der nächste an der Reihe.

Ob mit oder ohne Trinkspiel – der 1. Mai ist in Kreuzberg inzwischen vor allem eine große Saufparty. Das kann so nicht weitergehen, finden AnwohnerInnen vom Görlitzer Park. Sie fordern eine Diskussion „ohne Denkverbote“ und haben eine Erklärung verfasst. „Zum Beispiel sollte über eine Verlagerung und Dezentralisierung des Festes nachgedacht werden“, schreiben die im Parkrat organisierten Kreuzberger. Anwohner seien dem Görlitzer Park an diesem Tag ferngeblieben. Das könne es nicht sein. „Wir wünschen uns ein stadtteilbezogenes Fest mit deutlichem politischen Bezug.“

Das Myfest rund um die Oranienstraße wurde 2003 auch erfunden, um Krawalle durch Autonomone zu verhindern. Diese Notwendigkeit gebe es heute so nicht mehr, sagt Martin Heuß vom Parkrat. „Ich halte es schon für eine Option, das Fest in Teilen aus Kreuzberg rauszuverlegen.“ Zumindest der Rave könne auch woanders stattfinden.

Es ist kein Zufall, dass sich ausgerechnet die Nachbarn vom Görlitzer Park zu Wort melden: Erstmalig hat der Bezirk das Festgebiet in diesem Jahr offiziell auf die Grünanlage ausgeweitet. Auf einer großen Bühne legten DJs elektronische Musik auf. Als sich laut Polizei rund 12.500 Menschen im Park aufhielten, wurden die Tore geschlossen. Die Feierfreudigen wanderten daraufhin um den Park herum und strömten auch in die angrenzenden Kieze.

„Es hat sich viel stärker verlaufen als früher“, sagt Mandy Arndt, Geschäftsführerin der Morena-Bar nahe des Görlitzer Bahnhofs. Für ihren Betrieb war das schlecht, die Morena-Bar rechnete mit einem deutlich größeren Ansturm. Qamar Shah, Geschäftsführer eines Restaurants am Parkende, sagt: „Die Leute haben Bier gekauft und sind auf Toilette gegangen, aber sie haben nicht gegessen.“

Die AnwohnerInnen vom Görli fordern eine Diskussion ohne Denkverbote

Nicht alle schafften es auf ein normales Klo. „Die Leute haben uns in die Durchfahrt gepinkelt und gekackt“, berichtet ein langjähriger Bewohner der Görlitzer Straße schwer genervt. „Das war der mit Abstand unangenehmste 1. Mai, den ich je erlebt habe.“ Weder mit öffentlichen noch mit privaten Verkehrsmitteln sei das Viertel zu erreichen gewesen. „Es war der totale Irrsinn“, sagt auch eine Nachbarin. Und ein Anwohner vom Görlitzer Bahnhof würde es befürworten, „wenn das Fest in seiner jetzigen Form und Größenordnung eingestampft wird, um Platz zu machen für ein echtes Nachbarschaftsfest.“

Auch im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg würde man sich freuen, wenn die Party woanders stattfände, sagt am Montag Sprecherin Sara Lühmann der taz. „Allerdings ist davon auszugehen, dass die Leute trotzdem kommen.“ Der 1. Mai soll auch Thema auf der Sitzung des Bezirksamts am heutigen Dienstag sein. Gemeinsam mit den AnwohnerInnen wolle Bezirksbürgermeisterin Monika Herrmann (Grüne) ein Konzept entwickeln für den nächsten 1. Mai. Schon länger ist für den 14. Juni ein erstes Treffen anberaumt.

Auch viele von Herrmanns Parteifreunden dürften durchaus Verständnis haben für die ­Forderungen der Anwohner. Nicht weit von dem Mann mit Schlauch im Mund stand am 1. Mai der ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Christian Ströbele. Er denke mit Wehmut an den 1. Mai vor zehn Jahren, so Ströbele. „Da haben alle Wert darauf gelegt, dass das Myfest eine politische Note behält.“

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