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Nach Sturz des Assad-RegimesBrüssel will nicht handeln

Nach dem Sturz des Assad-Regimes in Syrien finden die EU-Mitgliedsstaaten keine gemeinsame außenpolitische Linie. Im EU-Parlament führt dies zu Unmut.

Während Syrer europaweit den Umsturz Assads feiern, bereitet Österreich die ersten Abschiebungen vor Foto: Aurelien Morissard/AP/dpa

Brüssel taz | Der Umsturz in Syrien hat eine neue Migrationsdebatte in der EU ausgelöst. Kurz vor einem Treffen der 27 EU-Innenminister am Donnerstag in Brüssel liegen die Positionen allerdings noch weit auseinander. Während Österreich bereits die Abschiebung von syrischen Flüchtlingen vorbereitet, wollen Deutschland und die meisten anderen EU-Länder noch abwarten, wie sich die Lage im Land entwickelt.

Es werde nun ein „geordnetes Rückführungs- und Abschiebeprogramm nach Syrien ausgearbeitet“, erklärte Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer. „Zudem werden bereits gewährte Bleiberechte überprüft.“ Österreich prescht mit dieser Entscheidung auf EU-Ebene vor. Die schwarz-grüne Übergangsregierung in Wien hat ihr Vorgehen offenbar nicht mit anderen Mitgliedsländern abgestimmt.

Deutschland, Schweden, Norwegen und Dänemark hatten am vergangenen Montag lediglich angekündigt, ihre Entscheidungen zu Asylanträgen und Abschiebungen vorerst auszusetzen. Frankreich wollte nachziehen. In Deutschland leben im EU-Vergleich mit fast einer Million Menschen die meisten syrischen Flüchtlinge. Auf Platz zwei liegt Schweden. Die meisten Syrer waren 2015 und 2016 in die EU geflüchtet.

Ähnlich wie damals, während der ersten großen Flüchtlingskrise, tut sich Brüssel auch diesmal wieder schwer. Der neue EU-Innenkommissar Magnus Brunner nannte die Aussetzung von Asylentscheidungen „durchaus akzeptabel“. Dies sei „eine normale Vorgehensweise“, erklärte der konservative Österreicher. Allerdings legte er keinen Vorschlag für ein EU-weit koordiniertes Vorgehen vor.

Aktive Außenpolitik bleibt aus

Auch die neue EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas hat keinen Plan. Bei einer Anhörung im Europaparlament zur Lage in Syrien erklärte sie lediglich, dass die EU auf einen friedlichen Übergang hoffe. Während des Umsturzes hatte sie tagelang geschwiegen. Danach hatte sie den Sturz des Assad-Regimes begrüßt. Er sei ein Zeichen der Schwäche Russlands und Irans. Wie es weitergeht, sagte sie nicht.

Im Europaparlament führt dies zu Unmut. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte bei der Nominierung ihres neuen Teams eine aktivere und kohärentere Außenpolitik angekündigt. Auch in der Migrationspolitik hatte die CDU-Politikerin mehr Engagement versprochen. Doch bei der ersten großen außenpolitischen Krise ist davon nichts zu sehen – im Gegenteil: Die EU wirkt wie gelähmt.

„Sollte man nicht schneller sein?“, fragte die liberale Belgierin Hilde Vautmans bei der Parlamentsdebatte. „Sollten Sie nicht nach Damaskus reisen, einen Dialog starten“, fragte sie Kallas. Doch die neue Außenvertreterin aus Estland, die sich vor allem für die Ukraine und Russland interessiert, wiegelte ab. Die EU könne „zusammen mit unseren Regionalpartnern“ mehr erreichen, als wenn sie in hektischen Aktionismus verfalle.

Auch beim Treffen der Innenminister sind keine Taten zu erwarten. Die Lage in Syrien wird nur beim Mittagessen besprochen, Beschlüsse sind nicht geplant. Bundesinnenministerin Nancy Faeser und ihre Amtskollegen wollen sich vor allem mit dem neuen EU-Migrationspakt und der Lage im Schengenraum befassen.

EU-Kommission will Asylregeln lockern

Allerdings zeichnen sich auch dort keine Fortschritte ab. Faeser will die deutschen Grenzkontrollen verlängern – trotz Protesten aus Luxemburg und anderen Anrainerstaaten.

Derweil kündigte die EU-Kommission an, dass die strengen Asylregeln für Polen, Finnland und andere osteuropäische EU-Länder gelockert werden sollen. Sie dürfen künftig das Asylrecht einschränken, wenn Russland oder Belarus Migranten als „Waffe“ einsetzt. Polens liberalkonservativer Premier Donald Tusk hatte bereits im Oktober angekündigt, das Asylrecht in Polen aufheben zu wollen.

Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) werfen Polen vor, Menschen gewaltsam über die Grenze nach Belarus zurückzudrängen. Diese illegalen „Pushbacks“ könnten nun mit gelockerten Regelungen erleichtert werden.

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4 Kommentare

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  • Grundsätzlich: Die EU hat noch nie eine gemeinsame, selten eine mühsam abgestimmte Außenpolitik gemacht. Warum sollte sich das jetzt beim Thema Syrien ändern?



    Zugestehen muss man, dass es für alle Staaten (außer vermutlich Israel, Türkei, Iran und auch USA) wirklich überraschend kam. Da kann ich Fr. Kallas verstehen, dass sie nicht nach zwei Tagen losstürzt, um mit wem genau zu sprechen? Und worüber? Bestenfalls sollte sie sich mit Hr. Erdogan zusammensetzen.



    Auch um eine neue Flüchtlingswelle (diesmal ehemalige Assad-Anhänger ohne persönliche Schuld, z.B. Christen, Kurden, Leute, die weder mit Assad noch mit den Islamisten etwas anfangen können etc.) zu verhindern, fehlen doch Einflussmöglichkeiten. Die des "Westens" insgesamt sind in diesem Fall (wegen früheren Versäumnissen (Stichwort Obama) doch äußerst limitiert.

  • Ein gemeinsamer Nenner könnte doch:



    Wir senden EU-Koalitionstruppen (evtl. mit einem UN-Mandat) nach Syrien, um das Land zu demokratisieren und zu föderalisieren.

  • Für eine "Aktive Außenpolitik" hat die EU überhaupt kein Mandat und ist nicht zuständig. Das kann jedes Land selbständig entscheiden.

    • @DiMa:

      Kallas, Baerbock u.a. können bei den einflussreichsten Rängen der HTS wie Al-Jolani und Al-Baschir Präsenz zeigen und im Dialog Unterstützung anbieten bei Organisation, mediz. Versorgung, Ernährung, Wiederaufbau, ..., um die HTS bzgl. ihrer Selbstdarstellung als einer Bewegung, die Minderheiten und andere Weltanschaungen bzw. Religionen und die Frauenrechte respektiert, nachhaltig beim Wort zu nehmen und den friedlichen Dialog mit den Kurden zu vermitteln statt der seitens der Türkei vorangetriebenen miltärischen Agression.



      Außerdem sich gegen die anhaltenden völkerrechtswidrigen israelischen militärischen Vorstöße auf syrisches Gebiet einsetzen.



      Das wäre im Sinne der Zivilisation alles dringend geboten und zukunftsträchtig. Abwarten nützt nur der Radikalisierung, Spaltung, destruktivem Einfluss, z.B. am Ende gar aus Moskau.