Nach Schüssen auf Karamba Diabys Büro: Solidarität oder soll man's lassen?
Wer Hass und Gewalt erfährt, verdient bedingungslose Solidarität, kein Victim-Blaming. Das scheinen noch nicht alle verstanden zu haben.
S tellen Sie sich vor, Sie arbeiten als Schwarze_r Politiker_in in einer Stadt, in der es vor einigen Monaten einen rechten Terroranschlag auf eine Synagoge und einen Döner-Imbiss gegeben hat, bei dem zwei Menschen ermordet wurden. Allein dieses Szenario lässt eine_n Filme schieben. Wenn Sie dann auch noch seit Jahren aus besagter Ecke bedroht werden und an der Scheibe zu Ihrem Büro fünf Einschusslöcher wiederfinden, steht außer Frage, dass die Gefahr sich nicht nur in ihrem Kopf abspielt. Ob es sich „lediglich“ um Einschüchterung handelt, spielt keine Rolle. Das Gefühl der Sicherheit hat sich längst bei Ihnen verabschiedet. Wäre ja nicht das erste Mal, dass … Sie wollen den Satz gar nicht zu Ende denken.
Neben breiter Solidarität bekommen Sie bei einem Interview mit einem Leitmedium dann die Frage gestellt, ob es Situationen gab, in denen „Sie selbst vielleicht zu emotional argumentiert haben und damit – wenn auch nicht gegen Minderheiten gerichtet – ebenfalls zu einer hitzigen Debatte beigetragen haben“. Sie finden diese Vorstellung unfassbar? Verständlich. Leider ist das aber keine ausgedachte Gruselgeschichte. Genau das passierte vergangene Woche dem SPD-Politiker Karamba Diaby.
Mittlerweile hat die Zeit-Online-Redaktion selbst gemerkt, dass diese nachträglich gestellte Frage geschmacklos ist und in einem Gespräch nach so einem Anschlag nichts zu suchen hat. Die Frage ist jetzt draußen, der Abgrund zwischen Betroffenen solcher Gewalt und den anderen bleibt jedoch.
Wer schon mal einem Erguss aus Beleidigungen, Gewalt- und Mordandrohungen als Reaktion auf die eigene Arbeit erhalten hat, kennt es. Es gehört schon fast dazu, neben Solidarität auch Victim-Blaming zu bekommen, also Opferbeschuldigungen. Klassiker dieser Shitshow-Hitparade sind Sprüche wie „Aber du teilst auch ganz schön aus!“, „Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus“, „Wer so provoziert, muss auch Gegenreaktionen aushalten können“ oder, bei sexualisierter Gewalt etwa, „Aber was hattest du an?“. Bedingungslose Solidarität – oder soll man’s lassen? Die Sätze implizieren, dass die erfahrene Gewalt eine adäquate Reaktion auf die „Provokation“ der Betroffenen sei. Die „Provokationen“ wären dann der Minirock, die Bezeichnung von weißen Deutschen als „Kartoffeln“ oder ein legeres „Refugees welcome“.
Ganz ehrlich: Warum sollen immer die Opfer Gewalt aushalten können, aber die Täter_innen können nicht einfach mal aushalten, dass eine Frau ihr Outfit nicht für ihre geiernden Blicke trägt, dass Marginalisierte nach lebenslänglichen Antisemitismus- oder Rassismuserfahrungen Witze über die Mehrheitsgesellschaft machen, dass jemand der Menschenfeindlichkeit von Rechten widerspricht? Wer die Schuld nicht ausschließlich bei den Täter_innen sieht, muss woanders suchen als bei den Opfern. Schuld tragen nämlich auch diejenigen, die diese Gewalt legitimieren und verteidigen.
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