Nach Rücktrittswelle bei den Grünen: Grüne sehen alt aus
Nach dem Rücktritt des Grüne-Jugend-Vorstandes entsteht im Parteinachwuchs eine Lücke. Wird es die zukünftige Grünen-Spitze einfacher haben?
Die Kulisse war also sorgsam gewählt: Es brauche wieder eine linke Kraft, die „gerade diejenigen anspricht, die in Armut und Abstiegsangst leben“, heißt es in einem Abschiedsschreiben an die Grünenspitze, abgeschickt am Mittwochabend. In der Partei fehle die Perspektive für eine „klassenorientierte Politik“ und ein „grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem“. Zu viel Umverteilung nach oben, zu wenig Klimaschutz und zu viele Abschiebungen: Gegen die Kompromisspolitik in der Ampel kommen die Abtrünnigen nicht an, deswegen verlassen sie Partei und GJ und gründen einen neuen politischen Jugendverband.
Nach dem Rücktritt des Parteivorstands am Mittwochmorgen war die Nachricht der zweite Hammer innerhalb weniger Stunden – wenn auch der weniger überraschende und länger vorbereitete. Resignation war dem GJ-Vorstand schon seit Monaten anzumerken. Bat man als Journalist um Statements zu tagespolitischen Fragen, lautete die Antwort oft: heute nicht. Seit Jahren stand im Verband dafür Klassenkampfrhetorik immer höher im Kurs, womit man bei den Grünen des 21. Jahrhunderts natürlich auf Widerstände stößt. Und interessiert blickte die Grüne Jugend schon lange nach Österreich: 2017 warfen die dortigen Grünen nach einem Richtungsstreit ihren gesamten Jugendverband raus. Dieser tat sich schließlich mit der kommunistischen KPÖ zusammen. Zusammen erzielte man als Kümmererpartei regionale Erfolge.
„Wir wollen dazu beitragen, dass es bald eine starke linke Partei in Deutschland geben kann“, heißt es jetzt auch von den GJ-Aussteiger*innen. Unklar ist bislang, ob sie auf ein ganz neues Parteiprojekt spekulieren oder mit der kriselnden Linken zusammenarbeiten werden. Das Kapitel bei der Grünen Jugend endet offiziell am Wochenende um den 19. Oktober. In Leipzig findet dann der Bundeskongress der GJ mit Neuwahlen statt, nebenan in Halle der Parteitag der Linken. Als Parteichefin kandidiert dort Ines Schwerdtner, einst Chefredakteurin des sozialistischen Magazins Jacobin – in dem wiederum Sarah-Lee Heinrich gelegentlich mit Gastbeiträgen gegen den Grünen-Kurs schießt. Die ehemalige GJ-Chefin wirkt an der Neugründung ebenfalls mit.
Hessische Grünenjugend kündigt weiter Opposition an
Bei den Grünen entsteht mit der Spaltung im Parteinachwuchs erst mal eine Lücke. Seit dem Start der Ampelkoalition war es oft die GJ, die eine innerparteiliche Opposition gegen die Regierungspolitik organisierte. Das Sondervermögen für die Bundeswehr, die Räumung von Lützerath, die Verschärfung des europäischen Asylrechts: Die Jungen schrieben Anträge für Parteitage und mobilisierten Delegiertenstimmen weit über ihre eigenen Reihen hinaus. Mehrheiten erreichten sie nicht, für Debatten und knappe Ergebnisse sorgten sie aber.
Vor allem Realos waren davon natürlich oft genervt. Zum Teil kreideten sie der Jugendorganisation auch an, dass die Grünen zuletzt unter Erstwählern schlecht abschnitten. Entsprechend gelassen, teils auch erleichtert, fallen am Donnerstag viele Reaktionen aus der Partei aus. Offen ist aber zunächst, um wie viel bequemer die Grüne Jugend unter einem neuen Vorstand agieren wird. Wie viele Mitglieder der Neugründung folgen und ebenfalls austreten, ist offen. Der hessische Landesvorstand kündigte am Donnerstag an, zu bleiben und trotzdem weiter zu opponieren. „PS: Das ist kein Liebesbrief an die Grünen. Wer soll denen sonst in den Arsch treten?“
Ebenfalls nicht austreten wird der ehemalige GJ-Chef Timon Dzienus. Im Gegenteil: Der 28-Jährige will nächstes Jahr in den Bundestag. Kämpferisch gibt aber auch er sich: „Es steht gerade verdammt viel auf dem Spiel. Linke in der Partei müssen kämpfen“, sagte er der taz. „Die Austritte sind mehr als ein Warnschuss und auf allen Ebenen muss ankommen: Der Kurs der Mitte und des Nachgebens ist gescheitert.“
Wer hat künftig die Macht bei den Grünen?
Tatsächlich sortiert sich in der Partei gerade vieles neu – mit offenem Ausgang. Manche Medien berichteten am Mittwoch, den Rücktritt des Parteivorstands um Omid Nouripour und Ricarda Lang habe der designierte Kanzlerkandidat Robert Habeck eingefädelt. Dagegen gibt es zwar harte Dementis. Klar ist aber, dass Habeck für einen deutlich mittigeren Kurs steht als beispielsweise Lang.
Je nachdem, wie die Parteispitze nachbesetzt wird, könnte sich die bisherige Machtbalance fortschreiben. Unter Parteilinken gibt es einerseits aber auch die Befürchtung, dass das Habeck-Lager jetzt durchregieren will – und andererseits Ambitionen, den eigenen Flügel zu stärken. Um sich durchzusetzen, müssten sich die Linken aber besser organisieren als zuletzt, zumal Hilfe aus der Grünen Jugend jetzt erst mal ausfällt. Am Samstag trifft sich der Flügel zum ersten Vernetzungstreffen seit Jahren in Berlin. Schon lange geplant – und unfreiwillig doch perfekt getimt.
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