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Nach Rücktritt von Kardinal MarxDoppelspitze fürs Bischofamt

Stefan Hunglinger
Kommentar von Stefan Hunglinger

Der Rücktritt von Erzbischof Marx sollte Vorbild sein für seine Kollegen. Die Macht im Bistum München könnte in Zukunft paritätisch geteilt werden.

Übernimmt Verantwortung: Kardinal Marx bietet seinen Rücktritt an Foto: dpa

G öttin sei Dank. Endlich übernimmt einer der katholischen Bischöfe Verantwortung und bietet seinen Rücktritt an. Mehr noch: einer der prominentesten, einer der jeweils sechs Jahre lang der Oberste der deutschen und der europäischen Oberhirten war, tut es. In dem Brief, den Reinhard Marx an Papst Franziskus richtete und der am Freitag öffentlich wurde, schreibt der Erzbischof von München und Freising: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“

Angesichts einer solchen Geste, angesichts seiner Bedeutung für den Reformprozess des „Synodalen Weges“, angesichts seines klugen Verzichts auf das Bundesverdienstkreuz Ende April und vor allem angesichts der unwürdigen Performance des Kölner Bischofs Rainer Maria Woelki in den letzten Monaten, werden manche sagen: es ist der falsche Bischof, der zurücktritt. Das stimmt schon. Marx ist keiner, der die Kirche als heilige Herde hinter hohen Mauern begreift, sondern interessiert an kirchlicher wie gesellschaftlicher Empirie und Veränderung. Er steht für eine Soziallehre, die dem Markt und der Ausbeutung klare Grenzen setzt.

Er steht für eine Kirche, die den Konflikt mit den C-Parteien nicht scheut. Als Markus Söder 2018 das Kreuz zum Identitätsmarker in bayrischen Behörden erklärte und zeitgleich gegen Geflüchtete hetzte, legte Marx deutlich Widerspruch ein. „Unsere christliche Identität wäre in Gefahr, wenn wir den Flüchtlingen nicht helfen. Wenn wir Menschen in Not sozusagen an unseren Grenzen sterben lassen, dann pfeife ich auf die christliche Identität“, ist so ein Marx-Satz. „Nationalist sein und katholisch sein, das geht nicht“, ein anderer in Richtung AfD.

Und doch: Es ist richtig, dass Marx zurücktritt. Er war es, der 2004 der Ethikprofessorin Regina Ammicht Quinn die Lehrerlaubnis für einen katholischen Lehrstuhl in Saarbrücken verweigerte, weil sie eine von Rom abweichende – schlicht zeitgemäße – Sicht auf Geschlecht und Sexualität hat. Als Bischof von Trier hat auch Marx nicht reagiert, als er von der sexualisierten Gewalt erfuhr, die einem Jugendlichen durch einen Priester in seiner Zuständigkeit zugefügt wurde. Und noch ist das für Sommer 2021 angekündigte Gutachten nicht veröffentlicht, das das Ausmaß sexualisierter Gewalt in Marx' jetzigem Bistum aufklären soll.

Push für den „Synodalen Weg“

Gerade aber, wenn Marx nicht in herausragender Weise belastet werden sollte, wird sich der Wert dieses Rücktritts zeigen. Denn dieser Bischof hat tatsächlich dazugelernt, hat das Wort „systemisch“ verstanden und übernimmt jetzt auch persönliche Verantwortung dafür. Diesen Schluss lässt zumindest sein Brief an den Papst zu, in dem er unter anderem von einem „toten Punkt“ für die Kirche spricht.

Marx' Rücktritt kann jetzt schon als Vorbild für seine Kollegen dienen. „Ich will zeigen, dass nicht das Amt im Vordergrund steht, sondern der Auftrag des Evangeliums“, heißt es im Brief an den Papst und das darf man ihm glauben. Damit ist der Rücktritt auch ein Push für den „Synodalen Weg“, den Marx 2019 als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz eröffnet hat.

Der nächste Schritt auf diesem Weg? Wenn Papst Franziskus den Rücktritt annimmt, sollte der Münchner Bischofsstuhl mit einer Doppelspitze besetzt werden. Eine Frau würde den Personalfragen, Finanzen und Gremien vorstehen. Ein Geweihter würde (erstmal noch) die Bischofsrolle im Gottesdienst übernehmen. Dies ließe sich ohne größere Änderungen der römischen Lehre sofort verwirklichen. „Man sagt, nur der Repräsentant in der Eucharistie ist, ist auch derjenige, der die Kirche leitet. Und da komme ich dann natürlich zu dem Schluss: Also können nur Männer die Kirche leiten. Das kann ja nicht sein.“ Auch mit diesem Satz hatte Reinhard Marx völlig Recht.

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Stefan Hunglinger
Redakteur im Politik-Team der wochentaz. Schreibt öfter mal zu Themen queer durch die Kirchenbank. Macht auch Radio. Studium der Religions- und Kulturwissenschaft, Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule. Mehr auf stefan-hunglinger.de
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9 Kommentare

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  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Über jahrhunderte hinweg ist für mich die Katholische Kirche zumindest in Teilen eine kriminelle Vereinigung.

  • Visitation Cologne//



    //



    Maulkörbe und Drohgebärden//



    Jetzt in Köln wohl nicht mehr werden//



    Die Aufklärung dort gefährden,//



    Wo es lange tut schon Not.//



    So ist es auch das Gebot://



    Papst im Namen Zebaoth//



    Allen dort liest die Leviten,//



    Die die Gläubigen verrieten//



    Und sich nun noch überbieten//



    In der Selbstgerechtigkeit//



    Sehr absurd in dieser Zeit,//



    Deshalb man das nicht verzeiht.//



    Gegenteil von gerecht sein//



    Selbst gemacht Heiligenschein//



    Sich verliehn diesen dann fein.//



    Katholiken, Damen, Herren//



    Doch wohl sehr erleichtert wären,//



    Wenn sein Exil tät erklären,//



    Der am Bischofsstuhle klebt.//



    Trotz Volkszorne, der schon bebt//



    Und sich jetzt hörbar erhebt,//



    Austrittswelle doch wohl zählt,//



    Da auf diese Weise wählt//



    Jeder etwas, das nun fehlt.//



    Denn durch das Reichskonkordat//



    Die Einnahmequelle hat//



    Kirche ähnlich wie der Staat.//



    Wenn es geht um den Mammon,//



    Kardinäle immer schon//



    Sorgten sich um ihren Thron.//



    Von den Blinden und den Lahmen//



    Sie erzielen auch Einnahmen//



    Unabhängig von den Dramen,//



    Die sie jenen einst bescherten,//



    Die sie kindlich treu verehrten,//



    Gegen Missbrauch sich nicht wehrten.//



    Kurie jetzt nicht geheuer//



    Ist zukünftig Kirchensteuer//



    Durch den Austritt vieler Treuer.//



    //



    Rainer-Termin für reine Spekulation am Rhein:



    ?Letzte Fristverlängerung für Hauptdarsteller:// Mariä Himmelfahrt 15. August?//

    Martin Rees, Juni 2021

  • Vielleicht habe ich da was falsch verstanden. Der Artikel spricht mehrfach von "Rücktritt", alldieweil es sich nur um ein "Rücktrittsangebot" handelt. Ich kann mir gut vorstellen, dass der Papst das Angebot ablehnt, weil Marx ja nicht der schlimmste Finger war.

  • Keine Frage: Reformen sind in der katholischen Kirche notwendig.

    Die Frage ist jedoch, in welche Richtung diese Reise gehen soll.

    In den USA ist zu heute beobachten, daß identitätspolitische Ideologien in den Gemeinden selbst der konservativen Southern Baptists mehr und mehr Fuß fassen.

    Ob den Kirchen der Einbau einer anderen Religion [1] mittel- und langfristig 'gut tun' wird, ist zweifelhaft.

    Identitätspolitische Ideologie(n), wie Critical Race Theorie, die Thesen Robin DiAngelos oder Ibram X Kendis sind schon im Ansatz spaltend und entzweiend.

    Ein derartiger 'Modernisierungsschub' könnte die Kirchen hierzulande vollends marginalisieren.

    Als Ironie der Geschichte könnte sich gerade der Traditionalismus der katholischen Kirche, ihre Trägheitskräfte und ihr Widerstand gegen Veränderungen noch als ‘Stärke’ entpuppen: Stärke einer der wenigen Institutionen, die einer hegemonialen Ideologie widerstanden haben.

    Dennoch: Reform ja - aber die katholische Kirche sollte sorgsam darauf achten, in welchem Diskurs eine Reformdiskusion geführt wird, in welchem Diskurs die – durchaus existenten - Problemlagen artikuliert werden: in liberalen Diskursen oder im Diskurs illiberaler Ideologien - denn dies wird auch die Therapie prädeterminieren.

    Es steht für die katholische Kirche viel auf dem Spiel: sie sollte der Versuchung widerstehen, auf die Modewelle einer hegemonialen Ideologie aufzuspringen, die eher für das Anheizen von Konflikten und für Polarisierung bekannt ist - soziale Mißstände, auch die in der Kirche, können in liberalem Geist, der die Unverletzlichkeit des Individuums ins Zentrum stellt, adäquat diagnostiziert und erfolgreich 'therapiert' werden.

    [1] Der religiöse Charakter der Bewegung ist wiederholt herausgestellt worden, so vom schwarzen Linguisten John McWhorter.Demnächst erscheint sein Buch: 'The Elect.' ('Die Erwählten')

    Teilw. Vorabdrucke auf Substack:



    johnmcwhorter.subs...799-john-mcwhorter

  • Wenn Gott das noch erlebet hätte

    • @Papa Moll:

      Der rotiert jetzt in seinem Grab!

  • Na Servus

    “ Doppelspitze fürs Bischofamt“ (ein Fätzer für Säätzer!;))

    kurz - Liggers. Bei zwei Eichel - 🤦‍♂️ 🤦🏻‍♂️- (nicht Hans!;)



    Genderneutral - bleiben aber - Zweifel! - 🤷‍♀️ -



    Überzeugt nicht ganz • Nö. Kaa tragfähig Monstranz!

    • @Lowandorder:

      Doppelspitze, also ein Bischof und eine Bischöfin?

      • @Toto Barig:

        Lesens nochmals Danke