Nach Rücktritt von Kardinal Marx: Doppelspitze fürs Bischofamt
Der Rücktritt von Erzbischof Marx sollte Vorbild sein für seine Kollegen. Die Macht im Bistum München könnte in Zukunft paritätisch geteilt werden.
G öttin sei Dank. Endlich übernimmt einer der katholischen Bischöfe Verantwortung und bietet seinen Rücktritt an. Mehr noch: einer der prominentesten, einer der jeweils sechs Jahre lang der Oberste der deutschen und der europäischen Oberhirten war, tut es. In dem Brief, den Reinhard Marx an Papst Franziskus richtete und der am Freitag öffentlich wurde, schreibt der Erzbischof von München und Freising: „Im Kern geht es für mich darum, Mitverantwortung zu tragen für die Katastrophe des sexuellen Missbrauchs durch Amtsträger der Kirche in den vergangenen Jahrzehnten.“
Angesichts einer solchen Geste, angesichts seiner Bedeutung für den Reformprozess des „Synodalen Weges“, angesichts seines klugen Verzichts auf das Bundesverdienstkreuz Ende April und vor allem angesichts der unwürdigen Performance des Kölner Bischofs Rainer Maria Woelki in den letzten Monaten, werden manche sagen: es ist der falsche Bischof, der zurücktritt. Das stimmt schon. Marx ist keiner, der die Kirche als heilige Herde hinter hohen Mauern begreift, sondern interessiert an kirchlicher wie gesellschaftlicher Empirie und Veränderung. Er steht für eine Soziallehre, die dem Markt und der Ausbeutung klare Grenzen setzt.
Er steht für eine Kirche, die den Konflikt mit den C-Parteien nicht scheut. Als Markus Söder 2018 das Kreuz zum Identitätsmarker in bayrischen Behörden erklärte und zeitgleich gegen Geflüchtete hetzte, legte Marx deutlich Widerspruch ein. „Unsere christliche Identität wäre in Gefahr, wenn wir den Flüchtlingen nicht helfen. Wenn wir Menschen in Not sozusagen an unseren Grenzen sterben lassen, dann pfeife ich auf die christliche Identität“, ist so ein Marx-Satz. „Nationalist sein und katholisch sein, das geht nicht“, ein anderer in Richtung AfD.
Und doch: Es ist richtig, dass Marx zurücktritt. Er war es, der 2004 der Ethikprofessorin Regina Ammicht Quinn die Lehrerlaubnis für einen katholischen Lehrstuhl in Saarbrücken verweigerte, weil sie eine von Rom abweichende – schlicht zeitgemäße – Sicht auf Geschlecht und Sexualität hat. Als Bischof von Trier hat auch Marx nicht reagiert, als er von der sexualisierten Gewalt erfuhr, die einem Jugendlichen durch einen Priester in seiner Zuständigkeit zugefügt wurde. Und noch ist das für Sommer 2021 angekündigte Gutachten nicht veröffentlicht, das das Ausmaß sexualisierter Gewalt in Marx' jetzigem Bistum aufklären soll.
Push für den „Synodalen Weg“
Gerade aber, wenn Marx nicht in herausragender Weise belastet werden sollte, wird sich der Wert dieses Rücktritts zeigen. Denn dieser Bischof hat tatsächlich dazugelernt, hat das Wort „systemisch“ verstanden und übernimmt jetzt auch persönliche Verantwortung dafür. Diesen Schluss lässt zumindest sein Brief an den Papst zu, in dem er unter anderem von einem „toten Punkt“ für die Kirche spricht.
Marx' Rücktritt kann jetzt schon als Vorbild für seine Kollegen dienen. „Ich will zeigen, dass nicht das Amt im Vordergrund steht, sondern der Auftrag des Evangeliums“, heißt es im Brief an den Papst und das darf man ihm glauben. Damit ist der Rücktritt auch ein Push für den „Synodalen Weg“, den Marx 2019 als Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz eröffnet hat.
Der nächste Schritt auf diesem Weg? Wenn Papst Franziskus den Rücktritt annimmt, sollte der Münchner Bischofsstuhl mit einer Doppelspitze besetzt werden. Eine Frau würde den Personalfragen, Finanzen und Gremien vorstehen. Ein Geweihter würde (erstmal noch) die Bischofsrolle im Gottesdienst übernehmen. Dies ließe sich ohne größere Änderungen der römischen Lehre sofort verwirklichen. „Man sagt, nur der Repräsentant in der Eucharistie ist, ist auch derjenige, der die Kirche leitet. Und da komme ich dann natürlich zu dem Schluss: Also können nur Männer die Kirche leiten. Das kann ja nicht sein.“ Auch mit diesem Satz hatte Reinhard Marx völlig Recht.
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