Nach Messerangriff in Dublin: Gewaltorgie in Dublin
Ein Messerangriff mit verletzten Kindern in der irischen Hauptstadt hat gewalttätige rechtsextreme Proteste ausgelöst. Steine flogen gegen Polizisten.
In Dublins Hauptstraße, der O’Connell Street, wurden die elektrischen Oberleitungen der Straßenbahn zerstört und lagen auf der Fahrbahn. Die Ausschreitungen verlagerten sich dann in die Fußgängerzone, wo Rechtsextreme und Opportunisten 13 Läden plünderten.
Auslöser war eine Messerattacke am frühen Donnerstagnachmittag. Ein etwa 40-jähriger Mann hatte vor der irisch-sprachigen Grundschule Gaelscoil Choláiste Mhuire am Parnell Square in der nördlichen Innenstadt drei Kinder und eine Betreuerin vor den Augen der anderen Schulkinder mit einem 30 Zentimeter langen Messer verletzt. Die Frau und ein fünfjähriges Mädchen schweben noch in Lebensgefahr. Der staatliche psychologischen Dienst kümmert sich um die Mitschülerinnen und Mitschüler.
Über das Motiv ist bisher nichts bekannt. Polizeichef Drew Harris sagte, es sei ein wichtiger Teil der Ermittlungen, das Motiv des Täters zu ermitteln. „Es zirkulierten viele Gerüchte“, sagte er und bat die Öffentlichkeit, nicht auf Falschinformationen zu hören. Auf die Frage, ob es einen terroristischen Hintergrund gebe, sagte Harris, er könne derzeit nichts ausschließen. „Ich werde aber jetzt nicht über mögliche Motive spekulieren“, fügte er hinzu.
Soziale Medien haben Hass gegen Ausländer verbreitet
Eine Angestellte des gegenüberliegenden Entbindungskrankenhauses Rotunda, die vor dem Krankenhaus eine Zigarette rauchte, hatte die Tat beobachtet und war über die Straße gelaufen, um zu helfen. Der Angreifer war da jedoch bereits überwältigt und zusammengeschlagen worden. Die Krankenhausangestellte und eine US-Amerikanerin bildeten daraufhin einen Kreis um den Täter, bis die Polizei eintraf, damit er nicht gelyncht wurde. Er wurde in ein Krankenhaus „irgendwo in Dublin“ gebracht, sagte ein Polizeisprecher.
In den sozialen Medien verbreitete sich die Nachricht, dass es sich bei dem Täter um einen Algerier handeln soll. Die rechtsextreme Szene in Irland ist inzwischen so gut vernetzt, dass sie in Windeseile einen gewaltbereiten Mob mobilisieren kann. Hunderte von Menschen strömten in die Innenstadt und protestierten gegen die irische Asylpolitik. Die lokalen Hooligans, die täglich Menschen in der Innenstadt terrorisieren, ergriffen die Gelegenheit, die Polizei zu bekämpfen und Läden zu plündern. Die Ausschreitungen dauerten die ganze Nacht an.
Das Zentrum Dublins blieb weiträumig abgesperrt. Ironischerweise fand im Lehrer-Gewerkschaftsclub am Parnell Square im Zentrum der Riots am Abend eine Veranstaltung mit einem palästinensischen Iren statt, der am vergangenen Wochenende aus Gaza evakuiert worden war und vom Horror des israelischen Bombardements erzählte.
Am Freitagmorgen begannen die Aufräumarbeiten. Polizeichef Harris sagte, 34 Menschen seien bisher verhaftet worden, und „viele weitere Verhaftungen werden folgen“. Der irische Taoiseach – das ist der Titel des Premierministers – Leo Varadkar von der konservativen Partei Fine Gael („Stamm der Gälen“) sagte, er sei „schockiert“ über den Messerangriff. Die Regierung bereite ein Gesetz vor, fügte er hinzu, das es der Polizei erleichtern werde, auf Material aus Überwachungskameras zurückzugreifen.
Solidaritäts-Stimmen aus der EU
Irlands Staatspräsident Michael D. Higgins sagte, die Polizei benötige jegliche Unterstützung. Es sei abscheulich, dass Gruppen die Tat ausnutzen, um „die Prinzipien unserer sozialen Inklusionspolitik anzugreifen“. Polizeichef Harris sagte, er habe Polizisten aus anderen Landesteilen nach Dublin beordert, um eine weitere Nacht der Gewalt zu verhindern.
EU-Ratspräsident Charles Michel schrieb auf X, er sei „entsetzt über den schrecklichen Angriff in Dublin“ und versicherte Varadkar, er könne sich auf „die volle Solidarität der EU“ verlassen. Die Präsidentin des Europaparlaments, Roberta Metsola, sagte, sie denke an alle Verletzten und ihre Familien.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung