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Nach Kampagne gegen Brosius-GersdorfSPD mahnt Union zur Verlässlichkeit

Die Juristin Brosius-Gersdorf war von der SPD als Verfassungsrichterin nominiert – und hat zurückgezogen. In der Koalition herrscht jetzt Misstrauen.

Jens Spahn (CDU), Vorsitzender der Unions-Fraktion sollte seine Fraktion besser im Griff haben Foto: Katharina Kausche/dpa

Berlin dpa | Nach dem Rückzug der von der SPD nominierten Verfassungsrichterkandidatin Frauke Brosius-Gersdorf erwarten die Sozialdemokraten mehr Verlässlichkeit und Loyalität von ihren Koalitionspartnern CDU und CSU.

Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD) sagte der Deutschen Presse-Agentur, „Kampagnen“ dürften nicht dazu führen, dass man talentierte und qualifizierte Bewerber – und vor allem Bewerberinnen – verliere. „Wir müssen daraus lernen – alle gemeinsam. Es geht um eine bessere Diskussionskultur und darum, solchen Angriffen auf die Demokratie künftig besser standzuhalten.“

Die Wahl der Potsdamer Juraprofessorin Brosius-Gersdorf und zwei weiteren Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht war im Juli im Bundestag kurzfristig abgesetzt worden, weil der Widerstand in der Unionsfraktion gegen die SPD-Kandidatin zu groß geworden war. Die Fraktionsspitze konnte die dem Koalitionspartner SPD zugesagte Unterstützung nicht garantieren.

SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schrieb in einem Brief an seine Abgeordneten, CDU und CSU müssten sich nun zu den Spielregeln des Regierens bekennen. „Nur wenn Zusagen Bestand haben, sind tragfähige Kompromisse möglich. Nur dann können wir Vertrauen zurückgewinnen und politische Handlungsfähigkeit sichern.“

Die Unionsspitze habe zunächst wiederholt ihre Zustimmung zu Brosius-Gersdorf signalisiert. „Dass sich zentrale Teile der CDU/CSU-Fraktion am Ende davon distanziert haben, erschüttert nicht nur Vertrauen, sondern stellt das Fundament infrage, auf dem demokratische Zusammenarbeit überhaupt möglich ist.“ Weiter schrieb Miersch: „Vielleicht fragen sich einige von Euch, wie belastbar diese Koalition überhaupt noch ist, wenn sich der andere Partner nicht an Absprachen hält. In dem Zustand, in dem sich die Unionsfraktion bei der Richterwahl präsentiert hat, ist diese Frage berechtigt.“

Bundesregierung „zum Gelingen verdammt“

Der rheinland-pfälzische Ministerpräsident und Vizechef der Bundes-SPD, Alexander Schweitzer, rief zu besserer Zusammenarbeit in der Koalition auf. „Diese Bundesregierung ist zum Gelingen verdammt“, sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). „Ich kann nur hoffen, dass dies alle vor Augen haben, allen voran Bundeskanzler Friedrich Merz.“

Die vor allem in der Union umstrittene Brosius-Gersdorf hatte am Donnerstag mitgeteilt, dass sie nicht länger für eine Kandidatur als Richterin am Bundesverfassungsgericht zur Verfügung stehe. Ihr sei aus der CDU/CSU-Fraktion sehr deutlich signalisiert worden, dass ihre Wahl ausgeschlossen sei, hieß es in einem über eine Bonner Kanzlei verbreiteten Schreiben. Zudem kritisierte die 54-jährige Staatsrechtlerin Teile der Medien, auch wenn die Berichterstattung dann sachlicher geworden sei.

Als Grund wurden unter anderem Äußerungen zum Schwangerschaftsabbruch und zu einer möglichen Impfpflicht in Corona-Zeiten angeführt. Auch meldete sich kurz vor der geplanten Wahl der Plagiatssucher Stefan Weber mit zweifelhaften Vorwürfen zur Dissertation der Staatsrechtlerin zu Wort. Brosius-Gersdorf hatte zunächst an ihrer Nominierung festgehalten.

Frei redet Probleme klein

Kanzleramtschef Thorsten Frei (CDU) rechnet für die kommenden Wochen mit einem neuen Personalvorschlag. Er sei sicher, dass die Fraktionen von Union und SPD „in der Lage sein werden, in den nächsten Wochen einen Vorschlag zu präsentieren, der dann auch über die Mehrheitsfähigkeit im Parlament verfügt und dafür sorgt, dass die Richter in Karlsruhe ersetzt werden können“, sagte der CDU-Politiker im Deutschlandfunk.

Frei sagte, Brosius-Gersdorf sei „unzweifelhaft eine untadelige Juristin“, sie sei aber nicht mehrheitsfähig und von Anfang an sehr umstritten gewesen. Er räumte ein, „dass man natürlich darauf auch früher hätte reagieren können, auch gegenüber der SPD“. Jetzt müsse man aber den Blick nach vorn richten und „schauen, dass man diese Aufgabe so schnell wie möglich lösen kann“.

Die schwarz-rote Koalition sieht Frei durch die Vorgänge rund um die Richterwahl nicht gefährdet. Er sei überzeugt, „dass die Regierung insgesamt sich auf eine starke Basis in der Unionsfraktion und in der SPD-Fraktion stützen kann.“ Deswegen habe er auch keinen Zweifel, dass die Zusammenarbeit in der Koalition gut fortgesetzt werden könne.

Linke fordert Mitsprache

Linken-Chefin Ines Schwerdtner sagte dem Portal t-online, die Vorgänge um Brosius-Gersdorf seien ein Armutszeugnis für die Bundesregierung. Unionsfraktionschef Jens Spahn habe seine Fraktion nicht im Griff, und die Sozialdemokraten hätten „die Durchsetzungskraft eines schlafenden Kaninchens“. So werde eine Regierung keine vier Jahre durchhalten können. Bei künftigen Richterwahlen im Bundestag fordert Schwerdtner ein Vorschlagsrecht und einen Platz am Tisch für ihre Partei.

Der Rückzug Brosius-Gersdorfs mag die Blockade um die Richterwahl lösen, zugleich stellt er die Koalition vor ein neues (altes) Problem: im Bundestag die nötige Zweidrittelmehrheit zu finden für die Wahl ihrer Kandidaten.

Schon bei der Mitte Juli geplatzten Wahl hätte die CDU/CSU am Ende auf Stimmen der AfD angewiesen sein können. Das möchten sowohl die Union als auch die anderen Fraktionen vermeiden. Doch Gespräche mit der Linken, deren Stimmen dann nötig werden könnten, lehnte die Unionsfraktion ab.

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