Nach HDP-Festnahmen in der Türkei: Bundestag übernimmt Patenschaften
In einem symbolischen Akt stellen sich Dutzende Bundestagsabgeordnete hinter die türkische HDP. Es ist eine Kampfansage an Erdoğan.
Die linke, überwiegend kurdisch geprägte Oppositionspartei hatte zuletzt ihre Arbeit im türkischen Parlament eingestellt, nachdem viele Abgeordnete auf Basis vermeintlicher Terrorvorwürfe verhaftet worden waren. „In der Türkei wird derzeit eine ganz Gruppe von Parlamentariern einfach deshalb verfolgt, weil diese Parlamentarier ihr freies Mandat ausüben. Dem können wir nicht einfach zusehen“, sagte Michelle Müntefering (SPD), Vorsitzende der deutsch-türkischen Parlamentariergruppe im Bundestag, bei der Vorstellung der Initiative am Freitag in Berlin.
Das Projekt „Parlamentarier schützen Parlamentarier“, bei dem sich deutsche Abgeordnete im Rahmen von Patenschaften für verfolgte Parlamentarier im Ausland einsetzen, ist nicht neu. Es wurde 2013 gegründet. Seitdem haben insgesamt 75 Abgeordnete Patenschaften für bisher 110 weltweit verfolgt Personen übernommen. Am Freitag kamen gleich 37 neue Patenschaften hinzu. Nie zuvor wurde eine derart große Gruppe von Parlamentariern auf einmal in das Programm aufgenommen.
Beteiligt sind sowohl Abgeordnete aus der Regierungskoalition von SPD und CDU/CSU als auch Abgeordnete aus den Oppositionsfraktionen von Linkspartei und Grünen. Ziel des Programms ist es, dass deutsche Parlamentarier ihren Partnern in der Türkei zur Seite stehen, wenn diese aufgrund ihrer Mandatsausübung verfolgt werden.
Relevant ist die Geste
Die Initiative hat das Zeug, für weitere diplomatische Verstimmungen zwischen Deutschland und der Türkei zu sorgen. Unter anderem soll geplant sein, dass deutsche Abgeordnete den Vorsitzenden der HDP, Selahattin Demirtaş, in der Türkei im Gefängnis besuchen. Demirtaş befindet sich derzeit wie viele andere seiner Parteimitglieder wegen angeblicher Terrorvorwürfe in türkischer Haft.
Für ihn haben die Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann (SPD), Sahra Wagenknecht (Linksfraktion) und Anton Hofreiter (Grüne) eine gemeinsame „Patenschaft“ übernommen. Dass die Türkei einem solchen Besuch zustimmt, dürfte aussichtslos sein – relevant ist aber die politische Geste. Ähnlich wie im symbolischen Kampf um das Besuchsrecht deutscher Abgeordneter auf der Militärbasis Incirlik, dürfte auch dieses Engagement für Aufsehen sorgen.
Der Menschenrechtspolitiker Tom Koenigs (Grüne) sagte: „Es geht uns um den Schutz vor politischer Verfolgung aufgrund der Mandatsausübung.“ Die Linkenpolitikerin Sevim Dağdelen gab an: „Viele türkische Abgeordnete haben sich mit der Bitte um Hilfe an uns gewandt.“ Der SPD-Menschenrechtspolitiker Frank Schwabe sagte: „Wir werden nun sehr genau hinschauen, was mit unseren Kolleginnen und Kollegen in der Türkei passiert. Wir wollen sie in den Gefängnissen besuchen und ihnen beistehen.“
Steinmeier-Besuch in Ankara
Explizit wiesen die Abgeordneten darauf hin, dass das Programm sich nicht nur an türkische Abgeordnete der HDP richte, sondern auch an verfolgte Abgeordnete der sozialdemokratischen, kemalistisch geprägten, teils nationalistischen Oppositionspartei CHP. Auch aus deren Reihen habe es vereinzelt den Wunsch um Unterstützung gegeben. Gleichzeitig gibt es offenbar noch Bedenken innerhalb der CHP, sich dem Programm anzuschließen. Die Partei hat sich teilweise daran beteiligt, den Boden für die Verfolgung der meist kurdischen HDP-Abgeordneten zu bereiten.
Wie das Programm im Lager rund um Recep Tayyip Erdoğan aufgenommen wird, darf Deutschlands Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) dann in der kommenden Woche erfahren, wenn ein Besuch Steinmeiers in der türkischen Hauptstadt Ankara geplant ist. Die deutsche Regierung hat sich mit lautstarker Kritik oder politischen Sanktionen bislang weitgehend zurückgehalten, arbeitet aber hinter den Kulissen an einem Hilfsprogramm für verfolgte Menschen aus der Türkei.
Im Auswärtigen Amt wird derzeit ein Aktionsprogramm vorbereitet, das unter anderem die Förderung türkischsprachiger Onlinemedien vorsieht. Das Programm soll verfolgten JournalistInnen, WissenschaftlerInnen und Kulturschaffenden helfen, ihre Arbeit – notfalls in Deutschland – fortzusetzen.
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