Nach Biden-Rückzug: Die Zeichen stehen auf die Vize
Die Demokraten müssen sich nach Bidens Rückzug für eine Nachfolge entscheiden. Wahrscheinlich fällt die Wahl auf Kamala Harris – sicher ist es nicht.
Nach seinem desaströsen Auftritt im TV-Duell gegen Herausforderer Donald Trump Ende Juni hatte sich Biden am Sonntag dem immer größer werdenden Druck aus seiner Partei gebeugt und seine Kandidatur zurückgezogen. Dies verkündete der 81-jährige Demokrat in einem Schreiben, das auf verschiedenen sozialen Plattformen verbreitet wurde. Biden, der aktuell eine Corona-Infektion auskuriert, erklärt darin, dass er diese Entscheidung zugunsten seiner Partei und des Landes getroffen habe.
„Obwohl es meine Absicht war, mich zur Wiederwahl zu stellen, glaube ich, dass es im besten Interesse meiner Partei und des Landes ist, wenn ich zurücktrete und mich für den Rest meiner Amtszeit ausschließlich auf die Erfüllung meiner Pflichten als Präsident konzentriere“, schrieb er.
Zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert verzichtet damit ein amtierender US-Präsident auf eine erneute Kandidatur. Zuletzt hatte der Demokrat Lyndon B. Johnson im März 1968 verkündet, dass er nicht für eine zweite Amtszeit antreten werde. Der Grund dafür war damals die zunehmende Ablehnung des Vietnamkriegs in der Bevölkerung und die deswegen fallenden Umfragewerte Johnsons.
„Historisches Beispiel“
Bidens größtes Manko ist nicht seine Politik, sondern sein fortschreitendes Alter. Er ist schon jetzt der älteste Präsident in der Geschichte des Landes und nach seiner katastrophalen Leistung in der bislang einzigen TV-Debatte mit Trump, in der er müde und überfordert wirkte, haben sich immer mehr Menschen auch in seiner Partei die Frage gestellt, ob Biden in der körperlichen und geistigen Verfassung ist, weitere vier Jahre das Land zu führen. Vor seinem Rückzug am Sonntag hatten bereits mehr als 25 Abgeordnete des Repräsentantenhauses und eine Handvoll Senatoren den Präsidenten zum Rückzug aufgefordert.
Nach seiner Mitteilung huldigten viele Demokraten Bidens politische Karriere und seine Präsidentschaft. Ex-US-Präsident Barack Obama, unter dem Biden als Vizepräsident fungierte, bezeichnete ihn als einen der „bedeutsamsten Präsidenten“ in der Geschichte. Er sei ein „historisches Beispiel für einen echten Staatsdiener, der einmal mehr die Interessen des amerikanischen Volkes über seine eigenen stellt“, teilte Obama mit.
Biden erklärte in seinem Schreiben, dass er weitere Details zu seiner Entscheidung in den kommenden Tagen bekanntgeben werde. Er fügte hinzu, dass es die größte Ehre seines Lebens sei, den amerikanischen Menschen als Präsident zu dienen. Unter seiner Führung habe das Land riesige Fortschritte gemacht. Und: „Heute möchte ich meine volle Unterstützung dafür aussprechen, dass Kamala dieses Jahr die Kandidatin unserer Partei wird. Demokraten – es ist Zeit, zusammenzukommen und Trump zu besiegen“, so der Präsident.
„Ich fühle mich geehrt, die Unterstützung des Präsidenten zu haben, und ich habe die Absicht, diese Nominierung zu verdienen und zu gewinnen“, teilte die ehemalige kalifornische Generalstaatsanwältin und Ex-Senatorin daraufhin mit. Die 59-jährige Harris ist die erste Schwarze, die den Eid als US-Vizepräsidentin abgelegt hat und gilt als schlagfertig und kämpferisch. Sie ist 19 Jahre jünger als Trump, machte an der Seite Bidens in der öffentlichen Wahrnehmung aber nicht immer eine gute Figur.
Unterstützung vom linken Flügel
Auch wenn weniger als vier Monate vor der Wahl die Zeit drängt: Sicher hat Harris die Kandidatur noch nicht. Aber die ehemalige kalifornische Senatorin hat die mit Abstand besten Chancen, sich die Nominierung der demokratischen Partei zu sichern. Sie selbst erklärte, dass es ihre Absicht sei, die Nominierung „zu verdienen und zu gewinnen“.
Mehrere demokratische Kongressabgeordnete und politische Organisationen, unter anderem der einflussreiche Congressional Black Caucus, haben sich Biden angeschlossen und ihre Unterstützung Harris zugesichert. Neben Newsom aus Kalifornien zählen auch die anderen möglichen Bewerber Josh Shapiro aus Pennsylvania und Roy Cooper aus North Carolina dazu. Gretchen Whitmer aus Michigan ließ ihrerseits verlauten, kein Interesse an einer Kandidatur zu haben. Vom linken Flügel der Partei bekam Harris Unterstützung von der Abgeordneten Alexandria Ocasio-Cortez.
Andere Namen, wie der US-Senator Joe Manchin, der erst in diesem Jahr seine politische Zugehörigkeit von Demokrat auf Unabhängig geändert hatte, soll laut US-Medienberichten eine Kandidatur in Erwägung ziehen. Weitere Namen, die immer wieder auftauchen, sind die Senatoren Amy Klobuchar und Raphael Warnock, sowie die Gouverneure J.B. Pritzker und Andy Beshear. Keiner von ihnen hat bislang angekündigt, Harris die Nominierung streitig machen zu wollen.
Es kann jedoch davon ausgegangen werden, dass die jeweiligen politischen Berater und Strategen aktuell Überstunden schieben, um zu sehen, ob ihr Kandidat oder Kandidatin eine mögliche Chance auf die Nominierung hätte.
Andere haben hingegen noch offengelassen, wer ihrer Meinung nach Biden ersetzen soll. So wie Obama oder die frühere Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, die einen offenen Nominierungsprozess bevorzugen. „Wir werden in den kommenden Tagen Neuland betreten“, erklärte Obama.
Wer wird Running Mate?
Bei einer Art „Mini-Primary“ würden mehrere Kandidaten und Kandidatinnen gegeneinander antreten. Die Demokratische Partei will vom 19. bis 22. August ihren Nominierungsparteitag in Chicago abhalten, bis dahin müsste ein Kandidat oder eine Kandidatin gefunden werden. Wenn nicht, könnte es zu einem offenen oder ausgehandelten Nominierungsparteitag kommen. In diesem Fall könnten die Delegierten entweder komplett frei wählen oder hochrangige Parteifunktionäre verhandeln in den Hinterzimmern darüber, wer die Spitzenkandidaten sein sollen. So wurde es bis 1968 regelmäßig gehandhabt.
Sollte Harris in den kommenden Tagen und Wochen ihre Vorreiterrolle festigen, dann ist die nächste Frage, wer ihr Running Mate sein soll. Bereits erwähnte Namen wie Whitmer, Shapiro oder Beshear werden auch in dieser Diskussion immer wieder genannt. Jeder der drei Gouverneure hat in der Vergangenheit politisch Erfolge in Bundesstaaten gefeiert, in denen Demokraten sich sonst schwertun.
Auch wenn Kamala Harris den einfachsten Weg zur Nominierung hat – Demokraten müssen in den kommenden Tagen und Wochen klären, wie sie weiter vorgehen. Und auch dann bleibt noch immer die Frage, ob der gefundene Ersatz Trump im November schlagen kann. Aktuelle Umfragen lassen daran eher zweifeln. Doch nicht nur dort können die Demokraten wohl bald – ohne sich an Bidens Alter abarbeiten zu müssen – anfangen, Trump dort zu attackieren, wo er und die Republikaner, Schwächen zeigen, allen voran bei Themen wie Abtreibung und Klimaschutz.
Und Trump selbst? Dieser nutzte Bidens Rückzugsankündigung dazu, diesen erneut als „schlechtesten Präsidenten“ in der US-Geschichte zu bezeichnen. Zudem warf der 78-Jährige dem Demokraten „Betrug“ vor: Sein Team habe Zeit und Geld in „den Kampf gegen den betrügerischen Joe Biden“ investiert. „Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen“, schimpfte er auf der von ihm mitbegründeten Internet-Plattform Truth Social und forderte Entschädigung. Wenn Biden nicht fit genug sei, um für das Präsidentenamt zu kandidieren, dann sei er auch nicht fit genug, im Amt zu sein, sagte der Sprecher des Repräsentantenhauses, Trumps Parteifreund Mike Johnson. Biden solle das Weiße Haus sofort verlassen.
Zur Wahl im November 1968 trat übrigens ebenfalls der Vize des Präsidenten an, Hubert H. Humphrey. Er verlor gegen Richard Nixon.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid